Kreis Segeberg. Großinvestoren stehen Schlange, um Solarparks zu bauen. Vor Ort stoßen Projekte allerdings auch auf Widerstand.
Der Kreis Segeberg gehört zu den Landkreisen in Deutschland, in denen im Jahr 2022 besonders viele Solaranlagen installiert wurden: Zwischen Januar und November waren es 1329. Damit ist der Kreis sogar Spitzenreiter in Schleswig-Holstein, im bundesweiten Ranking unter alle Kreisen belegt er Platz 16.
Und die Entwicklung geht weiter: In einigen Orten des Kreises sind weitere Solarparks in Planung. Insgesamt stehen Solarunternehmen aus ganz Deutschland Schlange, um hier zu investieren. Allerdings regt sich auch der Widerstand gegen die Solarparks in einigen Kommunen.
Photovoltaik: Solaranlagen – Kreis Segeberg war 2022 Spitzenreiter im Land
52,1 Megawatt Solarstrom können die 2022 neu im Kreis installierten Anlagen pro Jahr maximal produzieren. Das geht aus einem Ranking hervor, das vom Solarenergiebranchen-Portal Solarbranche.de herausgegeben wird. In deren bundesweite Top-50-Liste haben es außerdem die Kreise Schleswig-Flensburg (49,4 Megawatt, Platz 18) und Dithmarschen (31,9 Megawatt, Platz 43) geschafft.
Wenig überraschend spielen die Dörfer des Kreises Segeberg die Hauptrolle bei die Erzeugung von Solarenergie. Sie haben den Platz für raumgreifende Großanlagen. Die größeren Kommunen spielten 2022 eine Nebenrolle, was sich am hier erzeugten Solarstromaufkommen ablesen lässt: In Norderstedt zum Beispiel können die 2022 installierten Anlagen gerade mal 1,3 Megawatt Strom produzieren, in Henstedt-Ulzburg nur 0,9 Megawatt, in Kaltenkirchen 1,4 Megawatt, in Bad Segeberg 0,3 Megawatt, in Bad Bramstedt 0,7 Megawatt.
Photovoltaik: Für Investoren ist der Kreis ein Solar-Paradies
Von den Top-Ergebnissen in Deutschland aber ist der Kreis Segeberg noch weit entfernt: Spitzenreiter ist der Kreis Märkisch-Oderland mit neuen Solaranlagen, die bis zu 322,3 Megawatt produzieren können. Im Kreis Segeberg wurden zwischen 1990 und heute 5933 Solaranlagen installiert. Sie haben eine Gesamtleistung von 143,8 Megawatt pro Jahr. Unter den 294 deutschen Landkreisen belegt der Kreis Segeberg damit momentan nur Platz 180.
Doch bei der solaren Energiewende und dem Ausbau erneuerbarer Energien hat der Kreis Segeberg enormes Potenzial. Und aus Sicht der Investoren ist er geradezu ein Solar-Paradies. Denn hier gibt es viele zusammenhängende landschaftliche Flächen, ausgediente Kiesgruben und drei Autobahnen, an denen gebaut werden könnte – all das lockt die Investoren an.
Neuer Solarpark: Willingrade stellt viele Kommunen des Kreises in den Schatten
Der Solarpark des Investors GP Joule in Willingrade, einem Ortsteil von Groß Kummerfeld, entstand seit Ende 2021 südlich der B 205 und oberhalb der Bahnlinie Neumünster-Bad Oldesloe. Am 8. März 2022 wurde die knapp sechs Hektar große und 5,2 Megawatt starke Solaranlage in Betrieb genommen. Diese kleine Gemeinde stellt damit viele andere Orte im Kreis Segeberg buchstäblich in den Schatten. Begehrt sind Flächen an der Autobahn. In Strukdorf (A 20) wurde im vergangenen Jahr eine 11,7-Megawatt-Anlage in Betrieb genommen, in Bimöhlen (A 7) eine 11,9-Megawatt-Anlage.
Wie groß das Interesse an Freiflächen im Kreis Segeberg ist, zeigt das Beispiel der Gemeinde Weede. Als bekannt wurde, dass die Gemeindevertretung 70 Hektar für den Bau eines Solarparks ausgewiesen hat, meldeten sich schnell Interessenten. „Zwei Großinvestoren möchten hier Solarpaneele aufstellen“, sagt Bürgermeister Bernd Sulimma. „Ein Unternehmen kommt aus Hamburg, das andere aus Berlin.“ Die Gemeinde hat die freie Wahl.
Auch bei den Karl-May-Spielen könnte bald Solarstrom produziert werden
Und auch in den Städten des Kreises wird über Möglichkeiten zur Gewinnung von Solarenergie nachgedacht. In Bad Segeberg zum Beispiel hat die Kommunalpolitik angeregt, Großparkplätze mit Solarpaneelen zu überdachen – darunter auch die für die Karl-May-Spiele ausgewiesenen Parkflächen.
Der Gesetzgeber hat den Bau von Solarparks erleichtert: An Autobahnen und überörtlichen Schienenwegen dürfen Anlagen ohne die bisher erforderlichen Ausweisungen in Bebauungsplänen gebaut werden. Für diese Privilegierungskorridore hat der Gesetzgeber bereits eine Vorentscheidung getroffen. Das macht den Kreis Segeberg mit drei durchquerenden Autobahnen für Investoren noch attraktiver.
Solarwirtschaft: 2023 sollen 25 Prozent mehr Solarstromleistung neu ans Netz gehen
Der Kreis Segeberg unterstützt die Bemühungen von Städten und Gemeinden, Flächen für Solaranlagen auszuweisen. „Aus Sicht der Kreisplanung werden die Gemeinden, die Freiflächensolaranlagen im Zuge der Bauleitplanung vorbereiten, auf Nachfrage hin fachtechnisch unterstützt“, sagt Sabrina Müller, Sprecherin der Kreisverwaltung. „Als Träger öffentlicher Belange wird die Planung kreisseitig begleitet.“ Die Zahl von Projekten im Kreis zeige die Dynamik des Geschehens.
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) rechnet für dieses Jahr damit, dass mindestens 25 Prozent mehr Solarstromleistung in Deutschland neu ans Netz gehen wird als im Vorjahr. „In den kommenden zehn Jahren wollen wir mit Hilfe von großen Solarkraftwerken und einer Vielzahl kleiner Solardächer rund zehn Prozent des heimischen Raumwärmebedarfs sowie nahezu 30 Prozent des Strombedarfs decken“, beziffert BSW-Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig die mittelfristigen Branchenziele.
Widerstand aus der Bevölkerung verhindert Großprojekte
Ausgebremst werden könnten diese Ziele durch den Widerstand in Politik und Bevölkerung, der sich auch im Kreis Segeberg gegen die Solarparks regt. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Großprojekte für Solarparks angekündigt – und scheiterten schließlich.
In Tarbek zum Beispiel sollte eine Photovoltaik-Anlage auf einem 80 Hektar großen Kieskuhlengelände von einem Investor aus Meppen realisiert werden. „Das Projekt ist gestorben“, teilt Bürgermeister Jörg Saggau mit. Warum? Er schüttelt den Kopf. „Darüber möchte ich nichts sagen.“ Er lässt allerdings durchblicken, dass das angedachte Gelände nicht zum Verkauf stand.
Für die Gemeinden kann der Bau von Photovoltaik-Anlagen im großen Stil ein sehr lukratives Geschäft sein. Viele Investoren locken mit interessanten Angeboten: Beim angedachten Projekt auf dem Gebiet von Tarbek wurden der Gemeinde bis zu 90 Prozent der Gewerbesteuern in Aussicht gestellt.
Außerdem sollten 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde in die Gemeindekasse fließen, etwa 160.000 Euro pro Jahr – und das über garantierte 30 Jahre. Viele Gemeindepolitiker sehen darin eine gute Möglichkeit, die Gemeindefinanzen auf Vordermann zu bringen.
Photovoltaik: In Pronstorf wurde der Investor aus dem Dorf gejagt
Kein Wunder also, dass Investoren bei vielen Politikern gerne gesehen sind. Meistens jedenfalls. In Pronstorf war ein Photovoltaik-Park auf einer 90 Hektar großen Fläche geplant. Die Politiker sagten ja, die Bürger sagten nein. Per Bürgerentscheid wurden die Investoren aus dem Dorf gejagt.
Bürgermeisterin Bettina Albert gibt aber nicht auf: Sie initiierte im Laufe des vergangenen Jahres einen Klimadialog, um die Bürger doch noch ins Boot zu holen. „Das Projekt muss zwei Jahre ruhen, dann kann es einen neuen Anlauf geben“, sagt die Bürgermeisterin. „Ich hoffe, die Bürger sind dann mehrheitlich anderer Meinung.“ Ob der Investor dann allerdings noch Interesse hat, ist eine ganz andere Sache.
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In drei anderen Gemeinden im Kreis Segeberg gab es ebenfalls Bürgerentscheide gegen ähnliche Großprojekte. In Geschendorf entschieden sich die Gemeindepolitiker gegen eine Photovoltaik-Anlage entlang der Autobahn.