Norderstedt. Mit der Zwangsversteigerung soll die Räumung der illegalen Müllhalde ermöglicht werden – doch der geplante Deal könnte platzen.
Nach langen Diskussionen über die Zuständigkeit haben sich im vergangenen Dezember die Stadt Norderstedt und das Land Schleswig-Holstein endlich geeinigt: Noch in diesem Jahr soll damit begonnen werden, den 15.000 Kubikmeter großen und illegal angehäuften Müllberg am Umspannwerk in Friedrichsgabe vollständig zu räumen.
Zunächst sollte nur ein Teil der Oberfläche mit giftigen, faserhaltigen Stoffen abgetragen werden. Dann sind Stadt und Land zu dem Schluss gekommen, dass „eine vollständige Räumung des Geländes die sinnvollste und nachhaltigste Lösung für alle Beteiligten“ sei. Die Kosten für die Räumung werden aktuell auf 3,8 Millionen Euro geschätzt. Das Land übernimmt sie.
Umweltskandal: Das ist der Plan für Norderstedts illegalen Müllberg
Aktuell ist die Familie Gieschen noch Eigentümerin des Grundstücks. Sie hat jahrelang unerlaubt Müll angenommen, ohne ihn wie vereinbart wieder abzutragen. Auf diese Weise ist ein gigantisches „Abfallungeheuer“ entstanden, das die Familie der Stadt und ihren Einwohnern hinterlassen hat, als sie 2018 untergetaucht ist. Erst seit Kurzem hat die Staatsanwaltschaft Kontakt zu einem Anwalt der Gieschens. Dieser Umstand vereinfacht es, eine Zwangsversteigerung des Grundstücks anzuberaumen.
Plan ist es, dass die Stadt Norderstedt oder eine stadtnahe Gesellschaft das Gelände ersteigert und an einen Interessenten weiterverkauft. Hierbei dürfte vor allem Tim Kiesow, der auf dem Nachbargrundstück eine Autorecycling-Firma betreibt, infrage kommen. Im Gespräch mit dem Abendblatt hatte er in der Vergangenheit Interesse bekundet, aktuell möchte er sich allerdings nicht mehr öffentlich äußern.
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Ob nun Kiesow oder ein anderer Käufer – der Verkaufserlös soll auf jeden Fall an das Land „ausgekehrt“ werden, wie es im Vertrag zwischen der Stadt und dem Ministerium heißt. Das Geld soll zur Finanzierung der Räumung genutzt werden. Darauf haben sich Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Staatssekretär Tobias Goldschmidt im Dezember verständigt und in einer gemeinsamen Vereinbarung schriftlich festgehalten.
Wenn die Stadt das Gelände – samt Müll – nicht kauft, platzt der Deal
Was bisher nicht bekannt war: Sollte die Stadt das Grundstück nicht erwerben, platzt der Deal. Und der Müllberg würde weiter vor sich hin rotten. „Die Stadt hat mit dem Land eine Vereinbarung getroffen, die nur zwischen Land und Stadt gilt, aber nicht gegenüber Dritten“, bestätigt Verwaltungssprecher Bernd-Olaf Struppek.
Rechtlich stellt sich die Lage wie folgt dar: Die Räumung muss vom Grundsatz her der Verursacher – also die Familie Gieschen – übernehmen. Unterlässt er dies, kann das Land eine sogenannte Ersatzvornahme auf seine Kosten veranlassen. „Das Land wird dies vereinbarungsgemäß tun, sobald das Grundstück von der Stadt oder einer stadtnahen Gesellschaft erworben worden ist“, erklärt ein Sprecher des Umweltministeriums.
Wann Norderstedts Müllberg zwangsversteigert werden soll
Sollte der Verursacher die Kosten der Ersatzvornahme nicht tragen können, wird das Land mit Steuermitteln für den entstandenen Schaden aufkommen müssen. „Dies wäre äußerst misslich. In jedem Fall muss deshalb vermieden werden, dass der Grundstückseigentümer einen Vorteil durch die Räumung des Grundstückes erlangt. Aus diesem Grund soll durch das Zwangsversteigerungsverfahren ein Eigentümerwechsel erfolgen“, sagt das Ministerium. Würde Gieschen nämlich Eigentümer bleiben, könnte er nach der Räumung von vorne anfangen und erneut Müll auf seinem Gelände anhäufen.
Die Zwangsversteigerung findet in rund zwei Monaten statt. Das Amtsgericht Norderstedt hat sich auf einen Grundstückswert festgelegt, der aber noch nicht rechtskräftig ist. In den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen wird der Termin öffentlich bekanntgegeben. Nach einer Frist von sechs Wochen kann er abgehalten werden. Jeder kann mitsteigern. Die Stadt hat kein Vorkaufsrecht. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Dritter Interesse an dem zugemüllten Gelände haben könnte – dieser wäre dann nämlich auch verantwortlich, den Abfall für gut 3,8 Millionen Euro zu entsorgen.
BUND sieht Schlupfloch im Vertrag – Ministerium widerspricht
Sollte die Stadt das Grundstück wie geplant ersteigern, steckt dennoch ein kleines Schlupfloch in der Vereinbarung: Das Land hat sich in dem Papier verpflichtet, die erkennbar faserhaltigen Abfälle an der Oberfläche zu entfernen. Aber es soll lediglich „angestrebt“ werden, die Gesamträumung auszuschreiben und durchführen zu lassen.
Umweltrechtsexperte Winfried Günnemann sieht darin eine Täuschung: „Dies ist keine vertragliche Verpflichtung zur Räumung, sondern nur die Absichtserklärung, sich um dieselbe zu bemühen. Die Öffentlichkeit ist daher über die Verbindlichkeit der Verabredung getäuscht worden“, sagt das Mitglied der Ortsgruppe Norderstedt des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Und weiter betont er: „Die bisher präsentierte Absichtserklärung ist mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl nichts weiter als ein wohlfeiles Wahlversprechen, das nach der Wahl alsbald vergessen sein kann.“
Das Umweltministerium bekräftigt indes, noch 2022 mit der Räumung des Müllbergs beginnen zu wollen: „Wir bereiten die Ausschreibung für eine Kompletträumung vor und gehen derzeit davon aus, dass diese auch so stattfinden kann.“ Die Ermittlungen gegen die Familie Gieschen laufen nach wie vor weiter. Wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen drohen dem Verursacher des Müllbergs theoretisch bis zu fünf Jahre Haft.