Henstedt-Ulzburg. Kriminelle machten Seniorin aus Henstedt-Ulzburg fassungslos. Doch dann beruhigte sich die Frau – und drehte den Spieß um.

Sie hat alles richtig gemacht. Die 77-Jährige war zunächst verunsichert, gab aber dem Druck des Anrufers nicht nach und hat ihn am Ende des Gesprächs sogar überlistet. Die Seniorin, die lieber anonym bleiben will, gehört zu den vielen betagten Menschen im Kreis Segeberg, die derzeit immer wieder Opfer sogenannter Schockanrufer werden.

Die Henstedt-Ulzburgerin ließ sich jedoch trotz ihrer Angst nicht überrumpeln. Und nachdem sie das alles überstanden hat, möchte sie dazu beitragen, dass Menschen in der gleichen Situation mit dem Erlebten besser zurecht kommen.

Sie hat sich in einem Schreiben an das Hamburger Abendblatt gewandt. Sie wolle die Öffentlichkeit mit ihrer Geschichte informieren. Vor allem gehe es ihr darum, dass niemand zahlt, wenn sich ein Schockanrufer meldet und behauptet, ein naher Angehöriger befinde sich in einer Notlage. Ganze Callcenter betreiben Kriminelle im Ausland, um mit dieser Betrugsmasche riesige Summen einzunehmen.

Trickbetrüger: 77-Jährige bringt Schockanrufer mit List zur Weißglut

Hier ist der Bericht der 77-Jährigen aus Henstedt-Ulzburg:
„Ich bin eine 77 Jahre alte Frau, die von sich glaubt, vernünftig und abwägend die Dinge im Leben zu bewerten. Ich fühle mich gut informiert über das Geschehen in der Welt und um mich herum. Trotzdem ist mir etwas passiert, was ich nie für möglich gehalten habe, und was mich immer noch sehr beschäftigt.

Ich wäre beinahe auf einen sogenannten Schockanruf hereingefallen. Nie hätte ich gedacht, dass ich auch nur ansatzweise einem solchen Anruf Glauben schenken würde. Dieser ganze Vorgang belastet mich trotz seines glimpflichen Verlaufs immer noch sehr.

Vor ein paar Tagen bekam ich unter einer anonymen Telefonnummer einen Anruf meiner (angeblichen, die Red.) Tochter, die mich total aufgelöst und laut schluchzend um Hilfe bat, denn sie hätte einen Autounfall verursacht und dabei eine Frau totgefahren.

Angebliche Mitarbeiterin der Polizei sprach sicher, routiniert und herrisch

Ich war in diesem Moment total sicher, mit meiner Tochter zu sprechen. Ich habe gar nicht infrage gestellt, dass es vielleicht nicht meine Tochter oder ihre Stimme sein könnte, dermaßen hat mich diese Aussage geschockt. Mit blieb regelrecht der Atem weg.

Bevor ich ihr Fragen stellen konnte, übernahm eine Frau das Gespräch, die mir versicherte, mich auf Bitte meiner Tochter anzurufen. Sie vermittelte mir den Eindruck, mit der Polizei verbunden zu sein und sprach sehr sicher, routiniert und irgendwie herrisch, vor allen Dingen schnell und zügig, um mich über den angeblichen Unfall und dessen Folgen zu informieren.

Schockanrufer wollen Nachfragen und Nachdenken ihrer Opfer verhindern

Zwischenfragen ignorierte sie. Zuerst stellte sie meine Identität und die meiner Tochter sicher. Sie fragte nach Namen und Adresse. Beides gab ich ihr. Durch meine Konzentration – ich musste mich stark konzentrieren auf diese Aufgaben – fokussierte sie mein Denken und meine Aufmerksamkeit auf sich. Alles war darauf ausgerichtet, mein eigenes Nachdenken und Nachfragen zu verhindern und auszublenden.

Meine Tochter habe auf einem Zebrastreifen einen Unfall verursacht, bei dem ein Kind verstorben sei und die Mutter lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus liegen würde. Mein Wunsch, sofort noch einmal mit meiner Tochter zu sprechen, wurde abgelehnt, da sie suizidgefährdet und gerade ein Psychologe bei ihr sei.

Nach dem Verkehrsunfall drohen der Tochter angeblich zehn Jahre Haft

Meiner Tochter würden nun zehn Jahre Haft wegen Totschlags drohen. Ich dürfe selber unter keinen Umständen mit jemanden reden, da ich mich damit selber strafbar machen würde. Außerdem wolle man mich und meine Familie vor einer möglicherweise drohenden Veröffentlichung durch Reporter schützen, auch um unseren guten Ruf zu retten. Dabei betonte sie mehrfach, dass das Gespräch aufgezeichnet werde.

Diese Frau ließ mir keine Gelegenheit, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, irgendwelche Nachfragen zu stellen oder meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Das Gespräch empfinde ich im Nachhinein von ihrer Seite als emotionslos und bedrohlich und einschüchternd.

„Strafverteidiger Dr. Andreas Lindemann“ forderte 110.000 Euro

Sie übergab das Gespräch dann an einen ,Strafverteidiger‘, der mir auf Nachfrage als Dr. Andreas Lindemann genannt wurde und der mir sagte, dass er Möglichkeiten und Beziehungen hätte, um größeren Schaden für meine Tochter und uns alle abzuwenden, aber nur solange die Mutter im Krankenhaus noch nicht verstorben sei, also in sehr kurzer Zeit.

Nach seiner Meinung blieben etwa drei Stunden. Danach könne er nichts mehr für uns tun. Und damit kam die Sprache auf Geld. Ich solle ihm 110.000 Euro (oder das Geld, über das ich im Moment verfügen könne) im Voraus für seine Hilfe persönlich übergeben, denn er hätte Auslagen.

Zum Abschied beschimpfte „Dr. Lindemann“ die Frau und legte auf

Und damit fing ich an, ganz vorsichtig den Anruf in Frage zu stellen und bekam endlich wieder Boden unter die Füße. Das merkte er wohl auch an meinem Verhalten, denn er wurde sehr unwirsch und versuchte, mich durch unwilliges Verhalten und entsprechende Äußerungen unter Druck zu setzen.

Inzwischen hatte ich dringend und mehrfach darum gebeten, meine Tochter sprechen zu wollen. Das sah man wohl als letzte Chance an und hat mich mit ihr sprechen lassen. Es fiel mir sehr schwer, sie zu verstehen, denn sie weinte dabei noch mehr und konnte sich kaum artikulieren.

Entscheidende Frage: Wie heißt der Hund?

Ich habe sie dann gebeten, mir den Namen unseres Hundes zu sagen. Nach einem kurzen Moment der Stille hat der Mann am Telefon mich dann beschimpft und aufgelegt.

Ich glaube, es ist eine gute Idee, sich die Identität eines Anrufers oder Familienmitgliedes, das angeblich in Not ist und Hilfe oder Geld braucht, sofort bestätigen zu lassen durch die Nennung von irgendetwas, das nur der Anrufer oder Betroffene und man selbst kennen kann, um gegebenenfalls den Anruf sofort abzubrechen.“

Polizeisprecher Lars Brockmann warnt vor Schockanrufern.
Polizeisprecher Lars Brockmann warnt vor Schockanrufern. © Wolfgang Klietz

Lars Brockmann von der Polizeidirektion Bad Segeberg bezeichnet die Geschichte von dem angeblichen Unfall als „übliche Legende“, die immer wieder genutzt werde. „Das angebliche Kind der Angerufenen berichtet regelmäßig unter Tränen und sehr emotional von einem tödlichen Verkehrsunfall“, sagt Brockmann. „Durch das Weinen und die Sprechweise wird eine Unähnlichkeit mit der echten Stimme des eigenen Kindes überspielt.“

Auch werde in diesen Fällen das Telefonat relativ schnell an einen angeblichen Polizisten, Staatsanwalt oder wie in diesem Fall Strafverteidiger weitergegeben, die weiter Druck auf die potenziellen Opfer ausüben. Letztlich liefen die Gespräche immer darauf hinaus, Geld- oder „Kautionszahlungen“ zu fordern.

Polizei: Kautionszahlungen sind extrem selten und werden nie am Telefon erhoben

Brockmann betonte, dass Kautionszahlungen in der Praxis ausgesprochen selten seien und nie am Telefon erhoben werden. „Selbst bei einer fahrlässigen Tötung durch einen Verkehrsunfall liegen in den seltensten Fällen überhaupt Haftgründe vor“, sagte der Polizeisprecher.

Um den Opfern nicht die Möglichkeit zu geben, sich zu besinnen oder mit jemandem in Kontakt zu treten, versuchen die Betrüger nach Brockmanns Angaben ihre Opfer durchgängig am Telefon oder Handy zu halten, um sie regelrecht „fernzusteuern“. Brockmann: „Dies beinhaltet auch das Geldabheben bei der Bank und die Fahrt zum vereinbarten Treffpunkt. Selbst für Nachfragen von Bankmitarbeitern nach dem Grund der Abhebung geben die Betrüger ihren Opfern entsprechende Ausreden mit auf den Weg.“

Die Rückfrage der 77-Jährigen aus Henstedt-Ulzburg nach dem Namen des Hundes bezeichnete Brockmann als ausgesprochen geschickt. „Es ist durchaus sinnvoll, sich eine derartige Detailfrage in der Nähe des Telefons zu notieren“, sagte der Polizeisprecher.

So können Sie sich vor Schockanrufern schützen:

  • Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen.
  • Legen Sie den Hörer auf, wenn Ihnen etwas merkwürdig erscheint.
  • Sprechen Sie am Telefon nicht über Ihre persönlichen und finanziellen Verhältnisse.
  • Übergeben Sie niemals Geld oder Wertgegenstände an unbekannte Personen.
  • Sprechen Sie mit Ihrer Familie oder anderen Vertrauten über den Anruf.
  • Wenn Sie unsicher sind: Rufen Sie die Polizei unter 110 (ohne Vorwahl) oder Ihre örtliche Polizeidienststelle an.
  • Nutzen Sie nicht die Rückruftaste.