Norderstedt. Wickeln, füttern, kuscheln: Norderstedter Jugendliche haben harte Nächte hinter sich. Was sie dabei gelernt haben.

Cemre hat ihr Baby in eine hellblaue Decke eingewickelt und wiegt es liebevoll auf dem Arm. Als es beginnt zu weinen, füttert sie es mit der Flasche. Wenig später ist es wieder still. „Ich hätte es mir noch anstrengender vorgestellt“, sagt die 16-Jährige über das Muttersein. Heute Nacht sei sie alle zwei Stunden aufgewacht, weil ihr Kind geschrien habe. „Ich hätte gedacht, das passiert noch öfter“, sagt sie. „So langsam habe ich herausgefunden, was es von mir möchte. Man entwickelt ein Gefühl dafür.“

Morgen muss sich Cemre von ihrem Baby verabschieden. Das fällt ihr zwar gar nicht so leicht, aber ist absolut in Ordnung für sie. Denn: Das kleine Wesen ist nur eine Puppe. Vier Tage und drei Nächte lang sollten sich die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark in Norderstedt um die Babysimulatoren kümmern, als wären es lebendige Menschen. „Wir wollten den Schülern gern etwas bieten, das für ihren Alltag wichtig ist“, sagt Lehrerin Birte Nikisch. „Sie sollen die Familienplanung bewusst angehen und sich nicht einfach ins Elternsein hineinstürzen.“

Norderstedt: Eltern auf Probe – Schüler betreuen vier Tage lang Babypuppe

Zainab hat ihr Neugeborenes in einer Tragetasche vor die Brust geschnallt. Um ihr Handgelenk trägt sie einen Sensor. Wenn das Baby Geräusche macht, muss sie das Gerät an den Puppenkörper halten. Erst dann registriert der Computer im Bauch, ob sie das Kind füttert oder Windeln wechselt. „Der Computer zeichnet alles auf. Wenn das Baby grob behandelt oder sogar geschüttelt wird, speichert der Simulator das ab“, erklärt Daniela le Grand.

Im Bauch des Babysimulators befindet sich ein Computer, der das Verhalten der Eltern auf Probe aufzeichnet.
Im Bauch des Babysimulators befindet sich ein Computer, der das Verhalten der Eltern auf Probe aufzeichnet. © Annabell Behrmann

Die 50 Jahre alte Wahlstedterin zeigt jungen Heranwachsenden seit 2008 anhand von Babysimulatoren, was es bedeutet, Mutter oder Vater zu sein. „Die Jugendlichen sollen weder abgeschreckt noch motiviert werden, Kinder zu kriegen“, sagt Daniela le Grand. „Sie sollen einen möglichst realistischen Eindruck vom Elternsein bekommen.“ Zu ihren Hochzeiten hat die dreifache Mutter 40 Kurse im Jahr an Schulen gegeben, inzwischen sind es nur noch um die zwölf.

Daniela le Grand möchte mit Babysimulatoren Aufklärungsarbeit leisten

Angetrieben zu dieser Aufklärungsarbeit hat sie eine ehemalige Praktikantin. Früher hat le Grand ein eigenes Geschäft mit Kunsthandwerk betrieben. Ein junges Mädchen, das bei ihr arbeitete, sagte damals zu ihr: „Wenn ich keinen Ausbildungsplatz finde, dann werde ich halt schwanger.“ Die gelernte Erzieherin war entsetzt über diese Aussage. „Ich habe gemerkt, wie perspektivlos manche Schüler sind“, sagt sie. Le Grand wollte ihnen klar machen, was für vielfältige Bedürfnisse Säuglinge haben. Also kaufte sie Babysimulatoren und besuchte Schulen.

Thalia und Elisabeth haben sich gemeinsam um ein Baby gekümmert.
Thalia und Elisabeth haben sich gemeinsam um ein Baby gekümmert. © Annabell Behrmann

Zainabs ursprünglicher Plan war es, jung Mutter zu werden. „So mit 22, 23“, sagt die 17-Jährige. Nach ihrer Erfahrung als „Mutter auf Probe“ möchte sie allerdings doch erst einmal abwarten und Fuß im Berufsleben fassen.

Schüler bauen schon nach ein paar Tagen Bindung zur Babypuppe auf

Bahar musste ihre Puppe schon vergangene Woche wieder abgeben. Heute besucht sie ihre Mitschüler, die sich aktuell um sie kümmern. „Ich habe das Baby direkt vermisst, als es weg war. Daran musste ich mich erst einmal wieder gewöhnen“, berichtet sie. Man baue schnell eine Bindung auf.

Zur Aufgabe der Mütter auf Probe gehörte es auch, die Kinder zu wickeln, zu füttern und mit ihnen zu kuscheln.
Zur Aufgabe der Mütter auf Probe gehörte es auch, die Kinder zu wickeln, zu füttern und mit ihnen zu kuscheln. © Annabell Behrmann

Die 16 Jahre alte Schülerin hat gelernt, wie wichtig es ist, den Kopf des Säuglings zu stützen. „Sonst kreischt es“, sagt sie. Anhand des Weinens hat Bahar nach einer gewissen Zeit herausgehört, was das Baby braucht. „Wenn es aggressiver geschrien hat, wollte es die Windel gewechselt haben. Ein leichtes Schreien bedeutete, dass es ein Bäuerchen machen oder kuscheln will.“

Norderstedt: Lehrerin springt als Babysitterin für „alleinerziehenden Vater“ ein

Es gibt drei verschiedene Schwierigkeitsgrade, die an der Puppe eingestellt werden können. Wie mühsam schon Stufe eins sein kann, hat Lehrerin Birte Nikisch am eigenen Leib erfahren. Sie ist in der dritten Nacht für einen ihrer Schüler als Babysitterin eingesprungen. „Er war alleinerziehender Vater und wollte abends zum Fußballtraining“, erzählt sie und lacht. „Ich habe sehr wenig geschlafen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend ist, sich um die Babysimulatoren zu kümmern.“

In der Regel haben sich die Schülerinnen und Schüler zu zweit um ein Kind gekümmert. Manche wollten aber auch bewusst ausprobieren, wie es ist, alleinerziehend zu sein. Unterricht hatten sie in der „Elternzeit“ nicht. Tagsüber haben sie ausprobiert, mit ihrem Kind durch das Herold-Center oder die Hamburger Innenstadt zu laufen. Manche waren sogar im Mütterzentrum zur Babygymnastik – und haben einen Kursus mit echten Müttern und Babys belegt.

Finanziert haben das Projekt „Eltern auf Probe“ der Förderverein der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark und der Förderverein Offene Jugendarbeit Norderstedt. Drei Kurse wurden ermöglicht – einer kostet 600 Euro. Zusätzlich zahlt jeder Schüler 10 Euro für Batterien und Abnutzung.