Nützen/Kaltenkirchen. Eine Historikerin soll die Dauerausstellung der Gedenkstätte Springhirsch bei Kaltenkirchen multimedial aufbereiten. Was sie plant.
Die KZ- Gedenkstätte Springhirsch in Nützen bei Kaltenkirchen soll komplett überarbeitet und neu gestaltet werden. Damit hat der Förderverein jetzt Béatrice Busjan (55) beauftragt. Die Historikerin und Kunsthistorikerin, die bis vor zwei Jahren 20 Jahre lang das Stadtgeschichtliche Museum in Wismar leitete, hat jetzt zwei Jahre Zeit für diese herausfordernde Arbeit.
„Erwarten Sie kein 4D-Kino von mir“, sagte sie bei ihrer Vorstellung. Sie habe sich aber vorgenommen, die neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte medial so aufzubereiten, dass sie vor allem von den jüngeren Besuchern und Schülerinnen und Schülern besser verstanden werden kann. Zudem soll die sogenannte zweite Geschichte, also der Umgang der Bevölkerung mit dem ehemaligen Internierungslager an der Bundesstraße 4 nach dem Krieg, erstmals historisch aufgearbeitet werden.
Die NS-Zeit soll multimedial dargestellt werden
Nach 20 Jahren ihrer Existenz müsse die Gedenkstätte dringend den heutigen Bedürfnissen und Wünschen der 5000 jährlichen Besucher (2019) angepasst werden, sagt der Vorsitzende des Trägervereins, Hans-Jürgen Kütbach. Vor allem junge Menschen sollten mit den modernen Mitteln multimedialer Gestaltung angesprochen werden, wie sie heutzutage in Ausstellungen üblich seien. Das dunkle Kapitel der NS-Zeit soll beleuchtet werden. Dabei werde dargestellt, wie die Quellen interpretiert werden und warum sich diese Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung ergeben. Béatrice Busjan habe sich dabei gegen zwölf andere Mitbewerberinnen und -bewerber durchsetzen können, weil sie gute Ideen einbringen konnte und auch die Akteure vor Ort miteinbinden wolle, sagte Kütbach. Gedenkstättenleiter Marc Czichy schätzt die Qualifikation seiner neuen Kollegin: „Sie hat uns mit ihren spannenden Visionen bei der Vorstellungsrunde voll und ganz überzeugt.“
Béatrice Busjan, die ihre Aufgabe als Kuratorin in einem freiberuflichen Werkvertrag ausüben wird, sieht in der Gedenkstätte „einen verwunschenen Ort, der mich sehr gereizt hat“. Die KZ-Gedenkstätte Springhirsch böte eine „sehr lebendige“ Erinnerungskultur, die durch ihre zahlreichen Verbindungen zu den umliegenden Schulen ein großes bürgerschaftliches Engagement aufweise. „Ich möchte mit meiner Arbeit eine zukunftsfähige Basis für die nächsten zehn Jahre schaffen“, kündigte die neue Kuratorin an. „Hier ist so viel möglich.“
Im ersten Jahr geht es vor allem um Forschung und Archivarbeit
Das erste Jahr werde vor allem von viel Forschungs- und Archivarbeit bestimmt sein, sagte sie. Im nächsten Jahr gelte es dann, die neue Ausstellung mit den neuesten Erkenntnissen zu konzipieren und mit modernen didaktischen Mitteln zu versehen. Dabei schwebe ihr vor, die zahlreichen Quellen und Interviews von Zeitzeugen, die schriftlich vorlägen und zum Teil auch von Schülerprojekten herausgearbeitet wurden, verstärkt zu Wort kommen zu lassen. „Ich möchte bei den Besuchern mehr Sinne ansprechen“, sagt Béatrice Busjan.
So könnten diese Zeitzeugenberichte eingesprochen und den Besuchern als Tondokumente präsentiert werden, während sie über das Gelände gingen. Dadurch wirkten die Beschreibungen eindrucksvoller, und die Besucher könnten die Gedenkstätte mit ihrem Außenbereich, auf dem sich früher das Lager der etwa 1000 KZ-Häftlinge im letzten Kriegsjahr befand, mit ihren anderen Sinnen erkunden.
Budget liegt bei über 300.000 Euro für zwei Jahre
Natürlich müsse sie bei der Auswahl der Präsentationstechniken auch an das vorhandene Budget denken, das für diese zweijährige Forschungsarbeit auf 312.000 Euro begrenzt ist, die vor allem das Land, die Aktivregion Auenland und die Bürgerstiftung bereitstellen. So werde sich wohl keine Smartphone-App zur Gedenkstätte entwickeln lassen, weil die einer ständigen und jahrelangen Nachbearbeitung bedürfe, sagte Béatrice Busjan. Und auch ein 3D-Film würde sich hier kaum realisieren lassen. „Ich möchte die neue Dauerausstellung auf den Bedarf und den Wünschen der Besucher ausrichten.“
Dazu werde es nötig sein, vor allem „die Schüler dort abzuholen, wo sie gerade sind“, sagt Indre Schmalfeld, die Zweite Vorsitzende des Trägervereins und zugleich Lehrerin in Kaltenkirchen. „Die Schüler erwarten nicht, dass die Ausstellung perfekt digital gestaltet ist“, weiß sie aus ihren zahlreichen Besuchen mit Schülern vor Ort und der anschließenden Aufbereitung der Erlebnisse im Unterricht.
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Am meisten beeindrucke die Schüler, wenn sie von Zeitzeugen das Grauen dieser NS-Zeit in ganz schlichten Erzählungen anschaulich beschrieben bekämen. „Das ist doch das kleine Wäldchen, in dem ich immer gejoggt bin“, habe beispielsweise ein Schüler sichtlich geschockt berichtet, als er vor Ort erfuhr, wie hier jeden Tag die KZ-Häftlinge vom Lager über die alte Reichsstraße zum Flugplatz laufen mussten, den sie für die Nazis aus dem Boden stampfen sollten, sagt die Geschichtslehrerin. Etwa 200 Häftlinge haben das KZ Springhirsch nicht überlebt, deren Erinnerungsstätte erst 1999 aufgebaut wurde – fast fünf Jahrzehnte nach dem Krieg.