Norderstedt. In Hamburg sorgt die Schreibweise für politische Kontroversen. Wie gehen Städte und Gemeinden im Kreis Segeberg damit um?

Liebe Bürger*innen! Oder doch lieber: Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger? Oder gleich: Liebe Bürger!? Die Frage, wer wie angesprochen wird, ist komplizierter geworden. Mit anderen Worten: Der Genderstern hat Einzug gehalten ins öffentliche Leben und damit auch in kommunale Verwaltungen. An dem Stern scheiden sich allerdings mancherorts die Geister.

Kreis Segeberg: Stern oder nicht Stern? Welche Städte und Dörfer gendern

Für die einen ist es einfach nur zeitgemäß und überfällig, ihn zu verwenden – schließlich macht er im Schriftbild sichtbar, dass auch jene Personen angesprochen werden, die sich weder als weiblich noch als männlich definieren.

Für die anderen ist der Genderstern hingegen Sprachverschandelung – oder, schlimmer, Ausdruck einer Ideologie, die die Menschen bevormundet. In Hamburg haben Gegner des Genders sogar eine Initiative gestartet, die Behörden diese Schreibweise verbieten soll.

Und im Kreis Segeberg? Wie halten es Städte und Gemeinden mit dem Genderstern? Wir haben uns in Norderstedt und Umgebung einmal umgehört.

Gendern: Norderstedt bezieht eine sehr klare Position

Eine klare Position in dieser Sache bezieht die Norderstedter Stadtverwaltung. Sie hat sich den Genderstern mit Nachdruck auf die Fahne geschrieben. „Die Stadt Norderstedt hat sich entschieden, sowohl in der internen als auch in der externen Kommunikation das Gendersternchen zu verwenden oder auf genderneutrale Formulierungen zurückzugreifen“, heißt es in dem 2021 veröffentlichten „Leitfaden zur genderbewussten Sprache“ der Stadt.

„Durch diesen bewussten Sprachgebrauch tragen wir aktiv zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei“, heißt es weiter.

In ihrer Verwaltung wird der Stern genutzt: Norderstedts Bürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD).
In ihrer Verwaltung wird der Stern genutzt: Norderstedts Bürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD). © FMG | Claas Greite

Norderstedt: Bezug auf Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017

Die Stadt bezieht sich in dem Leitfaden auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 zur Änderung des Personenstandrechtes. Die Karlsruher Richter legten damals fest, dass es bei amtlichen Einträgen eine offizielle, dritte Geschlechtsoption geben muss – seit 2018 ist es etwa möglich, dass Neugeborene beim Standesamt als „divers“ eingetragen werden.

Norderstedt zieht aus dem Urteil die Konsequenz, dass nun auch Verwaltungen aufgefordert seien, „der geschlechtlichen Vielfalt sprachlichen Ausdruck zu verschaffen“, wie es in der Broschüre heißt, die unter anderem im Namen von Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD) verfasst ist.

Stadt wünscht „Kreativität und Freude bei Anwendung der genderbewussten Sprache“

Der Leitfaden ermuntert ausdrücklich alle dazu, es der Verwaltung gleichzutun – also zu „gendern“, gibt dazu einige Anwendungstipps und wünscht „Kreativität und Freude bei der Anwendung der genderbewussten Sprache“.

Zeichen der Vielfalt: An der Willy-Brandt-Schule in Norderstedt gibt es schon seit einiger Zeit Toiletten für Menschen aller Geschlechts-Identitäten.
Zeichen der Vielfalt: An der Willy-Brandt-Schule in Norderstedt gibt es schon seit einiger Zeit Toiletten für Menschen aller Geschlechts-Identitäten. © Funke Medien | Claas Greite

Beteiligt an der Konzeption der Broschüre war Norderstedts Gleichstellungsbeauftragte Claudia Meyer. Auf die Frage, wie denn eigentlich die Reaktionen aus der Bevölkerung seien, sagt sie: „Ich habe über die Jahre wenige Rückmeldungen bekommen.“

Und was denken die Bürger? Welche Rückmeldungen es in Norderstedt gab

Es habe „etwa fünf, sechs positive Rückmeldungen“ gegeben, „von denjenigen, die gern alle Geschlechter ansprechen wollen, und denen mit dem Leitfaden eine Hilfestellung an die Hand gegeben wurde“.

Und dann habe es auch zwei negative Rückmeldungen gegeben, „von denjenigen, die den Leitfaden nicht als Hilfestellung oder Empfehlung, sondern als Vorgabe verstanden hatten“. Aber, so Claudia Meyer: „Das konnten wir aufklären.“

Kreis Segeberg: Verwaltung soll den Genderstern nutzen – und die Politik auch

Auch der Kreis Segeberg gendert mittlerweile, wie schon ein Blick auf die Webseite verrät. Dazu Kreissprecherin Sabrina Müller: „Der Kreistag hat im Juli 2019 die strategischen Ziele für die Wahlperiode 2018 bis 2023 beschlossen. Darin ist festgehalten, dass für die Umsetzung der gendergerechten Sprache das Gendersternchen genutzt werden soll. Die Verwendung gilt für die Politik genauso wie für alle Bereiche der Kreisverwaltung – intern wie extern.“

Im Dorf Lentföhrden erfolgt die Ansprache „adressatengerecht“

Indes: Im Bereich des Kreises scheint es gewisse Unterschiede zwischen eher städtischen und eher ländlichen Bereichen zu geben. In dem Dorf Lentföhrden, das 2600 Einwohner hat, wird offenbar noch nicht gegendert – zumindest ist das nicht genau geregelt.

Bürgermeister Joannis Stasinopoulos sagt zum Thema Genderstern: „Für die interne Kommunikation der Gemeinde Lentföhrden gibt es keine offizielle Regelung. Die Ansprache erfolgt adressatengerecht.“

Hat keine offizielle Regelung zum Genderstern: Lentföhrden (im Bild: der stellvertretende Bürgermeister Alexander Brosowski).
Hat keine offizielle Regelung zum Genderstern: Lentföhrden (im Bild: der stellvertretende Bürgermeister Alexander Brosowski). © Burkhard Fuchs

„Keine entsprechende Regelung“ im Amt Auenland Südholstein

Ganz ähnlich hält es das Amt Auenland Südholstein, früher bekannt als „Kaltenkirchen-Land“, zu dem auch Lentföhrden gehört: Zum Gendern gebe es „keine entsprechende Regelung“ im Amt, teilt Karsten Kohlmorgen mit, Leiter des Ordnungsamtes.

Für die Stadtverwaltung Kaltenkirchen wurde geregelt, dass grundsätzlich keine Gendersternchen verwendet werden sollen. Für Unterstriche oder Doppelpunkte, die manchmal an Stelle des Sterns verwendet werden und dieselbe Bedeutung haben, gilt das auch.

Keine Sterne in Kaltenkirchen – stattdessen „möglichst geschlechtsneutrale Ausdrucksweise“

„Die Mitarbeiter sollen stattdessen versuchen, eine möglichst geschlechtsneutrale Ausdrucksweise zu benutzen“, sagt Meike Wölfel, büroleitende Beamtin im Rathaus. Sie nennt Beispiele: Die Beschäftigten, die Ansprechperson, die Mitglieder der/des…

Meike Wölfel weiter: „Sollte dies nicht möglich sein, werden beide Bezeichnungen genannt, nach Möglichkeit ausgeschrieben, ohne Verwendung eines Schrägstrichs.“

Henstedt-Ulzburg: „Wir halten es mit der gendergerechten Sprache ganz locker“

„Ganz locker“ in Sachen Genderstern: Henstedt-Ulzburgs Bürgermeisterin Ulrike Schmidt (vorne), hier mit dem Führungsteam des Rathauses.
„Ganz locker“ in Sachen Genderstern: Henstedt-Ulzburgs Bürgermeisterin Ulrike Schmidt (vorne), hier mit dem Führungsteam des Rathauses. © Christopher Mey

In Henstedt-Ulzburg hält man es flexibel – mal das Sternchen, mal der Doppelpunkt, mal die passenden Formulierungen: „Da es in der Henstedt-Ulzburger Verwaltung selbstverständlich ist, dass all unserem Tun eine Gleichberechtigung und Wertschätzung aller Geschlechter zugrunde liegt, halten wir es mit der gendergerechten Sprache ganz locker“, sagt Bürgermeisterin Ulrike Schmidt.

„Natürlich nutzen wir auch geschlechtergerechte Sprache, um alle Menschen anzusprechen. Einen festgelegten Leitfaden bei offiziellen Mitteilungen oder Beratungs- und Beschlussvorlagen gibt es hier aber nicht. Deswegen finden sich von der Verwendung verschiedener Satzzeichen wie dem Sternchen oder dem Doppelpunkt bis hin zu geschlechterneutralen Formulierungen verschiedene Sprech- und Schreibweisen.“

Was Bad Bramstedt tut – und wie die Bürgermeisterin die Sache sieht

In Bad Bramstedt arbeitet die Verwaltung mit dem Sternchen. „Weil das politisch korrekt ist“, sagt Bürgermeisterin Verena Jeske. Sie selbst sieht es allerdings etwas anders: „Wir haben in Deutschland sicher andere Probleme, als uns über das Gendern zu unterhalten.“

„Haben in Deutschland andere Probleme“: Bad Bramstedts Bürgermeisterin Verena Jeske.
„Haben in Deutschland andere Probleme“: Bad Bramstedts Bürgermeisterin Verena Jeske. © Stadt Bad Bramstedt

Deshalb geht sie selbst einen Mittelweg: Behördliche Schreiben mit Sternchen, in ihren Reden aber benutzt sie die männliche Form. „Ich stelle das gleich am Anfang jeder Rede klar, und bisher hat mir das niemand übel genommen.“

Die Reden seien auf diese Weise klarer, unmissverständlicher und auch kürzer.