Norderstedt. „Match Börner Open Air“ letztes Jahr geplatzt. Fast 90 Prozent der Tickets zurückgegeben. Welche Stars diesmal in den Stadtpark kommen.
24. Juli, vor einem Jahr. Die Sonne scheint durch das Fenster. Doch Patricia Kahl und Tony Groß hocken an einem Tisch in ihrer ansonsten abgedunkelten Billardkneipe „Match“ in Langenhorn und schweigen sich an. Sie fühlen sich leer. Ausgelaugt von den letzten Monaten, die sie durchgearbeitet haben. Am liebsten hätten sie sich in ihrem Bett verkrochen. In ihrer Wohnung direkt über der Bar. Sie haben extra eine Aushilfe für diesen Tag eingeteilt, um mit niemandem sprechen zu müssen. „Ich war ein emotionales Wrack. Wir sind ,all in‘ gegangen, haben alles auf eine Karte gesetzt – und verloren“, erinnert sich Patricia Kahl.
An diesem herrlichen Sommertag hätten Hunderte Menschen beim „Match Börner Open Air“ auf einer großen Wiese im Stadtpark in Norderstedt tanzen und feiern sollen. Noch nie hatten die beiden Barbesitzer aus Langenhorn eine Veranstaltung in dieser Größenordnung organisiert. Doch sie hatten einen Traum. Sie holten sich Expertise von außen, arbeiteten ein 167 Seiten langes Konzept aus und präsentierten es Stadtpark-Chef Kai Jörg Evers.
Stadtpark Norderstedt: Warum The BossHoss Festival retten
Nach drei Monaten und etlichen Gesprächen unterzeichneten sie den Vertrag. Sie hatten es sogar geschafft, mit The BossHoss eine der bekanntesten deutschen Country-Rock-Bands für einen Auftritt in Norderstedt zu verpflichten.
Doch je näher das Open Air rückte, desto strenger wurden die Corona-Auflagen. Bei einem Inzidenzwert von um die sechs im Kreis Segeberg begrenzten die Behörden erst die Besucherzahl von 3500 auf 2500, dann sollte die Fläche bestuhlt werden – schließlich wurde über ein Alkoholverbot diskutiert.
Festival-Veranstalter: „Das war unser Genickbruch“
„Das war unser Genickbruch. Über den Getränkeausschank hätten wir fast 50 Prozent des Open Airs finanziert.“ Eine Nacht lang versuchten sie, ihr Festival zu retten. Diskutierten. Weinten. Dann gaben die Organisatoren auf. Es machte einfach keinen Sinn mehr. Ihnen blieb nur die Absage.
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Ein riesengroßes Problem: Die beiden Kneipenchefs hatten ihr Erspartes in die Veranstaltung gesteckt. Trotz des Ausfalls mussten sie den gebuchten Künstlern ihre Gagen zahlen. Neben The BossHoss hätten unter anderem Torfrock, Lotto King Karl und viele weitere auftreten sollen. „Das wäre unser finanzieller Tod gewesen. Wir hätten unsere Bar dicht machen müssen“, sagt der 34 Jahre alte Tony Groß.
Stammgäste pilgerten zum „Match“ nach Langenhorn
Doch die Jungs von The BossHoss, die den größten Kostenfaktor ausmachten und bereits vor dem Konzert die Hälfte ihres Honorars erhalten hatten, überwiesen die komplette Summe einfach zurück. Die anderen Künstler versprachen, im nächsten Jahr aufzutreten. „Wir waren überwältigt von der Rückendeckung. Wir sind den Bands mega dankbar“, sagt Patricia Kahl.
Als die Festivalwiese im Stadtpark Ende Juli leer blieb, pilgerten rund 50 Stammgäste zum „Match“. Sie brachten den niedergeschlagenen Besitzern Schokolade und Kuchen vorbei, um sie aufzuheitern. So, wie Patricia Kahl und Tony Groß es sonst mit ihrer guten Laune bei ihren Gästen schafften. „Die Leute haben sich Sorgen gemacht und wollten nachsehen, wie es uns geht“, sagt die 46-Jährige. Das sei der Moment gewesen, in dem sie realisiert habe, dass sie nicht aufgeben dürfen. Sie müssen weitermachen. „Wir können nicht so tun, als hätte es diesen Traum vom Festival nie gegeben. Jetzt erst recht!“
Tim Bendzko tritt beim „Match Börner Open Air“ auf
Im „Match“ sind mehrere große Transparente aufgebaut. Patricia Kahl und Tony Groß haben sie noch einmal drucken lassen. Mit einem neuen Termin. Und einigen neuen Künstlern. In diesem Jahr soll das „Match Börner Open Air“ drei Tage laufen – von Freitag, 22. Juli, bis Sonntag, 24. Juli. Den Auftakt macht Comedian Matze Knop. The BossHoss mussten aus zeitlichen Gründen absagen. „Sollten wir dieses Jahr finanziell überleben, werden sie aber noch nach Norderstedt kommen“, versprechen die Veranstalter.
Als großen Namen konnten sie dafür Singer-Songwriter Tim Bendzko gewinnen, der 2011 mit seinem Song „Nur noch kurz die Welt retten“ bekannt geworden ist. „Einen Weltretter können wir gut gebrauchen“, sagt Patricia Kahl und lacht. Er tritt Sonntag zum Abschluss des Festivals auf.
Lotto King Karl und Torfrock kommen auch nach Norderstedt
Am Sonnabend stehen unter anderem Lotto King Karl und Torfrock auf der Bühne, die auf der Wiese hinter dem Strandbad aufgebaut wird. Tickets sind noch ausreichend vorhanden. Pro Tag können 7000 Besucher auf das Gelände. Rund 1400 Karten sind bis jetzt verkauft. Im vergangenen Jahr waren bis zur Absage 1600 Tickets vergriffen – 1400 wurden zurückgegeben. „Jede einzelne Rückgabe tat weh“, sagen die Organisatoren.
Vor einigen Tagen sind die beiden Langenhorner mit dem Fahrrad durch die Wohnsiedlungen am Stadtpark gefahren und haben rund 940 Anwohnern Post in die Briefkästen geworfen. Auf einem doppelseitig bedruckten Papier informieren sie unter anderem über Lärmschutzmaßnahmen. Ihnen ist es wichtig, dass die ansässigen Norderstedter sich gesehen fühlen. Für sie haben sie eine extra E-Mail-Adresse eingerichtet, an die sich Anwohner mit Anregungen wenden können.
„Match Börner Open Air“: Sozialer Aspekt ist Veranstaltern wichtig
Kahl und Groß ist der soziale Aspekt an ihrem Festival enorm wichtig. Ursprünglich organisierten sie es, damit sich Gastronomen, Künstler, Bühnenbauer und gemeinnützige Vereine von den Einnahmeausfällen der Pandemie erholen können. Am Rande des Open Airs wird es mehrere „Sozialstände“ geben, wie sie die Veranstalter nennen. Vereine konnten sich mit einer kreativen Idee bewerben. Am Stand der Initiative „Zug um Zug gegen Rechts“ können Besucher beispielsweise Schach spielen, dabei werden sie über Aktionen gegen Rassismus informiert und können nachhaltigen Kaffee trinken.
Mit dabei ist außerdem die Tafel. Jeder Gast kann entscheiden, ob er sich das Geld für seinen Pfandbecher zurückholt – oder es der Tafel spendet. Die Festivalveranstalter laden die ehrenamtlichen Helfer allesamt zum Open Air ein. „Konzerte und Großevents sind sicher nicht lebensnotwendig, jedoch in Zeiten der Krisen und Kriege wichtiger denn je“, meinen Patricia Kahl und Tony Groß. Zusammen zu feiern, Freude und Gemeinschaft zu erleben – das seien die Momente, die am Ende blieben. „Unser Festival soll zeigen, wie schön es ist, auf diesem Planeten zu sein.“