Norderstedt. In Norderstedt müssen Autofahrer jetzt nachts vom Gas gehen. Welche 30er-Zonen eingerichtet werden und warum das nötig ist.

„In den nächsten Tagen“, so die Stadt, wird es offiziell: Zwei neue Lärmschutzbereiche entlang wichtiger Verkehrsadern treten in Kraft, sobald die entsprechenden Schilder aufgestellt worden sind. Dann gibt es in Norderstedt weitere Zonen, in denen nachts von 22 bis 6 Uhr Tempo 30 gilt – und wo im Zuge der Überwachung dann auch geblitzt werden kann.

Das betrifft die Segeberger Chaussee zwischen den Einmündungen Fuchsmoorweg und Glashütter Kirchenweg, also die Hausnummern 242 bis 258 – ungefähr 300 Meter. Und entlang der Ohechaussee sind es sogar knapp zwei Kilometer mit 117 Grundstücken von In de Tarpen bis Am Tarpenufer, also der Abzweigung zum Schmuggelstieg-Quartier gegenüber von Meyer’s Mühle.

Norderstedt: Mit mehr Tempo 30 will die Stadt die Menschen schützen

Die Maßnahme schränkt die Verkehrsteilnehmer auf zwei der am meisten befahrenen Straßen ein. Dafür freuen sich die Anwohner. „Nachts ist es zumutbar“, sagt Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder. „Es ist immer eine Abwägung zwischen den Menschen, die dort wohnen, und denen, die dort zügig durchkommen müssen. Von 22 bis 6 Uhr sind wir nicht im Bereich von Berufsverkehr. Wir wollen, dass der Verkehr fließt, aber wir wollen auch Bürger schützen, damit diese gut schlafen können.“

Es gibt bereits mehrere Lärmschutzbereiche in der Stadt – so auch an der Ochsenzoller Straße.
Es gibt bereits mehrere Lärmschutzbereiche in der Stadt – so auch an der Ochsenzoller Straße. © Christopher Mey

Es sei „erschreckend“, wie unterschiedlich der Lärmpegel sei, wenn ein Auto mit 30 oder 50 km/h unterwegs sei. Roeder: „Aus der Historie tue ich mich mit Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen sehr schwer. Es gilt, abzuwägen mit der nächtlichen Ruhe, einem wesentlichen Gut.“ Wer sich nicht an das Tempolimit hält, muss damit rechnen, von „Susi“, den mobilen Blitzer der Stadt, fotografiert zu werden. Nach einer „gewissen Karenzzeit“, so Roeder.

Norderstedt: Der Lärmaktionsplan ist Grundlage für die Maßnahmen

Beide Vorhaben sind Teil des Lärmaktionsplans, werden in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden – hier: der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr – umgesetzt. Zuvor musste allerdings untersucht werden, ob die Belastung überhaupt so hoch ist, wie es den subjektiven Anschein hat. „Es ist ein komplizierter Prozess“, sagt Andreas Finster, im Rathaus Leiter des Fachdienstes für Allgemeine Ordnungsaufgaben.

Spezialfirmen nehmen Messungen vor, auf dieser Datenbasis handelt die Verwaltung. Und wenn die schalltechnischen Analysen ergeben, dass für bestimmte Straßenabschnitte die nächtlich erlaubten 60 dB (A), also der an das menschliche Hören angepasste Dezibelwert, überschreiten, kann das Maßnahmen nötig machen.

Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Andreas Finster, Leiter des Fachdienstes Allgemeine Ordnungsaufgaben, sprechen von einer Abwägung zwischen Anwohnerschutz und Interessen der Verkehrsteilnehmer.
Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Andreas Finster, Leiter des Fachdienstes Allgemeine Ordnungsaufgaben, sprechen von einer Abwägung zwischen Anwohnerschutz und Interessen der Verkehrsteilnehmer. © Christopher Mey

Die EU verpflichtet Mitgliedsstaaten zum Lärmschutz

„Man darf sich nicht auf das Gefühl verlassen“, sagt Elke Christina Roeder. Die Umgebungslärmrichtlinie der EU verpflichtet Mitgliedsstaaten dazu, die Belästigung systematisch zu verringern. Von Brüssel aus kommt das in Norderstedt an. Der erste Lärmaktionsplan entstand 2008, und zwar unter Mitwirkung der Öffentlichkeit. Auch heute erhält die Stadt immer wieder Hinweise und Forderungen aus der Bevölkerung. „Es gibt häufig Anfragen. Aber nicht nur wegen Lärm oder dass man sich irgendwo eine 30er-Zone wünscht“, so die Oberbürgermeisterin. „Die Wünsche sind bunt. Andere wünschen sich, dass 30er-Zonen wegkommen. Als Stadt prüfen wir, ob es Sinn macht.“

Alternativen gibt es nur bedingt. Der Effekt von Flüsterasphalt ist zum Beispiel nicht groß genug gegenüber der Motorengeräusche. „Wenn nur E-Autos fahren würden, hätten wir das Problem nicht“, so Roeder. Aber das ist eben Zukunftsmusik.

30er-Zonen dürfen nicht aus eigenem Gusto angeordnet werden

Aus freien Stücken darf Norderstedt – weder die Stadt noch die Politik per Beschluss – nicht überall nach eigenem Gusto die Geschwindigkeitsbeschränkungen anordnen. Schließlich gilt zunächst einmal innerorts qua Gesetz Tempo 50. „Aber wenn dort ein Eingang zu einem Altenheim oder einer Kita ist, geht der Schutz vor. Ansonsten nur, wenn wir das komplizierte Verfahren der Lärmmessung vorangestellt haben.“

Grundsätzlich würde sie sich mehr Spielraum wünschen. Seit Dezember 2022 ist Norderstedt Mitglied der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“. Deren Ziel: Kommunen sollen rechtlich in der Lage sein, Tempo 30 umzusetzen – und zwar dort, wo sie es für notwendig halten. Dafür wird Lobbyarbeit betrieben.

Die Oberbürgermeisterin wünscht sich mehr Spielraum

„Aber ich bin kein Fan davon zu sagen, dass im kompletten Stadtgebiet Tempo 30 gilt“, so die Oberbürgermeisterin. „Die Schleswig-Holstein-Straße ist ein hervorragendes Beispiel, wo das keinen Sinn machen würde. Aber einen Ermessensspielraum würde ich mir wünschen – zum Beispiel, wenn eine Kita an einer Straße liegt, aber der Eingang um die Ecke. Da bewegen wir uns in einem sehr engen Korsett.“ Nach heutiger Gesetzlage wäre in solchen Fällen die Reduzierung nicht gestattet.

Und dann verraten Roeder und Finster noch etwas: Im Verlaufe des Frühjahrs wird ein dritter Bereich ausgewiesen, in dem nachts die Autos runterbremsen müssen. Es geht um die Poppenbütteler Straße, südlich der Kreuzung Glashütter Damm. Nördlich hiervon gibt es bereits Tempo 30 bis zum Großen Born, jetzt wird die Strecke erweitert. Wann das genau passieren wird, steht aber noch nicht fest.

Norderstedt: Lärmschutzbereiche haben positive Effekte

Weitere bereits bestehende Lärmschutzbereiche mit Tempo 30 sind entlang der Ochsenzoller Straße von der Ohechaussee in Richtung Herold-Center bis Tannenhofstraße, auf der Tangstedter Landstraße (jeweils 22 bis 6 Uhr) sowie ohne zeitliche Beschränkung auf der Niendorfer Straße (Kirchenstraße bis Ochsenzoller Straße) – tagsüber wegen der Grundschule. Und auf der Oadby-and-Wigston-Straße gilt Tempo 50 – auch das ist Lärmschutz. Die Verwaltung bewertet diese Schritte als positiv, die Lärmbelästigung sei „spürbar verringert“ worden, die Lebensqualität gestiegen.

Fertig wird die Stadt wohl nie sein. Die Oberbürgermeisterin: „Wir schreiben den Lärmaktionsplan immer weiter fort. Es wurde ein Grundgerüst geschaffen und es wird immer wieder überprüft. Eine komplett neue Aufstellung macht keinen Sinn.“