Norderstedt. Rita Fischer stellte in der Rathausbücherei ihren Debütroman „Ankommen. Bleiben“ vor. Darum geht es in dem Familienroman.
Rita Fischer kennt sich in Norderstedt aus. Als sie ihr Lehramtsstudium in den Fächern Kunst und Deutsch nach dem Examen nach Norderstedt führte, fand sie sich erst im öden Friedrichsgaber Gewerbegebiet wieder, um dann auf einem Erdbeerfeld zu landen, und schließlich doch noch die damalige Realschule Friedrichsgabe zu finden. „Sie sollten die Bücherei in Erdbeerfeld-Bücherei umbenennen“, riet sie Dietmar Drews von der Stadtbücherei Norderstedt, der sie zur Autorin-Lesung in die Rathausbücherei eingeladen hatte.
Rita Fischer stellte jetzt ihren Debüt-Roman „Ankommen. Bleiben“ vor, der ihre Familiengeschichte widerspiegelt, aber auch für viele Flüchtlings-Geschichten nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg steht.
Norderstedt: Familienleben zwischen Wirtschaftswunderwelt und Stasi-Staat
Rita Fischer Erstling beschreibt die Zeit nach 1945, die Zeit der Familie Neumann, die im Sudetenland lebt. Doch dort droht ihr die Rache der Tschechen wegen der Gräuel der NS-Diktatur, und die Familie flieht. Ein Teil der Familie, die Neumanns, geht nach Westdeutschland, der andere Teil, die Puleks, wählt den kürzeren Weg und bleibt im Ostdeutschland.
Was sich letztlich als der längere Weg herausstellt, denn, erneut drangsaliert, diesmal von der Stasi, fliehen die Pulek-Söhne Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre weiter in die Bundesrepublik.
Rita Fischer hegt heimatliche Gefühle für Norderstedt
Der Leseraum der Rathaus-Bücherei war bestens besetzt. „Ich hege heimatliche Gefühle für Norderstedt“, sagte Rita Fischer und erinnerte sich, dass sie 1980 nach ihrem Studium-Abschluss vom Schulamt „auf keinen Fall nach Pinneberg beordert werden wollte“ (anerkennendes Gelächter im Publikum). Mit derart gut gelaunt erzählten Erinnerungen hatte sie ihr Publikum rasch für sich gewonnen.
„Ich fing mit einer Kurzgeschichte an, die dann aber rasch auf 250 Seiten anwuchs“, erzählte sie. Es war die Basis für ihren Debüt-Roman „Ankommen. Bleiben“. „Der Roman hat durchaus autobiografische Züge, es ist aber nicht meine Geschichte“, erklärte die Autorin, die im November 2021 auch für den ersten Literarischen Förderpreis Norderstedt nominiert war.
Norderstedt: Der Roman spielt im fiktiven Ort Warwitz
„Westen 1955. Horst hielt den Griff seines Koffers fest in der Hand.“ Rita Fischer beschreibt detailgetreu, wie Horst aussah, als er auf seiner Flucht in den Westen bei seiner Tante Liesl im Warwitz bei Lübeck ankam. Warwitz ist ein fiktiver Ort, in dem auf den Dächern Bäume wachsen, Autos auf dem Fluss schwimmen und die Frauen nach Makrelen in Tomatensauce duften. Das ist dort bei Lübeck, wo Rita Fischer geboren wurde.
„Osten 1955. Heino und seine Mamme saßen in ihrem Bliesterwaldener Garten mit Blick auf den ehemaligen Bauernhof, wo ihnen und anderen Vertriebenen 1946 eine einfache Bleibe zugewiesen worden war. Sie pulten Erbsen.“
Wirtschaftswunder im Westen, Stasi-Staa im Osten
Stets stellt die Autorin die zwei Familienzweige und ihr Leben in Ost und West gegenüber, betont behutsam die Unterschiede der Charaktere, geformt durch ihre Umgebung und ihren Alltag. Auf der einen Seite der Wirtschaftswunderwesten, auf der anderen Seite der stagnierende Stasi-Staat. Sie lässt die Menschen erzählen, schildert ihren Alltag mit Dialogen zwischen Mamme Trude und ihrem 14-jährigen Sohn Heino, zwischen Tante Liesl und Mammes geflüchteten, 20-jährigen Sohn Horst. Er suchte eine Perspektive, als er in den Westen aufbrach, eine Zukunft. Er will nicht nur Prag, er will auch Paris sehen.
Während Mamme und vor allem Horst kräftig berlinern, sprechen Liesl, ihr Sohn Rolf und Horst hochdeutsch – auch das ein Stilmittel, um die zwei Familienzweige zu unterscheiden.
Nach dem Mauerfall treffen sich die Freundinnen wieder
Rita Fischer beherrscht diesen Berliner Dialekt bestens, ohne ihn zu persiflieren. Sie liest differenziert, engagiert, kennt ihre Personage und gibt jeder Figur mit ihre Stimme einen eigenen Charakter. Das Buch führt auch tiefer in die Vergangenheit zurück, als sich Liesl und Mamme an ihre Jugend erinnern, an das Sudetenland, als ein Tscheche ihr das Fahrrad entriss und den Topf mit dem frischen Gulasch auf die Straße warf.
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Nach dem Mauerfall besucht Liesl mit ihrer inzwischen erwachsenen Tochter Rosa, der Rita Fischer jetzt den Erzählpart übergeben hat, wieder die Orte ihrer Kindheit im damaligen Sudetenland und trifft ihre Jugendfreundinnen und Verwandte wieder.
Norderstedt: Rita Fischers Buch „Sylt“ erscheint im Herbst
Rita Fischer hat ihr Buch den Müttern gewidmet und jenen Frauen, die das Leben in der Nachkriegszeit erst ermöglicht haben, die mit Mut die Familien zusammenhielten, die ihre Heimaten verlassen mussten, um irgendwo neu anzukommen und – zu bleiben.
Rita Fischer lebt seit 1980 in Hamburg-Eppendorf. Inzwischen ist ihr zweites Buch „Sternenweg 17 – Episodenroman aus Hamburg-Eppendorf“ über den Norderstedter Kadera-Verlag bei Books on Demand erschienen. Das dritte Buch „Sylt“ soll im Herbst erscheinen. „Ankommen. Bleiben – Eine Familiengeschichte“ veröffentlichte Rita Fischer im Verlag Schaumberg. Alle Romane sind unter anderem in der Buchhandlung am Rathaus, Rathausallee 42, erhältlich oder unter www.rita-fischer.de auf der Website der Autorin.