Norderstedt. Der Münchener Liedermacher und Autor begeisterte in Norderstedt mit Liedern gegen Krieg und Faschismus.
Das Team der „TriBühne“ schleppte Stühle, beruhigte Gäste, die ihren Platz nicht fanden, und sorgte dafür, dass alle 730 Zuschauerinnen und Zuschauer des Konzerts „Poesie und Widerstand“ von Konstantin Wecker pünktlich bis 20 Uhr im Saal saßen. Der wurde verkleinert, denn aufgrund des immensen Wasserschadens musste eine neue Bühne in den Zuschauerraum gebaut werden.
Um 20 Uhr war auch die vorher leicht gereizte Stimmung wieder gut, und als der Liedermacher mit Cellistin Fany Kammerlander und Pianist Jo Barnikel durch den Saal zur Bühne ging, brandete der erste Beifall auf. „Schön, dass es hier noch alles so gut möglich gemacht wurde“, lobte der Liedermacher.
Norderstedt: Konzert in TriBühne – Konstantin Weckers Hymne auf die Liebe
Konstantin Wecker kennt die Kurven des Lebens. Als er mit 50 Jahren zum ersten Mal Vater wurde, beschloss er, sich dem Erwachsenwerden zu stellen. Bis dahin hatte sich der Sänger und Liedermacher, Friedensaktivist und Gesellschaftskritiker mit dem Pubertieren gut eingerichtet. Eines aber machte ihn stets untriebig: Der Widerstand gegen Waffen und Krieg und seine großen Leidenschaften – Musik und Poesie. Und die Liebe natürlich auch.
Er hat sein Leben in Verse gefasst. Entstanden sind Lieder und Lyrik für das Programm „Poesie und Weltenbrand“ zum Singen und Erzählen, Rezitieren, Mahnen und Nachdenken. Der Titel bezieht sich auf Novalis, ein Dichter der Romantik. „Er wollte die Welt poetisieren, und ich war im Grunde meines Herzens schon immer ein Romantiker“, sagte Wecker.
Als Wecker ein Lied für die Mutter seiner Kinder singt, wird es still im Saal
Das Lied „Den Parolen keine Chance“ schrieb er vor acht Jahren, als rechte Rattenfänger sogar wieder in die Parlamente einrücken konnten. Im Refrain klingt das Hauptthema von Ludwig van Beethovens „Ode an die Freude“ an, die Europa-Hymne.
„Als ich die Musik schrieb, kam mir das irgendwie bekannt vor“, erzählt Konstantin Wecker. Als er die Zeile „Trag nie eine Uniform“ aus seinem Lied „Für meine Kinder“ sang, brauste spontaner Beifall auf. Als er – dankbar und demütig – ein Liebeslied an die Mutter seiner Kinder sang, wurde es still im Saal.
Mit seinem Vater sang Konstantin Wecker als Kind Opern
„Ich habe in meinem Leben so wahnsinnig viel Glück gehabt“, freute sich der Künstler und erzählt von seinen Eltern, vom humanistischen Vater, einem Maler und und Sänger, der unter dem NS-Regime den Dienst an der Waffe verweigerte und dank eines Musik vernarrten Offiziers überlebte.
Mit dem Vater sang er Opern, beispielsweise „La Traviata“ von Giuseppe Verdi, wobei er die Partie der Violetta übernahm und sein Vater die ihres Liebhabers Alfredo. Das war 1957. „Davon gibt es sogar eine Aufnahme“, sagte Wecker und – spielte sie stolz vor. Tosender Applaus. Seine Mutter sei strenger gewesen, aber sie liebte die Poesie und habe ihm diese Liebe vererbt.
Wecker las Aufzeichnungen vor, die vom Tod seines Vaters handelten
Innig und sehr intensiv las er seine Aufzeichnungen über den Tod des Vaters, begleitet vom Lacrimosa aus Verdis Requiem. Sehr berührend war auch seine Hymne an den Vater, ein Sprechgesang, den er wiederum auf die Melodie der Arie „Nessun Dorma“ aus Giacomo Puccinis Oper „Turandot“ legte.
So baute Konstantin Wecker in seinem Konzert einen wunderbar schillernden Bogen von seiner Jugend, seiner Liebe zur italienischen Oper, seinem Leben in der Toscana, beispielsweise mit der Gedichtzeile „Ancora un bicchiere di vino rosso“ bis zum Erwachsenwerden mit Erkenntnissen wie „Zwischen Zärtlichkeit und Mut tut das Leben richtig gut“ oder „Es ist das Lachen, das uns in Bewegung hält“.
Hommage an Mikis Theodorakis und dessen „Lied der Lieder“
Sehr ernst indes wurde Konstantin Wecker mit seiner Hommage an Mikis Theodorakis und dessen Mauthausen-Kantate „Lied der Lieder“, für die ein KZ-Überlebender den Text schrieb: „Die Liebe ist schön, unsagbar schön, man hat sie fortgebracht... ihr Mädchen von Auschwitz, ihr Mädchen von Dachau...“.
Der Friedensaktivist mahnte: „Der Holocaust darf nie vergessen werden. Der Nationalsozialismus ist eine lebensbedrohliche Seuche, und Patriotismus ist sein folkloristisches Gewand.“ Sein Credo „Kein Volk! Kein Staat! Kein Vaterland!“ erhielt viel Beifall. Leidenschaftlich sang er „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ und bezog sich damit auch auf die neue Führung seiner zweiten Heimat Italien.
Dem Alter trotzen: am 1. Juni feiert Wecker seinen 75. Geburtstag
Anklang im Wecker-affinen Publikum fand auch sein Lied „An meine Musen“, in denen er dem Alter trotzt: „Die Welt umarmen, dem Alter trotzen, das sich ungefragt in meinem Körper breitmacht.“ Konstantin Wecker feiert am 1. Juni seinen 75. Geburtstag und ist doch immer noch ein Revoluzzer im besten Sinn: „Patriotismus und Patriarchat – sie haben versagt“.
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Viel Beifall erhielten auch Pianist Jo Barnikel und Cellistin Fany Kammerlander, die erst allein, dann im Duett mit Wecker das spanische Lied „Gracias a la vida“ als Hymne auf das Leben sang. Im Zugabenblock folgten Lieder von Wecker-Freund Lucio Dalla, darunter „Stirb ma ned weg“ und das berühmte „Caruso“, bei dessen „Ti voglio tanto bene assai“ man eine Stecknadel im Saal hätte fallen hören können und anschließend Jubel aufbrandete.
Dann schickte Konstantin Wecker seine beseelten Fans mit dem Gute-Nacht-Lied „Buona Notte Fiorellino“ von Francesco De Gregori nach Hause.