Norderstedt. Theo Weirich geht in den Ruhestand. So hat er die Stadt in 24 Jahren zum bundesweiten Vorreiter bei Glasfaser und WLAN gemacht.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang war er hier im Norden der wichtigste Kommunikator, was das schnelle Internet und WLAN-Verbindungen angeht. Fast 24 Jahre lang leitete Theo Weirich wilhelm,tel, die Tochter der Stadtwerke Norderstedt, die bundesweit zu den Pionieren im Glasfasergeschäft zählt. Jetzt geht der pfiffige Pfälzer, der mit seiner Familie in Lübeck lebt, mit 67 Jahren in den offiziellen Ruhestand. Ganz weg werde er nicht sein, versichert Weirich. „Ich werde noch irgendetwas tun, sonst bin ich dement.“

Norderstedt: Theo Weirich – er startete die Internet-Revolution nördlich von Hamburg

In Kaiserslautern, der größten Garnisonsstadt der US-Streitkräfte hierzulande, ist Weirich aufgewachsen. „Die Amis waren immer großzügig“, erinnert er sich an seine Kindheit Anfang der 1960er Jahre. Die spendierten dem kleinen Theo Kaugummi und leckeres Fruchteis. Dann begann er 1970 seine Lehre als Starkstrom-Elektriker bei einer großen französischen Reifenfirma.

„Das war eine extra harte Ausbildung“, erinnert sich Weirich an die ersten Lehrjahre und zeigt sein Original-Berichtsheft vor. In akkurater, fehlerloser mit dem feinen Füllfederhalter gezeichneter Druckschrift beschreibt er darin zum Beispiel, wie ein Vierkant mit dem Schraubkopf hergestellt wird. Mit 15 Punkten, Note gut, wurde das bewertet. Aber die angefertigte Skizze sei doch „sehr unsauber“, urteilte sein Berufsschullehrer.

Nach dem Studium war Oskar Lafontaine sein oberster Chef

Weirich schloss ein Diplomstudium zum Ingenieur der Elektrotechnik ab und heuerte 1979 bei den Stadtwerken in Saarbrücken an. Deren oberster Chef war Oskar Lafontaine, der damals Oberbürgermeister von Saarbrücken war. Acht Jahre kümmerte sich Weirich dort um den Aufbau des Fernwärmenetzes. Als eine der deutschlandweit ersten kommunalen Energieversorger investierten die Stadtwerke im Saarland in Solarstromanlagen, Photovoltaik, im „100-Dächer-Programm“. Es war eines der ersten Projekte einer Energiewende zu erneuerbaren Energieformen, die hier damals nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl entstanden.

2011 war Theo Weirich zu Gesprächen im Bundeskanzleramt – auf dem offiziellen Foto stand er direkt hinter Angela Merkel.
2011 war Theo Weirich zu Gesprächen im Bundeskanzleramt – auf dem offiziellen Foto stand er direkt hinter Angela Merkel. © Repro: Burkhard Fuchs

Danach war er ein Jahr lang Werkleiter in der kleinen Gemeinde Sulzbach im Taunus. Doch das gefiel ihm ebenso wenig wie seinem Vater, der zu Theo sagte: „Dafür habe ich dir aber nicht das Studium bezahlt.“ So wechselte er zu dem Schweizer Unternehmen Landis Gyr, das sehr erfolgreich Stromzähler und Messtechniksysteme herstellte. Weirich arbeitete zunächst in der Zentrale in Zug. Später in Niederlassungen in Frankfurt, Berlin und London. „In England habe ich gelernt, wie man Gas und Strom verkauft“, erzählt Weirich. Die Leute kauften sich am Kiosk dafür einen Token für zehn oder 20 Pfund, den sie dann zu Hause in ihre Stromzählergeräte steckten. Ein völlig anderes Payment-System als hierzulande.

Über eine Firma aus der Schweiz kam der Kontakt nach Norderstedt zustande

Über diese Schweizer Firma kam nun der Kontakt nach Norderstedt zustande. Landis Gyr hatten den Norderstedter Stadtwerken schon Anfang der 1980er Jahre Netzleitwerke geliefert, mit denen sie zentral Strom, Gas und Fernwärme steuern und überwachen konnten, berichtet Volker Hallwachs, von 1971 bis 2009 Werkleiter in Norderstedt. Hallwachs plante, mit den Stadtwerken ins Kommunikationsgeschäft einzusteigen, und fragte an, ob die Schweizer ihm nicht einen guten Mann empfehlen könnten.

So kam Weirich nach Norderstedt. „Nach sechs Wochen wollte ich wieder weg“, erinnert sich Weirich an die Anfangszeit 1998. Da wohnte er in Berlin. Wenn er dort spätabends vom Einsatz nach Hause kam, konnte er noch beim Türken um die Ecke was zu essen bekommen. In der norddeutschen Provinz war das dagegen nicht möglich.

So kam Theo Weirich auf den Namen „wilhelm.tel“

Doch dann wurde seine Firma an die große Siemens verkauft, die das Unternehmen aber schon 2002 wieder veräußerte. Für Weirich, der immer ein Herz für die Kleinen und Schwachen hatte, ein Grund, nun doch nach Norderstedt zu gehen und dort was völlig Neues aufzubauen. Norder.tel sollte das Projekt hier zunächst heißen, so wie viele andere Telekommunikationssparten, die einen Teil ihres Städtenamens damit verbanden. Doch das war Weirich zu einfach, zu billig. So schlug er Hallwachs in kleiner Runde den Namen wilhelm.tel vor. Das erinnerte an den Schweizer Volkshelden und Freiheitskämpfer und passte irgendwie zu der Idee, mit einer kleinen Stadtwerkesparte der großen Telekom Paroli bieten zu wollen.

In seinen Werbekampagnen spielte Theo Weirich gerne mit dem Image des kleinen aufstrebenden Unternehmens, das den Großen der Branche das Fürchten lehren wollte.
In seinen Werbekampagnen spielte Theo Weirich gerne mit dem Image des kleinen aufstrebenden Unternehmens, das den Großen der Branche das Fürchten lehren wollte. © Burkhard Fuchs

Hallwachs stimmte zu, und so entstand jenes Unternehmen, das eine rasante Entwicklung im Aufbau des schnellen Internets nehmen sollte und heute mit 130 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 110 Millionen Euro sowie einem Gewinn nach Steuern von 24 Millionen Euro das mit Abstand ertragreichste Unternehmen in Norderstedt ist – und die Cashcow der Norderstedter Stadtwerke. „Wilhelm.tel ist ein deutscher Name, einfach zu verstehen und ein bisschen provokant“, sagt Weirich heute und fügt in seiner stets humorvollen Art und Weise hinzu: „Und wir haben die Schreibweise von Wilhelm Tell geändert. Hier schreibt das keiner mehr mit zwei L.“ Und natürlich sei auch „ein gerüttelt Maß an Trotz, viel Liebe und Leidenschaft dabei gewesen, Das gehört in einem erfolgreichen Unternehmen immer dazu.“

Glasfasernetz: Ganz Norderstedt angeschlossen – dann wurde expandiert

Für 60 Millionen Euro wurde nun ganz Norderstedt, jedes einzelne Haus, an das Glasfasernetz angeschlossen. Geplant waren 60 Millionen Mark. Aber der Erfolg gab Weirich und den anderen Machern des jungen städtischen Unternehmens Recht. „Nach fünf Jahren waren wir durch.“ Norderstedt braucht keine Miete für das Glasfasernetz zu zahlen. „Das gehört uns. Das ist ein großer Vorteil.“ Wilhelm.tel erzielte Gewinne. Alveslohe, Ellerau, Henstedt-Ulzburg, später Pinneberg, Halstenbek, Kayhude oder Tangstedt wurden ans Netz angeschlossen. Sogar die Festivalbesucher vom Wacken Open Air an der Westküste surfen über das Norderstedter Unternehmen im weltweiten Datennetz.

Dann kam mit Mobyklick das freie WLAN-Netz hinzu, an das heute 160 Bahnhöfe, 1100 Busse und 12.000 Haltestellen in und Hamburg über AKN, VHH und Hamburger Hochbahn angeschlossen sind. Selbst die Hamburger Elphi gehört dazu. Mit dem Hamburger Partner willy.tel hat wilhelm.tel zudem alle großen Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften wie die Saga ins Glasfaser-Boot geholt. Rund eine halbe Million Haushalte in Hamburg surft zu Hause in bis zu Gigawattgeschwindigkeit im Datennetz.

„Weirich ist vor allem ein unglaubliches Verkaufstalent“

Gerade diese Kontakte zur Wohnungswirtschaft brachten wilhelm.tel auf Wachstumskurs und auf eine Erfolgsspur – dank Theo Weirich, lobt der damalige Werkleiter Hallwachs. „Weirich ist vor allem ein unglaubliches Verkaufstalent.“ Das habe sich ausgezahlt für die Stadtwerke. Und er sprühte immer nur so vor Ideen, erinnert sich Hallwachs. „Jeden zweiten Tag kam er mit einer neuen Idee an und jeden siebten Tag habe ich sie akzeptiert.“ Ein Wagemut, der Norderstedt in der Internet-Szene zu einem großen Namen gemacht hat. Durch die rasend schnelle Download-Geschwindigkeit, die hier das ruckelfreie Streamen von Filmen schon seit Jahren zum Standard macht, gehört Norderstedt zu den weltweit größten Download-Knotenpunkten im weltweiten Datennetz.

Anfangs sehr zum Ärger der großen Anbieter. Da ließ Weirich gern mal witzige und vergleichende Werbeplakate drucken, die Norderstedt als „Europas Hauptstadt der Kommunikation“ darstellten, wo es Zeit „zum Umstöpseln“ sei. Auch mit dem berühmten Apfelschuss des Namensgebers kokettierte der Mann an der Spitze. „Mir hat es immer Spaß gemacht, mich mit den Großen der Branche anzulegen“, sagt Weirich. Einige konnten den Spaß nicht verstehen und klagten gegen den unlauteren Wettbewerb aus der aufstrebenden norddeutschen Glasfaserszene. Doch wilhelm.tel parierte alle Anwürfe, und es zeigte Weirich: „Die haben Angst vor uns.“ Aber auch das ist Geschichte. Heute kooperieren wilhelm.tel und die Deutsche Telekom und sind Partner im Business.

Längst ist nicht nur wilhelm.tel, sondern auch sein Erfinder Theo Weirich fest etabliert. So ist er seit vielen Jahren Präsident des Bundesverbandes der Glasfaserunternehmen, dem inzwischen 150 Mitglieder angehören. Die jährliche Verbandstagung wird regelmäßig hier im Kulturwerk oder an der Alster in Hamburg abgehalten.

Stolz ist er über die Beteiligung am weltgrößten Radioteleskop

Besonders stolz ist Weirich darauf, dass es ihm gelungen ist, Norderstedt zum Teil des weltweit größten Radioteleskops zu machen. Auf einem Feld im Harthagen sind etliche Antennen installiert, die zu 100.000 Einzelantennen gehören, die sich über sechs europäische Länder von Schweden über Deutschland bis Frankreich sowie von England über Holland bis Polen erstrecken. Von hier aus erforscht Prof. Marcus Brüggen, Professor für Extragalaktische Astrophysik und Kosmologie an der Universität Hamburg, das Weltall und seinen Ursprung. „Norderstedt schließt hier die Lücke ins Universum. Darauf kann die Stadt nur stolz sein“, ist Weirich überzeugt.

Aber davon musste er auch die Verwaltungsspitze überzeugen. Ein einflussreicher damaliger Stadtrat habe ihm davon abgeraten. „Das ist doch nix für Norderstedt“, winkte der ab. Weirich, schlagfertig wie immer, konterte mit den Spruch, er freue sich schon auf das Gesicht, das Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote machen werde, wenn er höre, dass Tangstedt das Radioteleskop bekommen hat. Das saß.

Norderstedt: Gerne hätte er eine Fachhochschule angesiedelt

Es ist Teil hochwissenschaftlicher Grundlagenforschung, erklärt Weirich. Darum bedauert er auch, dass er es nicht schaffte, hier in Norderstedt eine Fachhochschule oder einen Lehrstuhl zu etablieren. Dafür seien die Widerstände im Bildungsministerium zu groß gewesen. Aber das wäre noch ein dickes Brett, das seine Nachfolger endlich anbohren könnten.

Denn als Studierendenstadt würde sich Norderstedt automatisch verjüngen und könnte ihren technologischen Fortschritt in wissenschaftlichen Transfer ummünzen. „Die Menschen müssen hierher kommen wollen. Das ist wichtig für eine wachsende Stadt wie Norderstedt“, weiß Weirich.

Norderstedt: Stadtwerke und wilhelm.tel sind die wirtschaftliche Basis

Seine wichtigste Botschaft an die Stadtväter und –mütter dieser Stadt ist es, die Erfolgsgeschichte von wilhelm.tel weiterlaufen zu lassen. „Die Stadtwerke und wilhelm.tel sind ein Erbhof, eine Institution. Sie sind die wirtschaftliche Basis von Norderstedt. Sie gehören dieser und den nächsten Generationen. Beide dürfen niemals verkauft werden“, fordert Weirich.

Mit einem Zitat des Apple-Begründers Steve Jobs, der ja auch anfangs den Computerriesen IBM ziemlich geärgert hat, kann sich der scheidende Norderstedter Innovator Weirich gut identifizieren. Der soll auf die Frage, was sie als Nächsten tun sollten, zu seinen Mitarbeitern gesagt haben: „Wir sind hier, um eine Delle im Universum zu hinterlassen. Denkt das Undenkbare.“