Kreis Segeberg. Segeberger Politiker liegt seit Monaten auf der Intensivstation und ist nicht in der Lage, sein Bundestagsmandat zurückzugeben.

Der für den Wahlkreis Segeberg – Stormarn-Nord zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete Gero Storjohann liegt seit dem 1. April vergangenen Jahres auf der Intensivstation und ist nach Angaben des CDU-Kreisvorsitzenden Ole-Christopher Plambeck nicht ansprechbar.

Zum Leid der Familie kommt die Ungewissheit über seine berufliche Zukunft. Da der in Seth lebende Abgeordnete selbst nicht in der Lage ist, sein Abgeordnetenmandat zurückzugehen, steht auch die Verwaltung des Bundestages vor einem Dilemma: Einen ähnlichen Fall hat es noch nie gegeben. Es bleibt unklar, wie mit einem Mandat im Betreuungsfall umgegangen werden muss.

Gero Storjohann: CDU-Bundestagsabgeordneter seit Monaten auf Intensivstation

Bis heute ist offiziell nicht bekannt, an welcher Art von Erkrankung Gero Storjohann, der im Februar 65 Jahre alt wird, leidet. Von der Familie gibt es keine offizielle Erklärung, aber schon im Frühjahr 2022 äußerten Parteifreunde die Vermutung, der langjährige Abgeordnete und ehemalige Segeberger Kreisvorsitzende der CDU habe wohl einen Schlaganfall erlitten. Das wurde bisher weder bestätigt noch dementiert.

Auch die politischen Kreise hatten selbst erst sehr spät von der Erkrankung und dem Zustand des Bundestagsabgeordneten erfahren.

Gero Storjohann: Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatt der Christdemokrat Ende März 2022

Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Gero Storjohann, der seit 2002 für die CDU im Bundestag sitzt und dort aktuell zum erweiterten Fraktionsvorstand gehört, Ende März vergangenen Jahres bei einer Tagung norddeutscher CDU-Verkehrspolitiker im Plaza Hotel Norderstedt. Danach verschwand er aus der Öffentlichkeit.

Gero Storjohanns letzter öffentlicher Auftritt am 31. März 2022 im Plaza Hotel Norderstedt. Links der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jörn Arp, in der Mitte CDU-Kreisvorsitzender Ole Plambeck.
Gero Storjohanns letzter öffentlicher Auftritt am 31. März 2022 im Plaza Hotel Norderstedt. Links der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jörn Arp, in der Mitte CDU-Kreisvorsitzender Ole Plambeck. © CDU

Der einzige Parteifreund, der Kontakt zur Familie Storjohann in Seth hält, ist der Landtagsabgeordnete Ole Christopher Plambeck (36), der 2021 den CDU-Kreisvorsitz als Nachfolger von Gero Storjohann übernommen hat. „Es ist derzeit keine gesundheitliche Veränderung in Sicht“, sagt der Politiker aus Henstedt-Ulzburg.

Gero Storjohann: Seit Monaten keine gesundheitlichen Veränderungen

Im September vergangenen Jahres hatte er auf Anfrage des Abendblatts eine offizielle Stellungnahme in Abstimmung mit Maren Storjohann, der Ehefrau des Bundestagsabgeordneten, herausgegeben. Darin hieß es, Gero Storjohann werde bis auf Weiteres in intensivmedizinischer Behandlung bleiben. So ist es auch heute noch.

Der Platz Storjohanns im Petitionsausschuss und im Familienausschuss ist schon seit Monaten von vorher festgelegten Stellvertretern übernommen worden. Sein Platz im Plenum des Bundestages aber bleibt nach wie vor leer. Auf der Website des Bundestagsabgeordneten ist die Erkrankung bisher noch kein Thema. Sie wird dort nicht erwähnt.

Gero Storjohann: Kann der Abgeordnete sein Mandat nur persönlich zurückgeben?

Wie aber geht es jetzt weiter? Diese Frage stellt sich nicht nur die Familie, sondern auch die Bundestagsverwaltung und die CDU/CSU-Fraktion. Ole-Christopher Plambeck und die Familie des Erkrankten gehen davon aus, dass ein Abgeordneter sein Mandat nur persönlich zurückgeben kann – was im Falle seines Parteifreundes aus gesundheitlichen Gründen aber nicht funktioniere.

Im  Oktober 2021 wurde Ole Plambeck (r.) zum neuen Kreisvorsitzenden der CDU gewählt. Vorgänger Gero Storjohann gratuliert.
Im Oktober 2021 wurde Ole Plambeck (r.) zum neuen Kreisvorsitzenden der CDU gewählt. Vorgänger Gero Storjohann gratuliert. © HA

Die Bundestagsverwaltung wurde mit einem derartigen Fall noch nie konfrontiert

Die Verwaltung des Deutschen Bundestages darf sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu einzelnen Abgeordneten äußern. Darauf weist das Pressereferat des Bundestages hin. Eine verbindliche Antwort gibt es derzeit wohl auch nicht.

„Allgemein kann mitgeteilt werden, dass es seit der Wahlrechtsreform von 2019 keine Erfahrungswerte zum Verlust des Mandats im Betreuungsfall gibt“, sagt Pressereferent Claus Hinterleitner.

Im Wahlkreis 8 (Segeberg – Stormarn-Mitte) wird Gero Storjohann seit Beginn seiner Erkrankung vom CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Helfrich (44) aus Dägeling (Kreis Steinburg) vertreten. Der energiepolitische Fachsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist Bundestagsabgeordneter für Steinburg - Dithmarschen Süd und damit auch zuständig für die Bereiche Bad Bramstedt und Bad Bramstedt-Land im Kreis Segeberg. Anfragen von Bürgern aus dem Wahlkreis 8 werden an ihn weitergeleitet.

Rechtswissenschaftler Ulrich Karpen hält einen Rücktritt Storjohanns für möglich

„Das ist eine schwierige Situation“, sagt Helfrich auf Anfrage des Abendblatts. Es habe in dieser Hinsicht bisher noch keinen Regelungsbedarf gegeben. „Eine Expertise ist also nicht abrufbar.“ Der Hamburger Rechtswissenschaftler Ulrich Karpen geht allerdings davon aus, dass ein Rücktritt Storjohanns möglich ist, auch wenn er aktuell nicht geschäftsfähig sei.

Er rät dazu, ein Team aus Leuten zusammenzustellen, die den Bundestagsabgeordneten gut kennen, um gemeinsam zu versuchen, dessen mutmaßlichen Willen herauszufinden. Komme das Team zu der Erkenntnis, dass eine Rückgabe des Mandates der vermutliche Wille des Erkrankten sei, müsse gegenüber der Bundestagspräsidentin eine entsprechende Erklärung abgegeben werden.

„Sie muss nicht zustimmen“, sagt Karpen, zu dessen Fachgebieten das Staats- und Verwaltungsrecht sowie Parlamentarismus gehören. „Es wäre aber angebracht, wenn sie sich die Sachlage auch von privater Seite erklären lassen würde.“ Ein derartiger Fall sei im Umfeld des Deutschen Bundestages bisher allerdings noch nicht vorgekommen.

Regelungen im Betreuungsrecht sind nicht eindeutig

Laut Betreuungsrecht gebe es natürlich die Möglichkeit, per Gericht einen Betreuer zu bestellen, sagt Ulrich Karpen, emeritierter Professor für Rechtswissenschaften und ehemaliger Bürgerschaftsabgeordneter in Hamburg. „Ich sehe aber keinen Grund, die Angehörigen herauszuziehen. In diesem Falle spricht vieles dafür, dass die Ehefrau und die Söhne die rechtliche Betreuung übernehmen.“

Katharina Rinne aus dem Juristenteam des Berufsverbandes der Berufsbetreuer geht hingegen davon aus, dass es sich bei einer Mandatsniederlegung um eine „höchstpersönliche Erklärung“ handelt, die weder von einem gerichtlich bestellten Betreuer, noch von Angehörigen abgegeben werden kann.

Eine Betreuungsverfügung reicht vermutlich nicht aus

Auch eine Betreuungsverfügung reiche hier nicht aus - mit einer Ausnahme: „Wenn der Abgeordnete in seiner Verfügung erklärt hat, dass er im Falle einer eintretenden Geschäftsunfähigkeit das Mandat niederlegt, dann können die Betreuer das für ihn erledigen“, sagt Katharina Rinne.

Sie verweist auf das neu in das Betreuungsrecht aufgenommene Ehegattenvertretungsrecht nach Paragraf 1358 des Bürgerlichen Gesetzbuches, wo es ausdrücklich um die Vertretung in Angelegenheiten der Gesundheitsvorsorge geht. „Es gibt daher keine Rechtsgrundlage, wonach Angehörige befugt sind, stellvertretend Erklärungen abzugehen“, sagt die Juristin, die aber auch deutlich macht, das dies nur eine vorläufige Einschätzung des Bundesverbandes der Berufsbetreuer/innen sein kann.

Gero Storjohann: Nachrückerin wäre Melanie Bernstein aus Wahlstedt

Sollte Gero Storjohann sein Mandat zurückgeben, oder sollte es von seinem Umfeld veranlasst werden, so wäre Melanie Bernstein (46) die nächste Nachrückerin auf der CDU-Landesliste Schleswig-Holstein. Die Wahlstedterin ist stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende in Segeberg. Sie war vier Jahre Bundestagsabgeordnete, hatte aber im Wahlkreis Plön-Segeberg 2021 den Wiedereinzug in den Bundestag knapp verpasst. Zurzeit ist sie Co-Geschäftsführerin der Kommunikations- und Werbeagentur Inmedium in Neumünster.