Norderstedt/Kreis Pinneberg. Gegen das Vergessen kann man ankochen. Rezepte aus der Adenauer-Zeit helfen Dementen und ihren Angehörigen.

Gegen das Vergessen kann man ankochen – mit altbekannten Rezepten, die Erinnerungen wecken, in denen es sich schwelgen lässt. So lautet der Ansatz für ein Projekt des landesweiten Kompetenz-Zentrums Demenz, das in Norderstedt seinen Sitz hat.

Zusammen mit der Alzheimergesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hat es jetzt ein Kochbuch für an Demenz erkrankte Menschen und ihre Angehörigen komplett überarbeitet. Der Titel lautet: „Aber bitte mit Sahne“!“

Kochbuch für Demenzkranke mit Rezepten für Schnitzel & Co

Auf 174 Seiten bietet das mit vielen Bildern illustrierte Werk eine Mischung aus zahlreichen alten Rezepten, aber auch Gedichte, Lieder und Tipps für gesunde Ernährung sowie Informationen rund um diese unheilbare Krankheit, die meist im Alter auftritt, erklärt Anna Jannes vom Kompetenz-Zentrum.

In den Räumen am Hans-Böckler-Ring 23c in Norderstedt hat das Zentrum sogar eine Musterwohnung aufgebaut, um Angehörigen zu zeigen, wie sie ihren Lieben ganz praktisch helfen können, das Leben im Alltag zu meistern.

Demenz-Kochbuch wurde komplett überarbeitet

„Vor 15 Jahren haben wir schon einmal ein solches Kochbuch als Tischkalender herausgegeben“, sagt Anna Jannes. Doch die historischen Schwarz-Weiß-Fotos darin stammten allesamt aus den 1930er- bis 1940er-Jahren, also der Kriegsgeneration. Inzwischen seien die meisten Betroffenen eine Generation jünger und hätten ihre Kindheit und Jugend überwiegend in den 1950er- und 1960er-Jahren verbracht. Darum sei das Kochbuch komplett überarbeitet und an die Adenauerzeit angepasst worden.

So finden sich neben den jetzt bunt bebilderten Speise-Rezepten von Labskaus bis „Arme Ritter“ auch zahlreiche Fotos von oft gebräuchlichen Küchenutensilien aus dieser Epoche. Wie der alte, noch mit Brennholz betriebene Sparherd oder die Zitronenpresse, die Kuchenreibe, der Fleischwolf, die Milchkanne, der Mixer, mit die mit Handkurbel zu bedienende Brotschneidemaschine oder Kaffeemühle.

Demenzkranke sollen mit Enkeln gemeinsam kochen

Auch heute längst aussortierte Sachen, die damals als modern galten, gehören wie selbstverständlich zum Mobiliar. Da steht der Kassettenrekorder neben dem Grammophon mit Schallplatten. „Die Idee des Kochbuches ist es, dass die Kinder und Enkel mit ihren Lieben darin nicht nur Anregungen finden, welche Lieblingsgerichte von früher sie zusammen zubereiten können“, sagt Anna Jannes.

Zudem sollen die Demenzerkrankten im Buch stöbern und sich so womöglich an frühere Dinge aus ihrem Leben erinnern, als sie noch jung waren. Diese Erinnerungen stecken im Langzeitgedächtnis und lassen sich mit etwas Glück und den richtigen Wiedererkennungsreizen wieder abrufen. Im Übrigen sei das Kochbuch aber auch für die jungen Angehörigen ein Spaß, weil sie Speisen nach Originalrezepten nachkochen können, von denen sie noch nie gehört haben.

Demenz-Kochbuch hilft, Erinnerungen zu wecken

Ein altes schwedisches Sprichwort besage: „Kochen heißt Geschichten schreiben.“ Genau so solle das komplett neu erstellte Kompendium der alten Rezepte wirken: „Denn Kochen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme“, erläutert Anna Jannes. „Düfte wecken den Appetit. Das Auge isst mit, und der leckere Geschmack zergeht auf der Zunge.“ Kochen sei Lust am Leben und fördere das Zusammenleben in der Familie, strukturiere den Tagesablauf. „Es liefert Gesprächsstoff und weckt Erinnerungen.“

So könnten sich die dementen Angehörigen beim Zubereiten von Hühnerfrikassee vielleicht an die Haustiere in ihrer Kindheit erinnert fühlen. Das Schnitzel in der Pfanne dürfte allein durch das Brutzeln des Fetts den Betroffenen das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Zudem könnte das dazugehörige Gedicht von Eugen Roth für Spaß und Unterhaltung am Küchentisch sorgen: „Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet, bemerkte, dass ihm das missriet!“ Und während die Möhren für den Salat oder die Karottensuppe geschält und geschnitten werden, wird zusammen das beliebte Kinderlied „Alle Vögel sind schon da“ aus den 60ern gesungen.

Über das Essen: Angehörigen kommen mit Dementen ins Gespräch

Die junge und alte Generation, die gesunden und kranken Familienmitglieder sollen so auf ganz natürliche, unwillkürliche Art und Weise wieder ins Gespräch kommen. Vielleicht erinnert sich der demente Angehörige plötzlich wieder daran, wie seine oder ihre Mutter oder Oma das Gericht früher gekocht, wie es geschmeckt und geduftet hat.

Gemeinsam könnten sie dann darüber philosophieren, warum diese oder jene Speise heute nicht mehr so gefragt ist oder warum sie unbedingt noch auf den Speiseplan gehören sollte. Zudem bietet das Kochbuch des Kompetenz-Zentrums nützliche Ratschläge, wie besonders agile Demenzerkrankte, die eher an Mangelernährung leiden, mit ein paar Tricks wie Sahne statt Milch kalorienreicher bekocht werden können.

Kochbuch für Demenz-Kranke mit 70 saisonalen Rezepte

Oder umgekehrt jene Demente, die sich gar nicht mehr bewegen oder denen das Sättigungsgefühl fehle, kalorienärmer mit weniger Fett und Kohlenhydrate gesünder ernährt werden können. Auch für Menschen mit Schluckbeschwerden oder Kauproblemen lassen sich zahlreiche leckere, bekömmliche und den Appetit anregende Speisen in diesem Kochbuch entdecken und nachkochen.

Tipps für einfache Bewegungsübungen am Tisch sowie wichtige Adressen und Infos zu Beratungsstellen runden das Gesamtpaket des neuen Kochbuches ab.

Die etwa 70 ausführlich beschriebenen Rezepte sind auch saisonal sortiert und reichen vom überbackenen Spargel im Frühjahr, der Erdbeermilch im Sommer, dem Apfelkuchen im Herbst und dem Grünkohl im Winter.

Das Kochbuch „Aber bitte mit Sahne“ ist im handlichen DIN-A5-Format mit verstärkten, dicken Seiten als Ringbuch für 12,95 Euro (zuzüglich Porto) bei der Alzheimergesellschaft Schleswig-Holstein zu bestellen. Per E-Mail unter oder unter 040/23 83 044 44.