Norderstedt. Norderstedter wollte sich Geld erschleichen, das für Flutopfer im Ahrtal vorgesehen war. Wie das Gericht urteilte.

Im Sommer 2021 war sie geradezu allgegenwärtig: Die Berichterstattung über die Flut im rheinländischen Ahrtal, bei der viele Menschen ihre Häuser verloren. Das verführte offenbar einen damals 43 Jahre alten Norderstedter zu dem Versuch, sich Geld aus einem staatlichen Soforthilfe-Topf für die Flutopfer zu erschleichen. Deshalb musste er sich am Dienstag vor dem Norderstedter Amtsgericht verantworten.

Mit Kapuzenpulli und in gebückter Haltung erschien der Angeklagte Ronny H. in Begleitung seines Rechtsanwalts Jens Hummel zur Verhandlung. Die Vorwürfe wogen schwer: „Versuchter Betrug“ und „Fälschung beweiserheblicher Daten“ lautete die Anklage der Staatsanwaltschaft.

Amtsgericht Norderstedt: Versuchter Hilfsgeld-Betrug war „extrem dummer Fehler“

Mit insgesamt acht gefälschten Hilfsanträgen habe Ronny H. versucht, sich insgesamt 28.000 Euro zu erschleichen. Die Anträge habe er unter Verwendung von Namen real existierender Personen gestellt, die tatsächlich in dem Ort Bad Neuenahr bei Bonn wohnen, der stark von der Flut betroffen war.

So weit, so unstrittig – Ronny H. war schon zu Beginn der Verhandlung voll geständig. Die Betrugsversuche, alle durchgeführt an zwei Tagen im Juli 2021, gab er unumwunden zu. „Ich kann nur sagen, das war ein extrem dummer Fehler von mir. Ich habe ganz frech versucht, mit der Hand in diesen Hilfsgeld-Topf zu greifen.“

TV-Bericht machte Ronny H. darauf aufmerksam, dass Flutopfer Geld beantragen konnten

Bild von der Flut im Sommer 2021: Dörfer wie Altenahr-Kreuzberg in Rheinland-Pfalz wurden zerstört.
Bild von der Flut im Sommer 2021: Dörfer wie Altenahr-Kreuzberg in Rheinland-Pfalz wurden zerstört. © dpa | oris Roessler

Durch einen Fernsehbericht sei er darauf aufmerksam geworden, dass es für Flutopfer Geld gebe. Also habe er „im Internet und im Telefonbuch“ Namen aus einem geschädigten Ort herausgesucht und die Anträge zu jeweils 3500 Euro Soforthilfe beim Statistischen Landesamt Rheinland-Pfalz eingereicht.

Dort fiel der Betrugsversuch allerdings sehr schnell auf – denn Ronny H. trug zwar Namen von Menschen aus Bad Neuenahr in die elektronischen Formulare ein, allerdings gab er falsche Geburtsdaten an. Und er schrieb immer wieder nur eine E-Mail-Adresse und auch nur eine Kontonummer in die Formulare: seine eigene. Das Landesamt sperrte die Auszahlung der Hilfsgelder und verständigte die Polizei.

44-Jähriger hat schon 26 Vorstrafen angesammelt, die meisten wegen Betrug

Mit der hatte Ronny H. schon oft zu tun. Ganze 26 Vorstrafen hat er in seinem Leben angesammelt, die meisten davon wegen Betrug. Mehrere Haftstrafen saß er deshalb ab, zuletzt ein Jahr und drei Monate in der JVA Neumünster.

Dabei ist er durchaus schon einem normalen Beruf nachgegangen. Ronny H., aufgewachsen in Wismar, ledig und kinderlos, verließ nach neun Jahren die Schule, um dann Landschaftsgärtner zu werden. Später jobbte er als „Call Center Agent“ in Berlin, wie er erzählte. Apple-Produkte habe er am Telefon verkauft, iPads und iPhones, „wie geschmiert“ sei das gelaufen.

Wurzel des Problems sei „Kaufsucht“ gewesen, wie der Rechtsanwalt sagte

Später kam ein Job als Lastwagenfahrer bei einer Umzugsfirma in Hamburg, den er aber wegen einer Augenkrankheit nicht mehr habe ausüben können. H. wurde kriminell, „baute Mist“, wie er selbst sagt, deshalb habe er auch „zu Recht“ im Gefängnis gesessen.

Als Wurzel des Problems sieht er selbst und sieht auch sein Anwalt Jens Hummel eine „Kaufsucht“, die Ronny H. nun aber überwunden habe. Eine Psychotherapeutin aus Norderstedt habe dabei geholfen, außerdem auch Gespräche mit einer Sozialpädagogin in der JVA Neumünster.

„Nie, nie wieder“ wolle er kriminelle Dinge tun, habe er seinen Eltern versprochen

Jetzt habe Ronny H., aktuell in Privatinsolvenz, einen Job in Aussicht – „Kisten packen“ für ein großes Handelsunternehmen, im Januar könne es losgehen. Das Gericht bat er um „diese eine, letzte Chance“, denn er wolle „einfach sein normales Leben zurück“. „Nie, nie wieder“ wolle er kriminell werden, das habe er auch seinen Eltern versprochen.

Dass er zu diesen und auch den Geschwistern ein gutes Verhältnis habe, betonte auch Anwalt Jens Hummel. Das stabile familiäre Umfeld seines Mandanten spreche für eine „positive Sozialprognose“, sodass er auf eine einjährige Haftstrafe plädierte, allerdings ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung.

Norderstedt: Die Amtsrichterin folgte den Argumenten des Rechtsanwalts nicht

Die Richterin folgte dieser Argumentation nicht. Sie verhängte eine Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, ohne Bewährung, und folgte damit der Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie betonte, dass schon mehrere von Ronny H.s früheren Haftstrafen zur Bewährung ausgesetzt worden seien. „Das hat bei Ihnen aber nie zu einer Verhaltensänderung geführt“, sagte sie dem sichtlich betroffenen Angeklagten.

Eine positive Sozialprognose sah sie nicht, dafür sei die Jobaussicht „zu fragil“, ebenfalls sei fraglich, ob die Kaufsucht überwunden sei. Unter anderem die „Verteidigung der Rechtsordnung“ gebiete nun, dass nicht wieder eine Bewährungsstrafe verhängt werde.

„Ich bin sehr enttäuscht“, gab Ronny H. nach der Verhandlung zu Protokoll. Rechtsanwalt Jens Hummel will in Berufung gehen. „Alles andere wäre nicht vernünftig“, sagte er.