Norderstedt/Bad Segeberg. Damit Opfer häuslicher Gewalt nicht abgewiesen werden müssen, sollen zusätzliche Notwohnungen angemietet werden.
Die Zahlen sind erschreckend und machen deutlich, wie nötig ein weiterer Ausbau der Kapazitäten des Frauenhauses in Norderstedt ist. 212 Frauen mit 215 Kindern, die sich als Opfer häuslicher Gewalt oder in anderen Problemlagen um Asyl bemühten, mussten 2022 vom Frauenhaus Norderstedt wieder weggeschickt werden.
Die Einrichtung verfügt in dem 2016 eröffneten neuen Gebäude über 28 feste Plätze für Frauen und Kinder, zusätzlich werden 15 weitere Plätze in zwei 2020 und 2021 angemieteten Notwohnungen vorgehalten. Die Auslastung dieser Plätze 2022 lag bei 97 Prozent. 170 Frauen und Kinder lebten 2022 im Frauenhaus, durchschnittlich bis zu 90 Tage.
Norderstedt: Erschreckende Zahlen – Frauenhaus braucht dringend mehr Platz
Der Kreistag hat in seiner letzten Sitzung nun beschlossen, dass die zusätzlichen 15 Frauenhausplätze in den Notwohnungen weiterhin vom Kreis Segeberg finanziert werden. Der Träger des Frauenhauses, die Diakonie Hamburg-West/Südholstein, erhält für das Jahr 2025 einen Zuschuss in Höhe von 237.950 Euro für die 15 Plätze. Auch in den Folgejahren werde dieser Betrag überwiesen, möglicherweise erhöht durch Personalkosten gemäß Tarifvertrag und steigende Sachkosten.
Der Kreistag ist sich einig, dass der Kreis Segeberg die Kosten vorerst übernimmt, jedoch sieht man eigentlich das Land in der Pflicht, zu bezahlen. Doch Schutzwohnungen fallen derzeit nicht explizit in den Regelungsbereich des Finanzausgleichsgesetzes – im Gegensatz zu festen Frauenhaus-Plätzen.
Kreis übernimmt Kosten für 15 Plätze in Notwohnungen
Im Kreis Segeberg ist man aber der festen Überzeugung, dass die 15 zusätzlichen Plätze in den Notwohnungen die gleichen Standards bieten, wie die 28 Plätze im Frauenhaus Norderstedt, zumindest was Betreuung, Personalschlüssel, Aufnahmeverfahren, Organisation, Schutz und Wohnfläche angehe. Man stehe mit dem Land im Austausch, und so lange die Plätze nicht in der Länderfinanzierung seien, werde der Zuschuss an die Diakonie unter dem Vorbehalt ausgezahlt, dass dieser nicht vom Land übernommen wird.
Ebenso beschlossen hat der Kreistag das vom Arbeitskreis Frauenhaus vorgelegte endgültige Konzeptpapier für den weiteren Ausbau der Schutzplätze im Kreis Segeberg. Angesichts stetig steigender Fälle ist längst klar, dass die 43 bestehenden Plätze nicht ausreichen.
43 Plätze reichen nicht aus: 427 Frauen und Kinder wurden 2022 abgewiesen
Um der sogenannten Istanbul-Konvention gerecht zu werden, müsste das Frauenhaus 63 Plätze vorhalten. Die Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichtet unter anderen Deutschland dazu, die Mindestanzahl von einem Familienplatz auf 10.000 Einwohner gerecht zu werden.
Doch das sei nur ein theoretischer Richtwert, teilt der Arbeitskreis Frauenhaus mit. Die tatsächliche Anzahl der Schutzunterkünfte sollte sich nach dem tatsächlichen Bedarf und den empirischen Daten für den Kreis Segeberg richten. Wenn man Auslastungs- und Absagezahlen berücksichtigt, ergebe sich ein realistischer Bedarf von mindestens 70 und bis zu 84 Plätzen.
Bau eines zweiten Frauenhauses im Kreis wird gefordert
Aus diesem Grund fordert der Kreistag in Bad Segeberg nach wie vor den Bau eines zweiten Frauenhauses im Kreis. Ein Wunsch, der vom Land bisher nicht berücksichtigt wird. Mit dem Gesamtsituation im Blick, sieht es die Landesregierung derzeit als dringender, im Norden Schleswig-Holsteins ein weiteres Frauenhaus zu bauen.
Deswegen setzt der Arbeitskreis Frauenhaus kurz- bis mittelfristig auf das Anmieten von weiteren Schutzwohnungen, in denen pro Wohnung sieben bis acht Plätze für Frauen und Kinder geschaffen werden können. Langfristig sollen so die 20 Plätze zusätzlich geschaffen werden, die zur Erfüllung der Istanbul-Konvention nötig sind.
Notwohnungen sollen entlang der A7 und im Ostkreis entstehen
Da vom Land vorerst keine Finanzierung des Betriebs weiterer Plätze zu erwarten ist, sind wohl erneut der Kreis, die Städte und Kommunen und deren politische Entscheidungsgremien gefragt. Um die finanziellen Lasten für die einzelnen Akteure leistbar zu gestalten, wären auch Kooperation von mehreren Gemeinden denkbar, so der Arbeitskreis Frauenhaus in seinem Konzeptpapier.
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Die Bedarfsabfrage habe ergeben, dass sich als Standort für eine weitere Schutzwohnung Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg und Bad Bramstedt anböten, wobei Kaltenkirchen den Vorteil hätte, dass die Schutzwohnung auch aus den anderen beiden Gemeinden gut zu erreichen wäre. Im Ostkreis käme Bad Segeberg infrage. Einigkeit besteht im Arbeitskreis, dass die zusätzlichen Schutzwohnungen nicht in Norderstedt angesiedelt werden sollen.
Norderstedt: Positive Erfahrungen mit dezentraler Unterbringung
Generell sei die Schaffung von Frauenschutzwohnungen mit Frauenhaus-Standards der beste Weg hin zu einer adäquaten Schutzstruktur. Sie seien so etwas wie die Keimzelle für ein zweites, aber dezentrales Frauenhaus. In der dezentralen Struktur könne man besser die speziellen Bedarfe der Betroffenen berücksichtigen und sei flexibler.
Mit den bestehenden 15 Plätze in den Notwohnungen des Frauenhauses habe man positive Erfahrungen gemacht. Diese zweite, dezentrale Frauenhaus sei allerdings weder kurzfristig umsetzbar, noch aus dem Haushalt des Kreises Segeberg finanzierbar. Das Land müsste grünes Licht geben.