Bad Segeberg. Am 10. September ist Welttag der Suizid-Prävention, Segeberger Kino zeigt „Nicht mehr nicht mehr leben wollen“. Darum geht’s in dem Film.
Zunächst muss mit Begriffen aufgeräumt werden, die schnell in den Mund genommen werden: Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, begeht er sicherlich keinen Selbstmord. Wie sollte er auch, sind doch Heimtücke und niedrige Beweggründe zwei deutliche Merkmale für Mord, die niemand sich selbst gegenüber an den Tag legen kann. Auch der blumig umschriebene Freitod ist nicht das, wofür er gehalten wird.
Ein Mensch, der an Selbsttötung denkt, ihn womöglich sogar begeht, steckt in einer tiefen psychischen Krise. „Der ist nicht frei“, sagt der Psychiater Michael Freudenberg aus Ostholstein und beschreibt, als jemand, der selbst Suizid-Gedanken hatte, das so: „Ich wollte nicht sterben. Ich wollte leben – aber nicht so.“
Suizid-Gedanken: Der Oberarzt litt hinter seiner Fassade aus Schweigen und Scham
Freudenberg, viele Jahre Oberarzt in Neustadt, litt hinter seiner Fassade aus Schweigen, Scham, Funktionieren und viel Arbeit an schweren Depressionen. „Ich habe die typischen Fehler gemacht.“ Ihn zermürbten hinter der strahlenden Kulisse die kreisenden Gedanken darüber, nichts wert zu sein, nichts zu schaffen. Dass ihm jemand auf die „Schliche“ käme – nur eine Frage der Zeit, so redete er sich trotz großer Erfolge ein.
Er sei suizidal, dabei aber zwiegespalten. „Ich dachte: ,Machst du das jetzt, oder bist du selbst dazu zu doof?’ Aber ich weiß, wie kurz die Schwelle ist, dass du springst.“ Der Psychiater hat sich noch rechtzeitig Hilfe gesucht und sie bekommen.
Suizid-Gedanken: Grüne Schleife als Symbol für eine Gesellschaft, die offen mit psychischen Erkrankungen umgeht
Genau so, wie Tyana Schwarz aus Berlin: „Es ist für viele ein peinliches Thema – für Betroffene und für Außenstehende. Niemand möchte mich erleben, wenn ich eine Psychose habe.“ Sie geht offen mit ihrer Erkrankung um, hat sich als internationales Symbol für eine Gesellschaft, die offen und tolerant mit psychischen Erkrankungen umgeht, eine grüne Schleife tätowieren lassen, damit sie jeder sehen kann. Erik, ein 20-jähriger Psychologiestudent aus Schleswig-Holstein, hat sich erst spät auf den Weg gemacht, „herauszufinden, was mit mir nicht stimmt“.
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Da hatte sich sein bester Freund schon das Leben genommen. „Wir hatten sogar daran gedacht, es zusammen zu tun.“ Dass sein Kumpel sich tatsächlich selbst das Leben nahm, ist eines von gleich mehreren traumatischen Erlebnissen in seiner Kindheit. Das Schweigen darüber und auch über seine eigene Zerrissenheit, die er spürte, hätten ihn damals glauben lassen, dass so etwas zum Leben gehöre. Heute schweigt er nicht mehr, ist auf der Videoplattform TikTok unterwegs – sogar mit einem Lied, das er seinem Freund gewidmet hat.
Welttag der Suizid-Prävention: Betroffene sprechen über Selbsttötungsgedanken
Die drei Protagonisten sind mit anderen Teil der neuen Doku von Filmemacherin Andrea Rothenburg. Die Bad Segebergerin greift Themen aus der Psychiatrie auf. In „Nicht mehr nicht mehr leben wollen“ sprechen sie über ihre Selbsttötungsgedanken, Hilfe die sie gefunden haben, Ängste, das Stigma „Depression“ und über das, was in ihnen vorgeht. Zum Welttag der Suizid-Prävention am 10. September wird ihr Film im Cineplanet5 in Bad Segeberg gezeigt.
Unterstützt wird das Projekt von KIS, der Kontaktstelle für Selbsthilfe(gruppen), und der Kulturakademie, bei der Jugendliche gerade selbst das Theaterstück „Grauzone – Sui Caedere“ erarbeitet haben, aus dem Auszüge vor der Filmvorführung präsentiert werden sollen. Viele der Film-Protagonisten wollen dabei sein. Rothenburg: „Wenn es alle schaffen, denn wir erzählen keine Märchen und wir casten niemanden.“
Jeder Vierte leidet einmal in seinem Leben eine Depression
Der Film will Mut machen, sich Hilfe zu suchen, enttabuisieren und öffentlich machen. Ein großer Schritt, denn in den Medien wir das Thema oft verschwiegen. Der Grund: detailreiche Berichte über begangene Selbsttötung können zum Nachahmen „motivieren“. Experten sprechen vom Werther-Effekt. Wird jedoch aufklärerisch und mit Hilfsangeboten berichtet, kann der sogenannte Papageno-Effekt präventiv wirken, haben Wissenschaftler herausgefunden. Darum: „Lasst uns drüber reden“, fordert die Filmemacherin.
Denn man sieht Betroffenen ihre Seelenqualen oft nicht an. Dabei entwickelt laut Statistik jeder Vierte einmal in seinem Leben eine Depression – die bis zum Suizid führen kann. Betroffene brauchen ein offenes Umfeld, ist Andrea Rothenburg überzeugt und heftet sich die grüne Schleife an.
Suizid-Gedanken: Krisen sind zum Wachsen da
Zeit also, Flagge zu zeigen. Wie heißt es in dem offiziellen „Grüne-Schleife-Song“ von David Floyd: „Es ist was in Bewegung .... Lasst uns achtsam bleiben ... Krisen sind zum Wachsen da.“ Psychologe Michael Freudenberg ergänzt: „Es gibt Kollegen, die sagen, wie toll sie es fänden, dass ich mit meiner Erkrankung so offen umgehe. Aber erst, wenn es nichts Besonderes ist, sind wir auf dem richtigen Weg.“