Bad Bramstedt/Kiel. 56-Jähriger muss sich für Einbruchsserie vor Gericht verantworten. Teilweise nutzte er dafür seinen Hafturlaub.
Sechs schwere Straftaten wirft die Staatsanwaltschaft einem 56-jährigen Angeklagten vor, der sich seit Dienstag in einem Prozess vor dem Kieler Landgericht verantworten muss. Gemeinsam mit je zwei Komplizen soll der aus Kuwait stammende Palästinenser vier Einbruchsdiebstähle begangen haben. In zwei weiteren Fällen wird ihm erpresserischer Menschenraub vorgeworfen.
Die Opfer waren zwischen 80 und 83 Jahre alt. Zu den Tatorten der Serie gehören Bad Bramstedt im Kreis Segeberg, das 200-Seelen-Dorf Mühlenbarbek bei Kellinghusen im Kreis Steinburg, die Orte Breiholz und Schülp am Nord-Ostsee-Kanal (Kreis Rendsburg-Eckernförde) sowie die Gemeinde Stapel im Kreis Schleswig-Flensburg.
Landgericht Kiel: Wegen 200 Euro – Einbrecher fesselten Beinamputierten (81)
Während Staatsanwalt Marius Heller die schwersten Tatvorwürfe – zwei brutale Raubüberfälle auf eine 83-jährige Witwe und ein Ehepaar (80, 81) – verliest, schüttelt der Angeklagte wie entrüstet den Kopf. Der Brillenträger mit der Glatze bestreitet fast alle Vorwürfe. Nur an einem einzigen Einbruch in der 1400-Einwohner-Gemeinde Breiholz will er beteiligt gewesen sein.
Vor einem Jahr wurde der polnisch sprechende Mann, der sich im Prozess mit Hilfe einer Dolmetscherin verständlich macht, festgenommen. Seitdem sitzt er in der JVA Neumünster. Dort soll vor fünf Jahren die Serie des einschlägig vorbestraften Einbrechers auch ihren Anfang genommen haben.
Die ersten Einbrüche soll der JVA-Häftling während eines Ausgangs verübt haben
Am 24. Februar 2018 hatte der verheiratete aber getrennt lebende Häftling einen unbegleiteten Ausgang aus der JVA. Ein ihm bekanntes albanisches Brüderpaar holte ihn damals im Auto ab, wie der Angeklagte berichtete. Eigentlich habe er nur seine Cousine treffen wollen, sagt er. Doch die sei krank gewesen.
Weil er seinen 24-stündigen Ausgang nicht ungenutzt abbrechen wollte, sei er mit den beiden Albanern mitgefahren. „Ich hatte den Eindruck, dass sie unterwegs etwas ausbaldowern“, erklärt er. Die beiden seien im Schritttempo an Wohnhäusern vorbeigefahren.
Angeklagter: „Sie wollten, dass ich die Schuld auf mich nehme“
Laut Anklage fuhr das Trio damals auf der Suche nach Einbruchsobjekten über Boostedt und Großenaspe in Richtung Süden durch den Kreis Segeberg. Doch mit Straftaten will der Angeklagte nichts zu tun gehabt haben. Die Brüder hätten ihn auf der Tagestour zwei Mal aussteigen und warten lassen, „weil sie etwas erledigen wollten“.
In einem Fall habe er vor einer Schule in Bad Bramstedt auf die beiden gewartet. Als sie ihn abholten, habe einer der Brüder seine Sportschuhe in einem Mülleimer entsorgt. Später hätten sie ihn unter Druck gesetzt. „Sie wollten, dass ich die Schuld auf mich nehme.“
Die ersten Einbruchsopfer im Kreis Steinburg und Segeberg waren außer Haus
Am ersten Tatort der Serie, dem Haus einer Alleinstehenden in Mühlenbarbek bei Kellinghusen soll der Angeklagte gegen 20.35 Uhr nach dem Aufbrechen eines WC-Fensters eingestiegen sein. Die Bewohnerin lag in einer Klinik, während ihr Schmuck gestohlen wurde.
Noch am selben Abend soll der Angeklagte auch in ein Einfamilienhaus in Bad Bramstedt eingestiegen sein. Der Besitzer war im Urlaub, als die Einbrecher einen 100 Kilo-Tresor herausbrachen, durch ein Fenster ins Freie warfen und auf einer Schubkarre zum Fahrzeug schleppten. Die Beute: 5000 Euro Bargeld, hochwertige Notebooks und teure Armbanduhren.
Nach dreijähriger Pause soll der Angeklagte die Serie fortgesetzt haben
Auf die zwei Einbrüche während des JVA-Ausgangs vom 24. Februar 2018 folgte eine dreijährige Pause, bevor der Angeklagte in zwei Einfamilienhäuser in Breiholz eingestiegen sein soll. 500 Euro Bargeld, Schmuck im Wert von 13.000 Euro und eine Chanel-Handtasche im Wert von 6000 Euro sollen er und seine unbekannten Komplizen im April 2021 erbeutet haben.
Bei den letzten beiden Einbrüchen der sechsteiligen Serie stießen die Täter auf die Bewohner: Laut Vorwurf fesselten sie in der Nacht zum 7. September 2021 eine 83-jährige Witwe in ihrem Haus in Breiholz an Armen und Beinen, stopften ihr Strümpfe als Knebel in den Mund.
Eheleute (80, 81) in Stapel mit Kabelbindern gefesselt und verletzt
„Wehe wir finden kein Geld!“ sollen die Täter ihrer Gefangenen angedroht haben, um ihr den Tresorschlüssel abzupressen. Während die Eindringlinge den Bungalow durchsuchten, konnte sich die Gefesselte befreien und zu Nachbarn fliehen. Als die Männer dies bemerkten, flüchteten sie ohne Beute.
Anfang November 2021 wurde ein Senioren-Ehepaar in seinem Wohnhaus in Stapel überfallen. Der Mann (81) war laut Anklage an beiden Beinen amputiert. Das wehrlose Opfer und seine Frau (80) wurden mit Kabelbindern gefesselt. Unter Druck verrieten sie das Versteck eines Portemonnaies mit 200 Euro Bargeld in der Küchenkommode.
Tresor mit dem Schmuck der verstorbenen Tochter geraubt
Die Täter raubten zudem einen kleinen Tresor mit dem Schmuck der verstorbenen Tochter der Eheleute. Durch die Fesselung erlitten beide Opfer schmerzhafte Schnitte an Händen und Unterarmen. In der voraussichtlich siebentägigen Beweisaufnahme werden DNA-Spuren am Fesselungsmaterial sowie Handydaten aus tatortnahen Funkzellen eine Rolle spielen.
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An den Raubtaten sei der Angeklagte nicht beteiligt gewesen, sagt Strafverteidiger Gerd-M. Achterberg. Sein Mandant habe vielmehr drei Mittäter belastet, deren genetische Fingerabdrücke am Tatort sichergestellt wurden. Zwei von ihnen säßen jetzt auch dank seiner Aufklärungshilfe in U-Haft. Ein dritter Täter habe sich das Leben genommen.