Norderstedt. Wie sich das kleine Gefängnis im Norderstedter Hochmoor vom Baracken-Lager zum Musterknast für Freigänger entwickelte.
Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor feiert in diesem Jahr das 100-jährige Bestehen. Der vom ehemaligen Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher entworfene Rotklinker-Bau im Norderstedter Glasmoor steht unter Denkmalschutz. Die Geschichte des Gebäudes begann mit dem Torfstechen.
In den Ursprungsgemeinden von Norderstedt drehte sich um die vorige Jahrhundertwende alles nur um diesen Stoff – den Torf. Ohemoor, Kampmoor, Wöbsmoor, Zwickmoor, Wittmoor und das Glasmoor waren Hochmoore und boten reichlich Brennstoff.
Jubiläum: 100 Jahre JVA Glasmoor: Vom Torfstechen zur Resozialisierung
Den begehrte auch das im September 1916 eingesetzte Hamburger Kriegsversorgungsamt. Am 3. Mai 1917 kauften die Hamburger das 200 Hektar große Glasmoor, um sich aus Preußen für den bevorstehenden Winter Material zum Heizen zu sichern. Denn der Erste Weltkrieg forderte immer mehr Opfer.
Die Hanseaten waren schon damals schlau. Wer arbeiten konnte, kämpfte ohnehin im Krieg, und wozu kräftig Lohn zahlen, wenn man doch Straftäter in den Gefängnissen beherbergte. Am 14. Mai 1917 schickte das Kriegsversorgungsamt zirka 40 Häftlinge aus dem Zuchthaus Fuhlsbüttel nach Glasmoor zum Torfstechen, die Preußen stimmten zu, die erste Baracke für die Gefangenen und ihre Bewacher wurde gezimmert.
Schon vor 100 Jahren war die Idee der JVA modern
Dann begnadigte die Hansestadt viele Gefangene, sodass im Oktober 1918 nur noch 23 Häftlinge Torf förderten. Am 18. Dezember 1918 mussten die restlichen Gefangenen zurück ins Gefängnis Fuhlsbüttel. Bei Kriegsende aber stieg die Heizmaterial-Knappheit dramatisch an.
Im Oktober 1919 erlaubte Hamburgs Bürgerschaft dem Kriegsversorgungsamt, Glasmoor für 15 Millionen Mark zu kaufen. Am 5. August 1922, vor exakt 100 Jahren, bezog das Amt auf dem Gelände Glasmoor eine Justizvollzugsanstalt nach damals neusten Resozialisierungsplänen.
Leitgedanke: „Menschen durch die Erde verbessern“
Die Idee hinter der neuen Strafanstalt war zu damaligen Zeiten absolut modern. Denn die Justiz wollte die Täter fit machen für ein normales Leben ohne Gitter. Zu den Resozialisierungsidealen gehörten ein Leben in der Gemeinschaft und Arbeit an der frischen Luft.
Dieser Leitgedanke ist noch heute über der Eingangstür des seit 1995 von Schleswig-Holstein denkmalgeschützten Gefängnis-Zentralbaus mit seinem 22 Meter hohen Wachturm zu lesen: „Bessert die Erde durch den Menschen, und ihr bessert den Menschen durch die Erde“. Wer diese Freiheit nutzte, um stiften zu gehen, den würde man schon bald finden.
Oberbaudirektor Fritz Schumacher lässt die JVA bis 1928 neu bauen
Für den Torfabbau konstruierte der Senat eine Torfbahn. Zudem betrieb die Gefängnisleitung einen Bauernhof. Die Gefangenen verrichteten also nach damaliger Auffassung eine für die Gesellschaft nützliche und gesunde Arbeit, die sie obendrein für ihr Leben nach der Haft stärkte und fit machte.
Von 1926 bis 1928 wurden die Baracken durch einen roten Klinkerbau ersetzt. Bei der gesamten 1928 fertiggestellten Gefängnisanlage, typisch norddeutsch als Backstein-Ensemble von Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher entworfen, verzichteten die Hamburger auf Gitter, Sperrmauern und Stacheldraht und schufen damit ein Mustergefängnis für die Resozialisierung. Die Sicherheit sollte vor allem aus der Förderung des Selbstwertgefühls der Gefangenen und ihrer Eigenverantwortlichkeit entstehen.
Torfabbau im Glasmoor wurde 1965 beendet
250 Männer, die noch nicht vorbestraft und nur leichte Delikte begangen hatten, lebten und arbeiteten jeweils sechs bis zwölf Monate in der JVA Glasmoor. Zum Torfabbau, der noch bis 1965 betrieben wurde, kamen Arbeitsbereiche in der Landwirtschaft und Gärtnerei, im Tief- und Wegebau und in Handwerksbetrieben wie Schlosserei, Tischlerei, Maurer, Elektro, Schmiede bis zur Seifensiederei. Aufträge aus der freien Wirtschaft und anderen Anstalten gab es reichlich. Neben Rindern gab es bis zu 1000 Schweine.
Doch 1933 endete dieser moderne Traum – die Nazis übernahmen das Regiment. Und sie errichteten in unmittelbarer Nachbarschaft der JVA Glasmoor das Konzentrationslager Wittmoor, in dem KZ-Häftlinge von April bis Oktober 1933 unter harten Bedingungen zum Torfabbau gezwungen wurden.
Die Nazis errichteten das KZ Wittmoor in der Nachbarschaft
Die JVA Glasmoor musste die Verpflegung der KZ-Gefangenen übernehmen. Im Oktober 1933 löste Hamburgs NS-Regierung das KZ wieder auf, weil dem Gauleiter Karl Kaufmann das KZ „zu lasch“ geführt wurde. Die Insassen wurden teilweise in Todeslager deportiert.
Ab 1941 inhaftierte das NS-Regime in Glasmoor jugendliche Norweger, die in ihrer Heimat von Gerichten der Wehrmacht wegen Widerstand verurteilt worden waren, darunter ab 1943 auch volljährige Norweger und Dänen.
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Nach 1945 kehrte die JVA Glasmoor zu ihren ursprünglichen Resozialisierungsplänen zurück. Mehr noch: Sowohl die Anstalt als auch der Strafvollzug wurde sukzessive weiter modernisiert. Die Landwirtschaft allerdings wurde 1989 eingestellt, nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnis, dass die Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe in die Stadt Hamburg zurückkehren und in anderen Berufen arbeiten würden.
In der 90er-Jahren wurde das Glasmoor zum Abschiebe-Knast
In den Fokus der Öffentlichkeit geriet die JVA im Februar 1994, als 30 Container zu einem 100 Meter langen Zellentrakt mit 82 Abschiebe-Plätzen aufgestellt und obendrein mit vier Meter hohem Stacheldraht eingezäunt wurden. Doch die Proteste wurden hingenommen, der „Abschiebe-Knast“ blieb bis 2003 bestehen. 2005 zogen auch weibliche Häftlinge in ein Hafthaus mit 46 Plätzen ein, die wenig später auf 19 Plätze mit zwei Mutter-Kind-Bereichen reduziert wurden.
Dann drohte im Juni 2008 das Aus für die JVA Glasmoor. Hamburg zählte immer weniger Häftlinge, die Gefängnisse leerten sich zunehmend. Drei Jahre später jedoch wechselte der Senat, und die neue Justiz-Senatorin Jana Schiedek kassierte die Pläne ihres Vorgängers Till Steffen wieder ein. Mehr noch: Sie ließ ein neues Hafthaus mit 108 Plätzen bauen, während der alte Bau renoviert und seine ursprüngliche Architektur wieder erhalten soll. Neubau und Rückbau sollen noch ein Jahr dauern, zurzeit ist Anna Gallina (Grüne) Justizsenatorin.
Moderne Haftplätze für 250 Gefangene werden geschaffen
Ziel ist es, moderne Haftplätze für 250 Gefangene zu schaffen und so den offenes Vollzug für insgesamt 41 Haftplätze für Männer und 19 Haftplätze für Frauen sicher zu stellen. Mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Betreuung und Versorgung, auch medizinisch und psychologisch, in der Verwaltung und in der Resozialisierung tätig.
Schon seit einigen Jahren stellen die Inhaftierten in Glasmoor die „Santa Fu“-Kollektion her – und zwar als einzige der Hamburger Haftanstalten. Sie bedrucken und stempeln zum Beispiel T-Shirts mit verschiedenen Motiven, etwa „Unschuldig!“, „Auf Bewährung“, „Endlich frei!“ oder „Ich will hier raus!“, bereiten sie schick auf, verpacken und versenden sie unter dem Motto „Heiße Ware aus dem Knast“ an Händler und Geschäfte.
Gefangene entwerfen eine eigene Knastkollektion
Die T-Shirts können auch im Internet unter www.santa-fu.de/produkte/kleidung bestellt werden. Ein Teil des Verkaufserlöses kommt dem „Weißen Ring“ zugute, der Opfern von Verbrechen hilft. „Die Gefangenen erleben ihre Arbeit dadurch auch als persönliche Wiedergutmachung“, sagt Angela Biermann, Leiterin der JVA Glasmoor.
Einen ganz besonderen Anziehungspunkt hat die JVA Glasmoor mit dem einzigen Gefängnismuseum in Hamburg. Dessen Leiter Klaus Neuenhüsges hat mit Anstaltsleiterin Angela Bierman zum Jubiläum auch die Festschrift „100 Jahre Justizvollzugsanstalt Glasmoor 1922–2022. Vom Torfabbau zur modernen Justizvollzugsanstalt“ geschrieben, die kostenlos erhältlich ist. Nun strebt Klaus Neuenhüsges das Museums-Zertikat an, das vom 1917 gegründeten Deutschen Museumsbund vergeben wird. Die Entscheidung soll im Oktober fallen. Das Museum ist nach Absprache zu besichtigen (Anmeldung unter museum@santa-fu.de).