Norderstedt/Kaltenkirchen. 42-Jähriger soll Geflüchtete beschimpft und bedroht haben. Prozess nimmt überraschende Wendung.
„Wir sind vor dem Krieg geflüchtet, den Stress fühlen wir bis heute. Das hat uns gerade noch gefehlt.“ Mit diesen Worten fasste eine 40 Jahre alte Mutter aus der Ukraine am Donnerstag ihre Emotionen zusammen.
Vor dem Amtsgericht Norderstedt musste sich an diesem Tag ein 42 Jahre alter Mann aus Kaltenkirchen verantworten, weil er die Frau, ihren 54 Jahre alten Mann und die zwölfjährige Tochter im März dieses Jahres mit einem Messer bedroht haben soll.
Amtsgericht Norderstedt: „Ich töte euch“: Mann bedroht Familie aus der Ukraine
Zwei Punkte wurden ihm zur Last gelegt: Der in Kasachstan geborene, deutsche Angeklagte soll die Zeugen gegen 6 Uhr morgens mit einem Einhandmesser in der Hand an ihrer Haustür auf Russisch beleidigt und an der Tür gezogen sowie sich eine Weile geweigert haben, zu gehen. Außerdem soll er zwischen 11 und 12 Uhr erneut zum Wohnort gekommen sein, die Tochter beleidigt und mit dem Tode bedroht haben.
Die Details des Hergangs wie etwa die Größe des Messers erinnerten die sichtlich emotionalen Eltern am Donnerstag vor Gericht leicht unterschiedlich, über den grundsätzlichen Hergang herrschte aber Einigkeit: Der Angeklagte soll morgens an der Tür des 18 Quadratmeter großen Containers, in dem die geflüchtete Familie erst ein paar Tage zuvor angekommen war, geklopft und in mehreren Sprachen laut geschimpft haben.
Sein Oberkörper sei unbekleidet gewesen. Nachdem der Angeklagte die Familie gefragt habe, ob sie aus der Ukraine gekommen seien und dies bejahte, habe er sie auf Russisch mit Schimpfwörtern angesprochen.
Mann soll ein Messer in der Hand gehabt haben
Die Familie hatte den Eindruck, dass der Mann betrunken war. Mehrmals hätten sie den Angeklagten aufgefordert, zu gehen. Dieser ging laut Aussage der Eltern zwar, kehrte aber mehrmals zurück. Gegen 11 Uhr sei er erneut zum Container der Familie gekommen und habe sich etwa einen Meter entfernt von der Tochter aufgehalten, die zu diesem Zeitpunkt das neben dem Container parkende Auto der Familie aufgeräumt habe. Dabei habe er ein Messer in der Hand gehalten, sie zunächst aber nicht direkt angesprochen.
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Die verängstigte Tochter rief ihre Mutter. Diese habe den Eindruck gehabt, dass kein normales Gespräch mit dem Zeugen möglich war. „Ich habe gleich verstanden, er ist nicht ganz gesund“, sagte auch der Vater in seiner Zeugenaussage. Der Angeklagte soll gesagt haben: „Ihr dachtet, ihr seid aus der Ukraine geflüchtet und die Russen werden euch nicht töten, aber jetzt bin ich hier.“
Später habe er nach Gewürzen wie Salz und schwarzem Pfeffer gefragt, sei durchs Containercamp gelaufen und habe gesagt: „Ich töte euch.“
Familie wusste zuerst nicht, wie sie Hilfe rufen soll
Die Familie wusste nach eigener Aussage zunächst nicht, wie sie Hilfe rufen konnte, habe sich an eine Freundin und die Verwaltung vor Ort gewandt. Der Vater schilderte vor Gericht aufgeregt, er habe die vergangenen Monate immer wieder an den Vorfall gedacht.
Ebenfalls geflüchtete afghanische und arabische Nachbarn, die in den Nachbarcontainern der Familie leben, hätten dem Vater in späteren Gesprächen erzählt, dass der Angeklagte sie in der Vergangenheit ebenfalls aufgesucht habe. Die Polizei soll nach Angaben des Gerichts gegen 18 Uhr am Abend des Vorfalls im März eingetroffen sein. Nach dem Vorfall haben sich die Familie und der Angeklagte laut Aussagen der Mutter nicht mehr gesehen.
Norderstedt: Angeklagter wirkte während der Verhandlung verwirrt
Der Angeklagte selbst erschien vor Gericht in Begleitung eines gesetzlichen Vertreters. Er wirkte sichtlich verwirrt, diskutierte zu Beginn der Verhandlung mehrmals mit seinem Verteidiger über das Vorgehen und entschied schließlich, weitgehend zu schweigen. Trotzdem sagte er, er habe das in der Anklage Geschilderte nicht getan. Auf die Ausgabe des sichergestellten Einhandmessers verzichtete er später.
Das Gericht entschied am Donnerstag nach knapp zwei Stunden Verhandlung, das Verfahren einzustellen. Wie die zuständige Richterin im Gespräch mit dem Abendblatt sagte, habe der erste Tatvorwurf sich nicht ausreichend bestätigt. Zum zweiten Tatvorwurf habe es Hinweise gegeben, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nicht voll schuldfähig gewesen sei. Dazu hätte ein professionelles Gutachten eingeholt werden müssen, alle Beteiligten hätten sich aber gegen diese Option entschieden.