Hamburg/Neuengamme. Vom Sofa aus können Interessierte Ausstellungen und Gedenkstätten besuchen. Das Projekt ist für jedermann zugänglich.
„Bei Anruf Kultur“ heißt ein Projekt des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg (BSVH): In Kooperation mit dem Büro Grauwert und mehreren Kultureinrichtungen in Hamburg und anderen Teilen Norddeutschlands bietet der Verein Führungen durch Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten am Telefon an. Auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sind Guides unterwegs, die die Anrufer am Telefon über Ausstellungsbereiche informieren. Die Teilnahme ist kostenlos. Mitmachen darf jeder, auch Menschen, die keine Seheinschränkungen haben.
Der BSVH mit Sitz in Altona holte sich für das Projekt „Bei Anruf Kultur“ das Hamburger Büro Grauwert als Partner an seine Seite, da „es spezialisiert ist auf Inklusion, vor allem auf kultureller Ebene, und demografiefeste Lösungen, etwa Design für alle und Barrierefreiheit“, sagt Melanie Wölwer, Sprecherin des BSVH. So sei das Projekt sehr gut vernetzt, da Büro und BSVH schon seit Längerem mit der Kulturbehörde und verschiedenen Museen zusammenarbeiten.
Kultur Hamburg: Innerhalb kürzester Zeit mit fünf Führungen gestartet
Die 45-Jährige hatte im Frühjahr 2021, im ersten Corona-Lockdown, von Hörführungen in Berlin erfahren und die Idee nach Hamburg importiert. „Ich habe fünf Mails geschrieben – an Museen und an das Büro Grauwert – und schon hatten wir fünf Führungen in einem Zeitraum von zwei Wochen organisiert“, sagt sie. Damals wurden die Führungen nur über Vereinskontakte angeboten, inzwischen sind sie öffentlich und richten sich an Jedermann.
„Schnell wollten andere Museen mitmachen, zumal viele Guides im Lockdown ohne Beschäftigung waren.“ In der Folge gab es auch Hörführungen im Hamburger Helmut-Schmidt-Haus, auf dem Schiff „Peking“ im Museumshafen, im Jungen Schauspielhaus, im Willy-Brandt-Haus in Lübeck und an anderen besonderen Orten. „Die Führung auf der ,Peking’ war exklusiv, da es dort auch vor Corona keine Führungen gegeben hatte.“
Maximal können 15 Anrufer pro Hörführung mitmachen
Hörführungen hätten „enormes Potenzial“, schwärmt Melanie Wölwer: „Wir erreichen Menschen, die sich von Museen bisher nicht angesprochen fühlten, darunter viele nicht mobile Menschen, die etwa in Senioreneinrichtungen leben.“
Teilnehmen dürfen maximal 15 Anrufer, damit eine Kommunikation auch untereinander möglich ist. Die Anrufer werden während der Hörführungen in der Regel auf stumm geschaltet, haben aber zwischendurch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Dies werde auch häufig getan. „Bei einer Führung im Museum der Arbeit zum Thema Kolonialismus diskutierten die Teilnehmer am Telefon sogar weiter, als sich der Guide und der Moderator bereits verabschiedet hatten.“ Der Moderator kommt entweder vom BSVH oder dem Büro Grauwert, die Guides arbeiten im Auftrag der jeweiligen Kultureinrichtung.
Im vergangenen Jahr weit mehr als 120 Führungen mit 1500 Zuhörern
„Nicht immer sind die Guides direkt im Museum. Bei einer Gemäldeausstellung kann es von Vorteil sein, wenn man im Büro mit dem Katalog arbeitet, statt im Museum selbst, wo auch Publikumsbetrieb ist“, sagt Melanie Wölwer. „Wenn das Ambiente mitbestimmend ist für die Führung, wie bei Gedenkstätten oder etwa bei der Führung auf der ,Peking’, oder das Gebäude einen Bezug zum Inhalt der Führung hat, sind die Guides natürlich vor Ort.“
Im vergangenen Jahr konnte der Verein weit mehr als 120 Führungen in 27 Häusern mit mehr als 1500 Zuhörern realisieren. Viele Teilnehmer seien inzwischen Stammgäste. „Es gab sehr positive Rückmeldungen von den Teilnehmenden, den Guides und Museen“, sagt Melanie Wölwer. Häufig seien die Teilnehmer „extrem interessiert“. In Bergedorf gab es sechs Führungen durch die Bergedorfer Museumslandschaft (Schloss) und vier in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Am 2. Februar gibt es Hörführung in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte
Am Mittwoch, 2. Februar, geht es bei einer Hörführung in Zusammenarbeit mit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zwischen 15 und 16 Uhr um „Solidarität und Widerstand“. Die Anrufer werden von Janina Heucke über den entsprechenden Abschnitt aus der Ausstellung „Zeitspuren“ der KZ-Gedenkstätte am Jean-Dolidier-Weg in Neuengamme informiert.
In dem Kapitel der Ausstellung geht es darum, dass die SS die Persönlichkeit der Häftlinge brechen wollte. Die KZ-Insassen waren der Gewalt ihrer Bewacher schutzlos ausgeliefert. Doch die Gefangenen unterstützten sich gegenseitig, fanden Halt in kulturellen Aktivitäten und leisteten manchmal sogar Widerstand.
Verein zählt etwa 1200 Mitglieder, Betroffene und Fördermitglieder
Eine Anmeldung ist bis zum 1. Februar erforderlich: per E-Mail an buchung@beianrufkultur.de; Internet: www.beianrufkutur.de. Die Kosten für das Projekt tragen die Kulturbehörde und verschiedenen Stiftungen. Die Finanzierung für dieses Jahr ist allerdings noch nicht gesichert, deshalb sind bisher für Januar und Februar nur jeweils acht Angebote geplant. Melanie Wölwer hofft, dass es bald mehr werden.
Der BSVH zählt rund 1200 Mitglieder, Betroffene und Fördermitglieder. Der Verein sieht sich als Interessenvertretung aller Hamburger mit Seheinschränkungen und das in allen Belangen, betont Melanie Wölwer.