Norderstedt. Was Rechtsmediziner Klaus Püschel und Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in der JVA Glasmoor zu erzählen haben.

Er zählt zu den bekanntesten Rechtsmedizinern Deutschlands, obduzierte in Hamburg unzählige Leichen, darunter auch prominente wie die des am 11. Oktober 1987 mysteriös gestorbenen Uwe Barschel, dem Ex-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein – Seniorprofessor Klaus Püschel. Sie beobachtet die Dramen und Tragödien im Gerichtssaal als Reporterin für das Hamburger Abendblatt Bettina Mittelacher.

Gemeinsam bilden sie ein Autoren-Duo, dass auf abendblatt.de regelmäßig im erfolgreichen Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ spannende Fälle aus der Geschichte der Hamburger Rechtsmedizin nacherzählen. Und die außerdem zusammen im Ellert&Richter Verlag etliche Bücher dazu veröffentlicht haben.

Mord aus Leidenschaft – Crime-Lesung im „Knast-Museum“

Für ihre jüngste Lesung mit dem Titel „Tote lügen nicht“ in Norderstedt hatten sich die beiden am Wochenende den vielleicht passendsten Ort im Norden ausgesucht – das Gefängnismuseum der Justizstrafvollzugsanstalt Glasmoor, in dem Leiter Klaus Neuenhüsges Herr über verblüffende Exponate aus dem Knastalltag vergangener Jahrzehnte ist. Im Wechsel mit Püschel las Mittelacher den 30 Zuhörerinnen und Zuhörern im „Knast-Museum“ Grausiges recht genießerisch vor.

Etwa jene Geschichte, die Hamburger Polizeigeschichte schrieb und gerade am Sonntag in der ARD in einer Dokumentation nacherzählt wurde: Das spektakuläre wie grausame Ende der Ermittlungen der Spezialeinheit FD65 der Hamburger Polizei gegen die Organisierte Kriminalität auf dem Kiez und das des Auftragskillers Werner Pinzner.

Killer Pinzner: Das Blutbad im Polizeipräsidium

„Nun schießen Sie mal los“, soll der Staatsanwalt Wolfgang Bistry gesagt haben, als er Werner „Mucki“ Pinzner endlich im Vernehmungszimmer 418 des Polizeipräsidiums am Berliner Tor sitzen hatte. Der Mann, der acht Morde im Kiez-Milieu verübt hatte, ließ sich das nicht zweimal sagen. Er stand auf, zückte eine Waffe und erschoss den Staatsanwalt. Die Waffe hatte die ebenfalls anwesende Ehefrau Jutta ins Polizeipräsidium geschmuggelt. Nun erschoss Pinzner auch sie und richtete dann sich selbst. Exitus triumphalis – das letzte Blutbad des Auftragskillers.

„Jutta Pinzner kniete vor ihm nieder, öffnete den Mund, er hielt die Waffe hinein und schoss“, las Klaus Püschel vor. So hatte es Britta Berger berichtet, Protokollantin der Pinzner-Vernehmung, die das Blutbad mitansehen musste. Püschel und Mittelacher haben den Fall in einem ihrer Bücher über Kriminalfälle dargestellt.

Püschel leitete fast 30 Jahre das Institut für Rechtsmedizin in Eppendorf

Püschel war von 1991 bis 2020 Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Uni-Klinikum Eppendorf und untersuchte die Ergebnisse von Mord und Totschlag, Hass und Gier. Bettina Mittelacher war bei spektakulären Prozessen dabei, darunter die Verhandlung gegen den Heidemörder, der Prozess um den Messerangriff auf Tennisspielerin Monica Seles am Rothenbaum, das Verfahren nach dem Zugunglück in Eschede mit 101 Toten und beim Prozess gegen die Sekretärin des KZ Stutthof.

„Man erlebt viel Leid und Trauriges im Gerichtssaal, sowohl das Leid der Opfer, aber auch das der Täter, und einmal wurde sogar jemand vor meinen Augen ermordet“, erzählte die Gerichtsreporterin. Sie war im Gerichtssaal dabei, als ein Mann am 14. September 1994 plötzlich auf den Frauenmörder Dieter D. zustürmte, zweimal ausholte und ihn niederstach. Sie sah, wie das Opfer langsam zu Boden sackte und sich eine Blutlache um seinen Körper ausbreitete.

Mittelacher will Gerichtsurteile verständlich machen

Warum berichtet sie über Strafprozesse? „Ich möchte das, was ich dort sehe, so weitergeben, wie ich es im Saal erlebe, so, dass der Leser es versteht“, sagte Mittelacher. Warum beispielsweise bekommt ein Vergewaltiger sieben Jahre, während ein anderer freigesprochen wird? „Ich möchte, dass die Leser die Ursache der Verbrechen und die Urteile verstehen können“, sagte Mittelacher und ergänzte mit Blick auf Klaus Püschel: „Die Toten werden von den Rechtsmedizinern verstanden“.

Püschel erläuterte: „Die Rechtsmedizin will im Leichnam lesen wie in einem Buch, weil die Täter oft nicht genau erzählen, was geschehen ist, und die Zeugen eine Tat unterschiedlich beobachten.“

„Klaus und Klaus“ – Püschels kleine Schädelsammlung

Zu seinen Lesungen bringt er immer „Klaus und Klaus“ mit, zwei Totenköpfe. Der weiße Schädel ist eine Kopie seines eigenen Kopfes, der braune wird dem berühmten Piraten Klaus Störtebeker zugeschrieben. Seit zwei Jahren ist der 70-Jährige pensioniert und züchtet Bienen. Das reicht ihm aber nicht. Er untersucht für ihn ungeklärte Fälle.

Wurde wirklich der richtige Täter verurteilt? Es sind Fälle außerhalb Hamburgs, „denn in Hamburg muss ich als pensionierter Gerichtsmediziner den Mund halten.“ Da ist beispielsweise ein Bauernmord in Bayern: „Der Bauer soll gevierteilt worden sein, war aber in Wirklichkeit mit seinem Auto in die Donau gefahren. Und da interessiert mich, was nun tatsächlich geschehen ist“, sagte Püschel.

Mord ist seine Leidenschaft und eine „Bildgebungsstraße“ sein Traum, dem Oberbegriff der postmortalen Untersuchungen durch Angiographie im CT. Mit der könnten pro Tag 48 Tote genaustens untersucht und die Todesursache besser festgestellt werden.

Veranstaltungen: Bücher sind im Abendblatt-Shop erhältlich

Püschel las den Zuhörerinnen und Zuhörern auch einen weiteren spektakulären Fall aus Hamburg vor. Unter dem Titel „Und zum Dessert einen Leichnam“ behandelten er und Mittelacher der Mord an dem Schutzgelderpresser „Cincin“ im „Casa Alfredo“ in Hamburg-St.-Georg am 30. September 2015. Der Wirt Alfredo M. erschoss „Cincin“ und betonierte ihn im Fußboden einer Abstellkammer im Restaurant ein. Alfredo M. wurde später sogar freigesprochen.

Dass sogar Golfspielen tödlich enden kann, behandeln Mittelacher und Püschel im Buch „Tod beim Golf: Kurioses und Mörderisches bei der schönsten Nebensache der Welt“. Ihr letztes Buch „Tod durch Schuss“ ist ein fiktiver Krimi. „Wir wollten uns endlich selbst etwas ausdenken und so richtig fies aufschreiben“, sagte Bettina Mittelacher mit Vergnügen.

Alle Bücher von Bettina Mittelacher und Klaus Püschel sind im Ellert & Richter-Verlag erschienen und im Abendblatt-Shop erhältlich