Norderstedt. Die Frauenhäuser sind voll. In Norderstedt mussten 2021 so viele Hilfsbedürftige wie noch nie abgewiesen werden.

„Nie hätte ich gedacht, dass mir so etwas passiert. Beim Stichwort ,Vergewaltigung‘ hatte ich immer nur an fremde Männer gedacht.“

„Mein Mann sagte immer wieder, ich bin nichts wert und schloss mich ein.“

„Irgendwann kommst du dir vor wie der letzte Dreck. Keine Selbstachtung mehr, keine Energie, nur noch Angst.“


Diese Zitate stammen von Frauen, die von ihren Partnern beleidigt, geschlagen und misshandelt wurden. Sie sind vor ihren Männern, den Vätern ihrer Kinder, davongelaufen und haben Zuflucht im Norderstedter Frauenhaus gefunden. Ihre Worte sind auf orangefarbene Zettel gedruckt. Stellvertretend für sie hielten Stadtvertreterinnen, Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung und der Frauenberatungsstelle ihre Botschaften in den Händen. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen wollten sie am Freitag gemeinsam in der De-Gasperi-Passage am Herold-Center ein Zeichen setzen.

Gewalt gegen Frauen: „Es brennt ganz heftig“ – Frauen in Not brauchen mehr Schutz

Für die betroffenen Frauen selbst wäre es viel zu gefährlich, öffentlich von ihren Schicksalen zu berichten. Sie müssen sich vor ihren gewalttätigen Männern verstecken. Ihre Aufenthaltsorte sind unbekannt. Wo sich das Frauenhaus in Norderstedt befindet, soll niemand wissen. Doch nicht alle Frauen haben das Glück, aus ihrer persönlichen Hölle zu entkommen. Wenn sie den mutigen Entschluss gefasst haben, mit ihren Kindern Schutz in einem Frauenhaus zu suchen, heißt das noch lange nicht, dass ihnen auch geholfen werden kann.

„Die Anfragen steigen – doch wir haben nicht genügend Kapazitäten. Immer wieder müssen wir Frauen absagen“, berichtet Nur Tiras. Bei aller professionellen Distanz geht es der Leiterin des Norderstedter Frauenhauses sehr nahe, wenn sie hilfesuchende Frauen abweisen muss. 437 Absagen mussten sie und ihr Team im Jahr 2021 erteilen. 227 Frauen und 210 Kinder konnten sie nicht mehr aufnehmen. Denn: Norderstedt, die einzige Kommune mit einem Frauenhaus im Kreis Segeberg, verfügt nur über insgesamt 43 Plätze.

Frauenhaus Norderstedt musste fast doppelt so viele Absagen wie 2019 erteilen

Das Haupthaus hat eine Kapazität von 28 Plätzen. In die beiden angemieteten Notwohnungen passen sieben und acht Personen. „Der Kreis Segeberg nimmt Geld in die Hand. Noch bis Ende 2024 finanziert er unsere Notwohnungen“, sagt Nur Tiras, die im Juli 2021 die langjährige Leiterin Anita Brüning abgelöst hat. Trotzdem sei der Bedarf noch lange nicht gedeckt.

„Durch die Corona-Pandemie ist die Situation noch angespannter geworden“, sagt Tiras. 2019 hätten sie in Norderstedt noch 243 schutzsuchende Frauen und Kinder ablehnen müssen. Die Zahl hat sich beinahe verdoppelt. „Wir lassen dennoch keine Frau allein“, betont die Diplompädagogin und systematische Familientherapeutin. Das Frauenhaus in Norderstedt würde eng mit 24/7, der Zentralen Notaufnahme der Hamburger Frauenhäuser, zusammenarbeiten und nach Unterbringungen suchen.

Henstedt-Ulzburg: Verwaltung soll Kapazitäten prüfen

Schon lange ist im Kreis Segeberg der Bau eines zweiten Frauenhauses im Gespräch. In der kommenden Woche werden die Henstedt-Ulzburger Grünen einen Antrag im Sozial-, Senioren- und Gleichstellungsausschuss (1. Dezember, 18.30 Uhr, Ratssaal) einbringen und die Verwaltung beauftragen, alle Optionen in der Großgemeinde zu prüfen, weitere Kapazitäten zu schaffen.

Norderstedts Sozialdezernentin Katrin Schmieder hält das für eine gute Idee. „Der Bedarf an weiterem Wohnraum ist groß. Die Schutzräume müssen nicht auf Norderstedt konzentriert sein“, sagt sie. Aus Schmieders Sicht muss es aber nicht nur weiteren Wohnraum für Frauen geben, die sich in einer akuten Notlage befinden und einen Zufluchtsort brauchen. Sondern auch für diejenigen, die bereits in einem Frauenhaus gelebt haben und nun eine eigene Wohnung suchen. „Für sie gibt es kaum eine Chance, Wohnraum zu finden“, sagt die Sozialdezernentin. Häufig wären die Betroffenen erwerbslos. „Sie brauchen Unterstützung.“

16 Frauenhäuser gibt es im Land – und zusätzliche „Schutzplätze“

In Schleswig-Holstein gibt es aktuell 16 Frauenhäuser mit insgesamt 362 Frauenhausplätzen und 24,5 Frauenberatungsstellen, die über das Finanzausgleichsgesetz (FAG) gefördert werden. Weitere Frauenhausplätze stehen auf Eigeninitiative auf Kreis- und Stadtebene zur Verfügung, sodass es in Schleswig-Holstein derzeit insgesamt 391 Frauenhausplätze gibt.

Außerdem hat das Land ab 2022 für 24 weitere Schutzplätze in den Kreisen Nordfriesland und Schleswig-Flensburg Gelder bereitgestellt. Die neuen Frauenhäuser hierfür sind derzeit in Planung. Im Jahr 2022 stehen rund 8,2 Millionen Euro für die Frauenfacheinrichtungen in Schleswig-Holstein zur Verfügung. Die Frauenhäuser erhalten über das FAG im Jahr 2022 insgesamt 5,8 Millionen Euro.

Zusätzliches dezentrales Frauenhaus im Kreis Segeberg im Gespräch

Weitere Plätze für den Süden Schleswig-Holsteins, sprich den Kreis Segeberg, waren ursprünglich in der Bedarfsanalyse des Landes laut Claudia Meyer nicht vorgesehen. „Ein Arbeitskreis arbeitet aber derzeit an einem Konzept für mehr Kapazitäten“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Norderstedt. „Es brennt ganz heftig und wir müssen etwas tun. Zum ersten Mal haben wir mehr Frauen abgelehnt als aufnehmen können.“

In der ersten Sitzung des Sozialausschusses des Kreistags im neuen Jahr sollen Wege skizziert werden, wie ein zusätzliches dezentrales Frauenhaus mit mehreren Wohneinheiten im Kreis realisiert werden könnte.

Jede Stunde im Jahr 2021 wurden durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Laut Bundeskriminalamt (BKA) wurden 143.016 Fälle, in denen der aktuelle oder ehemalige Partner Gewalt ausübte, erfasst. Mehr als 80 Prozent der Opfer waren Frauen. In die Statistik fließen allerdings nur Fälle ein, die bei der Polizei angezeigt wurden. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Schleswig-Holstein: 36.640 Frauen mussten häusliche Gewalt ertragen

„Laut einer Dunkelfeldstudie haben in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr 36.640 Frauen häusliche Gewalt ertragen müssen. Das ist nicht hinzunehmen“, sagte CDU-Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann aus Nahe am Freitag im Landtag. Sie sprach sich für die Gründung eines Kompetenzzentrums gegen geschlechterspezifische Gewalt aus.

„Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, deswegen müssen wir handeln.“ Gemeinsam mit dem Fachwissen von Expertinnen und Experten in den Frauenhäusern, den Frauenfachberatungsstellen und der Landespolizei wolle man Gewalt verhindern und vorbeugen. „Unser Ziel ist es, dass die Fachlichkeit all dieser und weiterer Institutionen gebündelt und zusammengeführt werden“, so Rathje-Hoffmann. Das Plenum verabschiedete die Einrichtung eines Kompetenzzentrums einstimmig.

Gewalt gegen Frauen: Mutter wäre fast erwürgt worden

Die Schicksale, die Nur Tiras tagtäglich als Leiterin des Frauenhauses in Norderstedt erlebt, sind teils schwer zu ertragen. Frauen, die sich per Telefon melden und dann übersät mit blauen Flecken vor der Tür stehen. Eine Mutter, die mit ihrem Kind von zuhause abgehauen ist, weil ihr Mann sie beinahe erwürgt hätte. „Den Frauen muss geholfen werden. Wir brauchen Gebäude und finanzielle Mittel, um sie zu bewirtschaften.“