Nahe. Mathias Arp ist Teil des Scream-Teams, das anderen Menschen leidenschaftlich gern Angst einjagt. Wovor er sich selbst fürchtet.

Mathias Arp spricht mit ruhiger, freundlicher Stimme. „Im Alltag bin ich nicht der Typ, der gerne im Mittelpunkt steht. Ich bin eher zurückhaltend“, sagt er. Der 49-Jährige sitzt auf einem Ledersofa in der NahBar und schminkt sich. Auf seine linke Wange klebt er eine geschwulstartige Warze aus Latex, auf die andere Seite eine Kakerlake aus Plastik. In einer Stunde sollen die ersten Kinder zur Halloween-Party in Nahes Kultkneipe kommen.

„Wir haben alle einen kleinen Sockenschuss. Aber ich lebe dafür – ich bin mit Herz und Seele Erschrecker“, sagt Arp. Der Kaltenkirchener gehört dem Scream-Team an – einer Gruppe von etwa 25 Menschen, die sich leidenschaftlich gern verkleiden und andere Leute erschrecken. Heute begleiten ihn Sonja Pruszynski und Ingo Dwinger zur Veranstaltung. „Ich liebe es, in andere Rollen zu schlüpfen. Das ist für mich ein Ausgleich zu meinem Bürojob. Und wann darf man schon mal andere Menschen einfach so anbrüllen?“, sagt Pruszynski und lacht.

Schreie als Belohnung: Tagsüber Informatiker – nebenbei Erschrecker mit Kettensäge

Sie trägt ein schwarzes Kleid, einen Umhang und einen Hexenhut, unter dem weiße lange Haare hervorschauen. Ihr Gesicht ist kreidebleich. Auf einem Auge trägt sie eine weiße Kontaktlinse – es sieht aus, als hätte sie keine Pupille. Ein ziemlich unheimlicher Anblick. Allerdings ist sie bei der Halloween-Party in der NahBar eine nette Hexe. Die Kinder sollen unterhalten werden. Und nicht völlig verängstigt nach Hause gehen.

Mathias Arp schminkt sich für seinen Auftritt bei der Halloween-Party in der NahBar als Erschrecker. Seit 2010 gehört er dem Scream-Team an.
Mathias Arp schminkt sich für seinen Auftritt bei der Halloween-Party in der NahBar als Erschrecker. Seit 2010 gehört er dem Scream-Team an. © Annabell Behrmann

Normalerweise können den Erschreckern die Schreie nicht laut genug sein. „Das ist wie eine Belohnung für mich“, sagt die 32 Jahre alte Hamburgerin. Mathias Arp nickt zustimmend. „Es kratzt an der Ehre, wenn sich Menschen nicht erschrecken. Dann laufe ich so lange hinterher, bis sie es doch tun.“ Bei ganz Hartgesottenen holt Arp die Kettensäge heraus. Er nennt sie seinen „Meinungsverstärker“. „Meistens reicht es schon, wenn die Leute die Geräusche der Kettensäge nur hören“, sagt er und grinst. Die Säge ist keine Attrappe, sondern echt – allerdings befindet sich keine Kette in dem Gerät.

Scream-Team hat mindestens 100 Auftritte im Jahr – und will kein Geld

Das Scream-Team spielt in Freizeitparks, Maislabyrinthen, privaten Feiern, Schulen und Geisterbahnen auf dem Hamburger Dom. Im Jahr hat es mindestens 100 Auftritte. Alles ehrenamtlich. Die Erschrecker wollen kein Geld für ihre Arbeit haben, obwohl sie manchmal mehr als neun Stunden durch die Geisterbahn rennen, alle 30 Sekunden Fahrgäste in einem Wagen anbrüllen und ihnen Angst einjagen.

Oder mehrere Kilometer am Tag durch ein Labyrinth irren. Das ist körperlich anstrengend. Manchmal haben sie am nächsten Tag Muskelkater und sind heiser. Aber sie sind dankbar dafür, ihr Hobby ausleben zu dürfen. „Das ist ein Geben und Nehmen. Für andere Hobbys wie Tennisspielen oder Segeln bekommst du ja auch kein Geld“, sagt Mathias Arp.

Halloween: Mathias Arp hat eine Leidenschaft für Freizeitparks

Eigentlich ist er Informatiker. Arbeitet in einem Büro in Hamburg-Schnelsen. Seine Aufgabe ist es, Software für ein Klimatechnikunternehmen zu testen. In seiner Freizeit erschreckt er seit mehr als 15 Jahren Menschen. Er ist eines der Gründungsmitglieder des Scream-Teams. Seine Leidenschaft hat er über ein anderes Hobby entdeckt – Freizeitparks. Schon als kleiner Junge hat er viel Zeit auf Jahrmärkten verbracht. Sein Großvater arbeitete in der Verwaltung und beschickte die Kirmessen. „Ich bin damit groß geworden.“

Susann und Florian Zawodnik haben sich mit ihren Kindern Henry (8) und Jodie (13) gruselig für die Halloween-Party in der NahBar verkleidet.
Susann und Florian Zawodnik haben sich mit ihren Kindern Henry (8) und Jodie (13) gruselig für die Halloween-Party in der NahBar verkleidet. © Annabell Behrmann

Eine besondere Vorliebe hat er für die amerikanischen Vergnügungsparks. In den USA wird Halloween exzessiv gefeiert. Dort ist Arp auch in Kontakt mit Erschreckern gekommen. Er fragte sich, ob diese nicht auch in Deutschland gut ankommen würden. So begann 2005 sein Doppelleben.

Erschrecker wollen Angst einjagen – aber Menschen nicht in Panik versetzen

Arp pudert sich sein Gesicht weiß ab, malt sich schwarzen Lack auf die Zähne und zieht eine Rüschenbluse an. Er hängt sich eine Totenkopfkette um den Hals, setzt eine Perücke auf und stülpt einen Käfig über seinen Kopf. Fertig ist die Verwandlung zum Käfigmann. Eine Stunde hat sie gedauert. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, schlüpft Arp in seine Rolle. Er wird selbstbewusster. Steht plötzlich gern im Mittelpunkt. Quatscht Fremde mit gruseligen Sprüchen an. Es ist ein bisschen wie Theaterspielen.

Draußen vor der Tür schnappt er den Namen eines Jungen auf. „Oh, der Name würde sich prima auf einem Grabstein machen“, sagt er. Dann winkt er die Kinder mit den Worten „Lecker Frühstück“ in die NahBar herein, und sie kichern. In der Geisterbahn wäre das Lachen der Fahrgäste eine Beleidigung für ihn. Heute ist das in Ordnung. Es gibt Grenzen. Auf kleine Kinder und ältere Damen nimmt das Scream-Team immer Rücksicht. „Die Menschen sollen sich erschrecken, aber keine Panik bekommen. Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wie weit man gehen kann.“

Braut schlug in der Geisterbahn mit Klobürste um sich

Ingo Dwinger hat die Angst einer Frau einmal besonders zu spüren bekommen. Während eines Junggesellinnenabschieds erschreckte er die Braut in der Geisterbahn so sehr, dass sie ihm die Klobürste, die zu ihrem Kostüm gehörte, zweimal ins Gesicht schlug. „Ein gewisses Berufsrisiko gehört dazu“, sagt er und lacht. Der 41-Jährige arbeitet ebenfalls als Informatiker. Der Job sei sehr kopflastig – als Erschrecker könne er sich am Wochenende austoben. Gerne schleicht er sich von hinten an seine „Opfer“ heran und flüstert ihnen etwas ins Ohr. „Von vorne kommen und ,Buh‘ schreien kann ja jeder.“

Ingo Dwinger vom Scream-Team schleicht sich gern von hinten an und flüstert Menschen etwas ins Ohr, um sie zu erschrecken.
Ingo Dwinger vom Scream-Team schleicht sich gern von hinten an und flüstert Menschen etwas ins Ohr, um sie zu erschrecken. © Annabell Behrmann

Anfassen ist tabu. Sonja Pruszynski starrt die Leute gerne an – und macht dann einen Satz nach vorne. Das Erschrecker-Team muss den perfekten Grusel-Moment abpassen. „Wenn wir anschließend beleidigt werden, ist das Lob für uns“, sagt Mathias Arp. Schreie und Beschimpfungen sind Musik in ihren Ohren.

Erschrecker: Wovor sich das Scream-Team selbst fürchtet

Gibt es denn auch etwas, vor dem sie sich fürchten? „Ich hasse Horrorfilme“, gesteht Pruszynski. Sie würde sich auch nie freiwillig in eine Geisterbahn setzen. Dort arbeiten ist für sie aber kein Problem. „Wenn ich mich selbst verkleide, kann es mir nicht gruselig genug sein.“

Mathias Arp, dem Kunstblut aus Mund und Nase läuft, kann im „echten Leben“ kein Blut sehen. Dann wird ihm schwummrig. In Wahrheit, wenn er nicht gerade als angsteinflößender Bauarbeiter, Holzfäller oder Käfigmann verkleidet ist und Menschen mit einem Schwert oder einer Kettensäge hinterherläuft, ist er aber auch ein ziemlich netter Kerl.

Das Scream-Team sucht „frisches Blut“: Wer mitmachen will, kann sich bei Mathias Arp melden. Mehr Infos unter www.scream-team.de