Norderstedt. Noch nie hat die Stadt so hohe Einnahmen erzielt wie 2022 – trotz Ukraine-Krieg und Corona-Folgen. Diese Strategie steckt dahinter.

Diese Zahl lässt aufhorchen: Norderstedt hat in diesem Jahr seine bisherige Rekordeinnahme an Gewerbesteuer mehr oder weniger pulverisiert. Wie Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder – durchaus mit viel Stolz – auf der traditionellen Jahresabschluss-Pressekonferenz berichtete, hat die Verwaltung ihre bisherige Prognose von zunächst 112 Millionen Euro deutlich nach oben korrigiert auf nunmehr 154 Millionen Euro. Selbst umgerechnet auf die Einwohnerzahl der größten Stadt im Kreis ist diese Summe, die ein wichtiger Indikator für den Erfolg der hiesigen Wirtschaft ist, ohne Vergleich. Und das trotz des Kriegs in der Ukraine und der Nachwehen der Corona-Pandemie.

Damit manifestiert sich die Sonderstellung von Norderstedt in der Metropolregion, unter anderem begünstigt durch die direkte Nachbarschaft zum Hamburger Flughafen. „Wir sind in den Gewerbegebieten breit aufgestellt, haben große Player, kleinere Player. Wir sind nicht von einer Branche abhängig, haben Medizinfirmen, haben Firmen, die am Flughafen hängen, Transport und Logistik“, so Elke Christina Roeder.

Gewerbesteuer: Norderstedt vermeldet ein Rekordjahr

Sie zählt einige der bekanntesten Unternehmen auf: Tesa, Condair, Jungheinrich, Johnson & Johnson, Schülke & Mayr. Doch auch eine kleine Tischlerei, eine Bäckerei trage ihren Teil bei. Wer sich in der Stadt umschaut, sieht beispielsweise das laufende Neubau-Vorhaben des Finanzdienstleisters Serrala (400 Beschäftigte) im Nordport, nur wenige Hundert Meter von der Tesa-Unternehmenzentrale entfernt – damals, 2015, der wohl bisher größte Coup in der Ansiedlungspolitik.

Doch gerade im Norden der Stadt sind die Areale im Frederikspark jene, auf die jetzt gesetzt wird. Hier gibt es Potenzial, derzeit läuft von der Lawaetzstraße aus eine weitere Erschließung. Mehrere freie Flächen sind in der Vermarktung. Entscheidender Faktor bei der Wirtschaftsförderung ist die Entwicklungsgesellschaft (EGNO) Norderstedt mit Geschäftsführer Marc-Mario Bertermann. „Wir sind zufrieden, was das Ansiedlungsgeschäft angeht. Der Ukraine-Krieg wirkt sich aus, es ist anders als bei Corona, das hatten wir kaum gemerkt.“

Der Finanzdienstleiter Serrala (400 Beschäftigte) baut im Nordport seine neue Unternehmenszentrale.
Der Finanzdienstleiter Serrala (400 Beschäftigte) baut im Nordport seine neue Unternehmenszentrale. © Christopher Mey

Nordgate: Norderstedt nimmt mehr Gewerbesteuer ein als die Partner zusammengerechnet

Über den Nordgate-Verbund kooperiert Norderstedt mit den Nachbarn: Quickborn, Henstedt-Ulzburg, Kaltenkirchen, Bad Bramstedt, Neumünster. Firmen, die sich in der Region niederlassen oder expandieren wollen, werden auf die Internetseite des Zusammenschlusses geleitet. Dort sind dann Exposés verfügbar. Die EGNO hat nach eigenen Angaben derzeit fünf Grundstücke im Angebot – drei im Nordport, zwei im Frederikspark, von 3700 bis 30.000 Quadratmeter. Das Nordgate-Credo: Die Wirtschaftskraft entlang der Autobahn 7 soll gestärkt werden. Wo dann gebaut wird, wäre theoretisch dann zweitrangig. Bertermann sagt für seine Stadt: „Noch verfügen wir über Flächen – aber nie so viel, wie wir gerne hätten.“

Die fünf Nordgate-Partner kommen zusammen nicht auf die Gewerbesteuereinnahmen von Norderstedt. Neumünster rechnet 2022 mit 61 Millionen Euro, Kaltenkirchen hat kürzlich seine Prognose auf 23 Millionen Euro erhöht. Auch Henstedt-Ulzburg kalkulierte zuletzt nach dem dritten Quartal neu – der Ansatz für das Jahr lag bei 15,4 Millionen Euro, korrigiert waren es 21,4 Millionen. Die Stadt Quickborn nimmt 2022 nach letzter Schätzung die Summe von 16,3 Millionen Euro ein. Bad Bramstedt ist da vergleichsweise kleiner aufgestellt mit 5 Millionen Euro.

Marc-Mario Bertermann, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO).
Marc-Mario Bertermann, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt (EGNO). © Felix Matthies

Ansiedlungspolitik: Verschiedene Kriterien spielen für Norderstedt eine Rolle

Im Falle von Norderstedt bleibt, abzüglich der Kreisumlage und der Zahlungen im Rahmen des Finanzausgleichs, ungefähr die Hälfte übrig. „Die Gewerbesteuer ist mit Abstand der größte Einnahmeposten in der Stadt.“ Ohne diese wären viele Investitionen und Projekte nicht möglich, sagt der EGNO-Geschäftsführer.

Aber: Sie ist nicht mehr das alleinige Kriterium.“ Bei den Verhandlungen mit Unternehmen müssen diese heutzutage verschiedenste Kriterien erfüllen. „Früher war Nachhaltigkeit kein Muss, wir haben nicht darauf geachtet, welche Heizung eingebaut wird“, sagt Bertermann. Architektonische Faktoren spielen eine Rolle, auch die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Norderstedt: „Sensible Zahl“ – vorsichtige Prognose für das Jahr 2023

Ein Thema sei dazu nicht nur die Erschließung neuer Flächen, sondern auch die Entwicklung im Bestand. „Wir wollen sicherstellen, dass wir keine Brachen, keine Leerstands-Wüsten haben.“ Die EGNO pflegt eine Datenbank für Gewerbeimmobilien. „Über 98 Prozent des Leerstandes in der Stadt wissen wir Bescheid, wir sind mit Eigentümern und Maklern im Gespräch.“

Wie 2023 wird? Da will die Stadt nicht zu weit vorpreschen. „Die Gewerbesteuer ist eine sensible Zahl“, sagt die Oberbürgermeisterin. Und Jens Rapude, Fachbereichsleiter für Finanzen, also der Herr über die Zahlen im Rathaus, bleibt nach mehreren Krisen-Jahren erst einmal konservativ. „Meine Aufgabe ist es, auf die Euphoriebremse zu treten. 2023 ist völlig offen.“ Deswegen kalkuliert er zunächst mit einer Schätzung von 130 Millionen Euro.