Henstedt-Ulzburg. Die Parteien und Wählergemeinschaften stellen ihre Pläne und Schwerpunkte für die Ortsentwicklung der Großgemeinde vor.
Es hat sich im Laufe der Jahrzehnte so ergeben, dass in Henstedt-Ulzburg die Meinungen darüber, in welche Richtung und in welchem Ausmaß sich die Großgemeinde entwickeln – und damit auch wachsen – sollte, weit auseinandergehen. Was einst die einzelnen Ortsteile waren, verändert sich stetig: Menschen aus Hamburg, oft junge Familien, ziehen ins Umland, verändern das Bild, globale Migrationsbewegungen haben einen Effekt auf lokaler Ebene. Im Gewerbegebiet haben sich große Unternehmen wie Rewe, Netto und Boeing angesiedelt, die Logistik prägt den Ort, aber hier entstehen auch Tausende Jobs.
Was wiederum bedeutet: Der Bedarf an Wohnraum steigt, die Konkurrenz bei jenen, die suchen, ist groß. Im Kontrast dazu stehen die Überzeugungen nicht weniger alteingesessener Menschen, die einen dörflichen Charakter bewahren möchten. Symptomatisch hierfür war 2013 der Streit um eine mögliche Stadtwerdung – per Bürgerentscheid lehnte das eine überwältigende Mehrheit von fast 80 Prozent ab.
Kommunalwahl: Wohnraum und Wachstum – was für Henstedt-Ulzburg geplant ist
Unter anderem mit dem Integrierten Gemeinde-Entwicklungskonzept (IGEK) wurde versucht, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu erfahren und einen Leitfaden für die langfristige Entwicklung zu schaffen. Dieser ist in Kombination zu sehen mit geplanten Großprojekten, Interessen von Investoren und Anforderungen an die Infrastruktur.
Das Abendblatt hat die Parteien und Wählergemeinschaften gefragt, welche Schwerpunkte sie setzen wollen, wo gebaut werden sollte und wo nicht.
CDU: Kein unmittelbarer Bedarf für neue Wohngebiete
„Henstedt-Ulzburg wird vor dem Hintergrund der Entwicklung in der Metropolregion weiter wachsen. Das Baugesetzbuch in Schleswig-Holstein macht dabei eine klare Vorgabe: Innenentwicklung vor Außenentwicklung“, sagt Henry Danielski. Der Bürgervorsteher ist zugleich Spitzenkandidat der CDU. „Die tatsächliche Innenverdichtung führt aber nach unseren Erfahrungen zu hochverdichteten Grundstücken, auf denen praktisch kein Grashalm mehr wachsen kann. Das halten wir für eine Fehlentwicklung, die auch durch gestiegene Baukosten und durch Stellplätze auf den Grundstücken statt unter der Erde verursacht werden. Daran müssen wir zukünftig besser arbeiten.“
In Planung seien neue Wohngebiete wie Brombeerweg, das Wagenhuber-Gelände, Götzberger Straße und das Bade-Gelände. „Die Umwandlung des Sportplatzes am Schäferkampsweg wird momentan intensiv diskutiert. Geänderte Rahmenbedingungen beim Sport, der Wirtschaftlichkeit im Geschosswohnungsbau und der Notwendigkeit von Flüchtlingsunterkünften machen eine abschließende Entscheidung momentan praktisch unmöglich.“ Danielski: „Darüber hinaus sehen wir einen unmittelbaren Bedarf für weitere neue Wohnquartiere momentan nicht.“
SPD: Ortsteile in ihrem Charakter erhalten
Die SPD möchte die vier Ortsteile „individuell weiterentwickeln und in ihrem typischen Charakter erhalten“, sagt Spitzenkandidatin Patrizia Giuffrida. „Maßgeblich ist das mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickelte IGEK, aus dem die Innenverdichtung hervorgeht. Beispiele dafür sind die Bebauungspläne Pommern- und Jahnstraße. Wir wollen auch Wittmoor ortsspezifisch entwickeln, lehnen aber die Massivität ab, die mehrheitlich umgesetzt werden soll.“
Weitere Ziele für die Bebauung von „Potenzialflächen“, so die Sozialdemokratin: „Wo immer es geht, sollen 30 Prozent bezahlbarer Wohnraum umgesetzt werden. Ebenso berücksichtigen wir die Leitlinien im von uns initiierten Klimaschutzkonzept. Ortsentwicklung ist mehr als Bauen: Ein Quartier wird immer ganzheitlich mit Infrastruktur, Kindergärten, Verkehr usw. von uns betrachtet.“ So seien bereits Busstrecken und Taktungen optimiert worden und um HVV-Hop ergänzt. „Straßen müssen zum Beispiel durch bessere Radwege und Verkehrsführung entlastet werden. Das wird anspruchsvoll beim Wagenhuber-Gelände und der Entlastung des Rhens.“
BFB: Versuch gemeinsamer Ortsentwicklung ist gescheitert
Für die BFB stellt sich eine Grundsatzfrage. „Wir haben in den vergangenen fünf Jahren versucht, im Rahmen des IGEK eine über die Parteigrenzen hinweg gemeinsame Auffassung von Ortsentwicklung im weitesten Sinne zu erreichen. Dieser Versuch ist aus Sicht der BFB gescheitert“, so das Urteil des Fraktionsvorsitzenden Jens Iversen. Denn: „Wir haben die fundamentalen Fragen nicht geklärt und aus diesem Grunde auch keiner Entscheidung zugeführt. Aus Sicht der BFB ist sowohl quantitatives als auch qualitatives Wachstum notwendig, und zwar im Kern aus zwei Gründen.“
Erstens, so Iversen: „Die demografische Entwicklung, die dazu führt, dass die Bevölkerungsgruppe von 25 bis 65 Jahren, die durch Ihren Beitrag an der Lohn- und Einkommenssteuer einen erheblichen Anteil zum Haushalt der Gemeinde beiträgt, immer weiter sinkt.“ Der zweite Faktor: „Sich permanent ändernde gesellschaftliche Verhältnisse. Auch ohne jeden Zuzug würde Henstedt-Ulzburg mehr Wohnraum brauchen. Die Haushaltsgrößen verändern sich ständig zu kleineren Haushalten. Und auch geändertes Wohnverhalten, beispielsweise im Bereich der älteren Menschen, erfordert anzupassenden Wohnraum. Der aktuellen Entwicklung hin zu Arbeiten und Wohnen an einem Platz muss auch Rechnung getragen werden.“
Die BFB sagt also: Kleinerer, bezahlbarer Wohnraum in zentraler Lage, etwa gefördert auf dem Bade-Grundstück. Für Familien wurden im IGEK Flächen definiert, die nun auf Machbarkeit geprüft würden. „Im IGEK-Prozess haben wir uns auf ein Szenario verständigt, welches davon ausgeht, dass wir im Jahr 2030 29.572 Einwohner haben werden. „Die BFB geht davon aus, dass sich diese Zahl noch erhöhen wird. Um diesen Bevölkerungszuwachs zu stemmen, brauchen wir sowohl Innenverdichtung als auch neue Wohnquartiere.“
Grüne: Möglichst hoher Anteil an Grünflächen und angemessene Gebäudehöhen
Bei den Grünen liege der Fokus auf „durchdachter, nachhaltiger Innenverdichtung statt weiterer Flächenversiegelung“, so Ortssprecher Hauke Welp. „Dabei steht für uns im Vordergrund, die Teil- oder Vollsanierung von Bestandsimmobilien zu unterstützen, um den ursprünglichen Charakter der Ortsteile zu bewahren. Bei der Umsetzung bereits bestehender Bebauungspläne setzen wir uns weiterhin dafür ein, einen möglichst hohen Anteil an Grünflächen, eine Versickerungsmöglichkeit für Regenwasser und eine dem Umfeld angemessene Gebäudehöhe durchzusetzen.“
Und es soll ein neuer Weg eingeschlagen werden. „Um das Angebot von bezahlbarem Wohnraum in unserer Gemeinde zu erhöhen, wollen wir die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft prüfen lassen. Dadurch hätten wir als Gemeinde die Möglichkeit, einen Wohnungsbestand mit dauerhaft sozial orientierter Nutzung sicherzustellen. Aus unserer Sicht ist Wohnen ein Grundbedürfnis und keine Ware und sollte auch als solches behandelt werden.“
WHU: Wachstum um jeden Preis ist Vergangenheit
Wilhelm Dahmen, Spitzenkandidat der WHU, hat einen kritischen Blick auf die Ortsentwicklung. „Wachstum um jeden Preis, wie es andere Fraktionen wollen, gehört der Vergangenheit an. Der Klimawandel zwingt uns dazu, und die Verkehrssituation lässt sich nicht deutlich verbessern. Deshalb ist die WHU gegen neue Baugebiete auf der grünen Wiese wie Beckershof oder eine neue Industrieansiedlung in Westerwohld.“
Der prognostizierte Bedarf an Wohnraum, so Dahmen, könne innerorts in Baulücken und durch maßvolle Innenentwicklung geschaffen werden. „Insbesondere wird hier bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum benötigt.“ Die WHU sagt: Mehr als circa 30.000 Einwohner seien nicht erstrebenswert. „Unsere Straßen und Kanäle müssen mit großem Aufwand (bis zu 40 Millionen Euro) saniert werden. Eine vorausschauende Planung ist daher von großer Bedeutung. Auch für eine nachhaltige, kostengünstige Energieversorgung durch eigene ,Stadt’werke und für eine bessere ärztliche Versorgung durch Schaffung eines Ärztehauses, setzt die WHU sich ein.“
FDP: Gemeinde muss auch neue Wohngebiete erschließen
Stephan Holowaty von der FDP ist Vorsitzender des Planungs- und Bauausschusses, der oft stundenlang über diese Fragen debattiert. „Wir von der FDP wollen die Wohnqualität in Henstedt-Ulzburg erhalten. Wir werden daher vorhandene Wohngebiete nicht zu Lasten der Anwohner immer weiter verdichten. Gärten und Grünflächen sind wichtig für Wohnqualität und Mikroklima.“
Aber gleichzeitig brauche die Gemeinde neuen Wohnraum. „Nur so können wir den enormen Anstieg der Wohnkosten bremsen. Wir wollen, dass die Mitarbeiter der ortsansässigen Betriebe oder auch die Ärztin, die in Henstedt-Ulzburg eine Praxis eröffnen will, in der Gemeinde wohnen können. Kurze Arbeitswege reduzieren den Verkehr und machen unsere Gemeinde attraktiv für Fachkräfte.“
Seine Schlussfolgerung: „Daher muss die Gemeinde auch neue Wohngebiete erschließen. Wichtig ist für uns, dass die Infrastruktur, zum Beispiel Straßen, Wege, ÖPNV, Brandschutz oder Kinderbetreuung, gleich mitberücksichtigt wird. Einer Innenverdichtung werden wir nur dort zustimmen, wo es von den Anwohnern mitgetragen wird bzw. der existierende Wohncharakter nicht beeinträchtigt wird.“
Rückblick: 2018 gab es bei der Kommunalwahl eine Sensation
Was am 6. Mai 2018 in Henstedt-Ulzburg geschah, kam einer politischen Sensation gleich. Denn die WHU räumte bei der Kommunalwahl zur großen Überraschung vieler Beobachter regelrecht ab, holte bemerkenswerte zehn Direktmandate und avancierte so zur größten Fraktion. Die CDU war hingegen die Verliererin, schrumpfte von zwölf auf neun Mandate, büßte damit auch den Posten des Bürgervorstehers ein.
Nur: Diese neuen Kräfteverhältnisse währten nicht lange. Anfang 2019 bildete sich in der Großgemeinde ein neuer Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen – und zahlreiche Gemeindevertreter und auch bürgerliche Gremienmitglieder wechselten zeitnah oder im Laufe der Legislaturperiode die Lager. Aktuell sind WHU und Grüne mit jeweils fünf Gemeindevertreterinnen bzw. -vertretern gleich groß.
Henstedt-Ulzburg: Aktuell ist die CDU stärkste Kraft
Die CDU ist die stärkste Kraft, Henry Danielski wurde durch die Machtverschiebungen Bürgervorsteher als Nachfolger von Mariano Cordova. Die Christdemokraten sehen die Grünen nun als stärkste Konkurrenz. Prognosen sind aber erfahrungsgemäß in Henstedt-Ulzburg wenig verlässlich. CDU-Spitzenkandidat ist der pensionierte Polizeibeamte Danielski, bei der SPD ist es Patrizia Giuffrida (Industriekauffrau), bei der WHU Wilhelm Dahmen – auch er war bis zu seinem Ruhestand bei der Polizei.
Für die FDP steht Unternehmer Klaus-Peter Eberhard vorne auf der Liste, bei den Grünen die Bankbetriebswirtin Anja Hampel und bei der BFB Jens Iversen (kaufmännischer Angestellter).