Kreis Segeberg/Pinneberg. Allein in den Kreisen Segeberg und Pinneberg wurden 165 Beamte in 2020 attackiert. Gewerkschaft in Sorge, mehr Psychologen gefordert.

Noch nie zuvor sind Polizisten so häufig Opfer von Gewalt geworden wie im Jahr 2020. In den Kreisen Segeberg und Pinneberg wurden 165 Vollzugsbeamte attackiert. Dabei wurden 34 von ihnen verletzt.

Auch in den neun Jahren zuvor verzeichnete die Polizei eine hohe Gewaltbereitschaft, mit Zahlen zwischen 110 und 164 – allerdings nicht auf dem Niveau des vergangenen Jahres.

Zahlen hoch und das obwohl es weniger Einsätze gab

Nach Ansicht vieler Polizisten sind die Zahlen auch deshalb dramatisch, weil die Zahl der Attacken zugenommen hat, obwohl wegen der Corona-Pandemie die Polizei im Jahr 2020 deutlich weniger Einsätze verzeichnete als in den Jahren davor.

Doch das Problem ist nicht nur die Vielzahl der Angriffe. „Dieses Gewaltniveau spiegelt sich nicht nur durch die reinen Fallzahlen wider, sondern vor allem durch die Qualität der Gewalt, die den Vollzugskräften entgegenschlägt“, sagt Polizeisprecher Lars Brockmann.

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Was die Beamten bei zunächst harmlosen Einsätzen erleben, zeigen zwei Beispiele aus dem vergangenen Jahr. Vorfall eins: Zeugen informieren die Polizei, dass sich auf der Brauerstraße in Kaltenkirchen ein stark alkoholisierter Mann aufhält. Drei Beamte finden am Einsatzort einen 32-Jährigen, den sie bereits kennen.

Mit geballter Faust schreit ein 32-Jähriger Polizisten an

Eine Stunde zuvor war er gestikulierend auf der Fahrbahn herumgelaufen. Als er die Polizisten erneut sieht, will der Mann schimpfend davongehen. „Als die Polizisten sich ihm nähern, dreht er sich unvermittelt um, ballt die Fäuste, breitet die Arme auseinander und schreit die Einsatzkräfte an“, berichtet der Polizeisprecher.

Um den Mann in seinem hilflosen Zustand zu schützen und ins Gewahrsam zu nehmen, greifen die Polizisten nach seinen Armen. Der Mann wehrt sich, beleidigt die Beamten und wird schließlich zu Boden gerungen. Dabei stürzt ein 24 Jahre alter Polizist und zieht sich leichte Verletzungen zu.

In Bad Segeberg versucht ein 36-Jähriger Beamte zu treten

Vorfall zwei: Als eine Streife auf dem Marktplatz in Bad Segeberg einen volltrunkenen Radfahrer überprüfen will, rennt der 36-Jährige davon. Als ein Polizist ihn einholt, stürzen beide. Der Beamte zieht sich leichte Blessuren zu. „Nach Anlegen der Handfesseln bringen die beiden Polizisten dem Mann zum Streifenwagen“, berichtet Brockmann. „Hierbei tritt dieser nach ihnen und versucht, sie mit Kopfnüssen zu verletzen, was allerdings misslingt.“

Statistisch betrachtet, wurde jeden Tag in Schleswig-Holstein mehr als ein Polizist im Dienst durch einen Angriff verletzt. Im Jahr 2020 kam es landesweit zu 1170 Widerstandshandlungen und tätlichen Angriffen gegen Polizeibeamte.

Polizeigewerkschaft beobachtet Entwicklung mit großer Besorgnis

Arbeitnehmervertreter sind alarmiert. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Schleswig-Holstein beobachte die Entwicklung bei den Gewalttaten weiterhin mit großer Besorgnis, teilte sie mit. „Die gemeldeten Zahlen zur Gewalt gegen Polizeibeamte befinden sich auf erschreckend hohem Niveau und lassen keine Entwarnung zu. Es bleibt ein gesellschaftliches Problem.

Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Landespolizei benötigen mehr denn je den Rückhalt in der Bevölkerung und der Politik“, sagte der GdP-Landesvorsitzende Torsten Jäger. Auch auf Landesebene verbiete sich wegen der Pandemie ein Vergleich mit 2019, sagte Jäger. Eigentlich wäre ein spürbarer Rückgang der Angriffe zu erwarten gewesen. Dies sei aber nicht eingetreten.

Landespolizei fordert zehn weitere Fachkräfte wie Psychologen

Die Vielzahl der Fälle von Angriffen führe wieder in leidvoller Weise deutlich vor Augen, dass der Polizeiberuf kein Job, sondern ein Beruf mit außergewöhnlichen Gefahren und Anforderungen sei, sagte Landespolizeidirektor Michael Wilksen. Eine Entfremdung zwischen der Polizei und den Bürgern wäre Gift für den demokratischen Rechtsstaat und deren Institutionen.

Gewerkschafter Jäger ruft die Politik auf, mehr Hilfe für die Polizei bereitzustellen, um mit den permanenten Belastungen und Gefahren des Dienstes umgehen zu können. „Wir fordern schon in den aktuellen Haushaltsdebatten des Landtages für die Landespolizei zehn weitere, qualifizierte Fachkräfte, beispielsweise Psychologen“, sagte er. Damit solle die Einsatznachbereitung deutlich verbessert werden.