Henstedt-Ulzburg. Die „Hamburger Kammersolisten“ gaben im Bürgerhaus am Beckersberg ein Konzert mit vielen Überraschungen.
Jubel im Bürgerhaus! Die „Hamburger Kammersolisten“ brachten das Publikum im gut besetzten Saal am Beckersberg in Henstedt-Ulzburg vor allem mit ihrem schwungvollen zweiten Konzertteil schier aus dem Häuschen. Die ansonsten eher zurückhaltenden „Nordlichter“ riefen lautstark „Bravo“ und „Zugabe“ und gaben tosenden Applaus.
Sogar die kleine Satzpause im Cello-Konzert mit Solist Valeri Krivoborodov war vor dem Klatschen des Publikums nicht sicher, darunter Bürgermeisterin Ulrike Schmidt. Nach zwei Jahren Konzert-Enthaltsamkeit aufgrund Corona wollten es die Henstedt-Ulzburger wissen – und genossen dieses erste große Konzert im neuen Jahr mit allen Sinnen.
Henstedt-Ulzburg: Neujahrskonzert im Bürgerhaus – Das fängt ja gut an!
Stefan Czermak und seine Hamburger Kammersolisten wussten indes auch genau, wie ein Konzert zum Jahreswechsel klingen muss und packten schwungvolle Neujahrs-Hits aus. Routiniert zupackend punkteten sie gleich mit der Ouvertüre zu Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Figaros Hochzeit“, bevor Tenor Daniel Schliewa die Cavaradossi-Arie „E lucevan le stelle“ aus Giacomo Puccinis Oper „Tosca“ völlig überdramatisierte und damit seine Stimme überdrehte.
Dagegen war die sanfte Interpretation des Orchesters von Edward Elgars Lied „Salut d’Amour“ eine Wohltat. In der Arie „Si mi chiamano Mimi“ aus Puccinis Oper „La Bohème“ zeigte Sopranistin Annika Eger einen lyrischen, gleichwohl kraftvollen Sopran und fühlte sich sensibel in die Rolle der Mimi hinein.
Henstedt-Ulzburg: Star des ersten Konzertteils war Cellist Valeri Krivoborodov
Star des ersten Konzertteils aber war Cellist Valeri Krivoborodov, der schon seit mindestens 40 Jahren mit Orchesterleiter Stefan Czermak in verschiedenen Formationen über norddeutsche Bühnen tourt. Zu dem Herren-Duo gesellt sich oft und gern die Pianistin Edda Blufarb aus Henstedt-Ulzburg, die diesmal aber leider nicht dabei war.
Mit den Sätzen Adagio und Allegro molto des Cellokonzerts C-Dur, Nr. 1, von Joseph Haydn zeigte Valeri Krivoborodov seine ganze Meisterschaft an seinem geliebten Cello. Innig erfüllte er das Adagio mit Melancholie und sang auf seinem Instrument ein Lied voll barocker Klangfarben.
Nicht er folgte dem Orchester, das Orchester folgte ihm – nicht ganz ohne Blessuren. Den dritten Satz, das Allegro molto, formte er forsch aus, voll Vehemenz und Hingabe.
Annika Eger und Daniel Schliewa sangen „O soave fanciulla“ aus „La Bohème“
Mit dem Intermezzo Sinfonico aus der einaktigen Oper „Cavalleria Rusticana“ von Pietro Mascagni servierte das Ensemble mit viel Schmelz einen weiteren Klassik-Ohrwurm, gefolgt von „O soave fanciulla“ aus Puccinis Oper „La Bohème“, gesungen von Annika Eger und Daniel Schliewa. Der Tenor ließ wiederum ein ehrliches Gefühl missen, sang seine Rolle ohne innere Teilnahme, dafür laut, gleichwohl ihm seine Duo-Partnerin Annika Eger mit ihrer innigen Darstellung reichlich Brücken baute.
Im zweiten Teil starteten die Hamburger Kammersolisten mit Jacques Offenbachs Ouvertüre zur Operette „Orpheus in der Unterwelt“ mit Bravour. Stefan Czermak, der seine Musikerinnen und Musiker vom Geigenpult aus leitete, begeisterte solistisch mit feiner Bogenarbeit. Das Publikum dankte mit ersten Bravos. Im zweiten Set war Tenor Daniel Schliewa fast wie ausgewechselt.
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Zwiespältige Wahl: „Wolgalied“ aus „Der Zarewitzsch“ von Franz Léhar
Fehlte es ihm in dem berühmten „Wolgalied“ aus Franz Lehárs Operette „Der Zarewitsch“ – seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine eine zwiespältige Programmwahl, zeigt die Arie doch einerseits den Krieg, zum zweiten aber auch die Verlassenheit eines Soldaten – noch an Demut, so ging er im Duett „Tanzen möcht ich“ aus der Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kalman auf seine Partnerin ein und sang mit ihr – und nicht nur für sich.
Zuvor überzeugte Annika Eger im Viljalied aus der Operette „Die lustige Witwe“ von Lehár. Beim Kaiserwalzer von Johann Strauß haute das Blech ein paar Schrägheiten raus, offenbar absichtlich, schließlich ist Neujahr.
„Sweet Georgia Brown“ brachte eine ungemein quirlige Prise Swing
Im Zugabenblock begeisterte das Orchester erst mit dem Paul-Lincke-Lied „Das ist die Berliner Luft“. Doch dann lieferte Klarinettist Christian Seibold ein ebensolches Meisterstück ab wie Valeri Krivoborodov mit seinem Cello im ersten Teil. Seibold hatte „Sweet Georgia Brown“ neu arrangiert und spielte den Swing derart mitreißend, als hätte er das ganze Konzert über nur auf diesen Moment gewartet.
Der Mann hüpfte und drehte sich vor Spielfreude, fand immer neue Variationen des alten Dixie-Teils und durchpustete das ganze traditionelle Konzert mit einer ungemein quirligen Brise Swing. Gegen diesen prickelnden Wind war der übliche Neujahrs-Rausschmeißer Radetzky-Marsch nur noch ein laues Lüftchen.