Teil drei: Die Pandemie machte die Norderstedterin Sarah von Hardenberg und ihren Freund Sven Erhorn drei Monate zu Staatenlosen.
Silvester haben sie in Thailand gefeiert – nun treten Sarah und Sven ihre ,,Rückreise“ an. Vom Indischen Ozean nehmen sie Anfang des Jahres Kurs auf den Golf von Aden zwischen Jemen und Somalia. Eine gefürchtete Strecke vor allem wegen der Piraten, die in der Gegend lauern. Nach ihren Erfahrungen mit Piraten vor Nicaragua, denen sie in stürmischer See mit ihrem Kat in letzter Minute auf einer Kufe davonsegelten, wollen Sarah und Sven kein unnötiges Risiko eingehen. ,,Wir haben uns zum Informationsaustausch per Facebook mit 50 Schiffen verbunden“, sagt Sven. Um ihr Schiff zusätzlich vor ungebetenen Gästen zu schützen, spannen sie Stacheldraht an die Außenhaut der „Schironn“.
Sven will nichts anbrennen lassen: Er wirft sich in seine Armee-Montur und setzt sich mit geladener Schrotflinte weithin sichtbar an Deck. Sarah steht am Ruder. Bei wolkenlosem Himmel setzen sich am Morgen mehrere Segelschiffe in Bewegung. Mittendrin fährt die „Schironn“. Langsam, aber sicher geht es bei Leichtwind voran. „Es stellte sich heraus, dass der Golf von Aden eine der schönsten Segelstrecken überhaupt ist“, sagt Sven. ,,Wir hatten jeden Tag Fisch an der Angel“, schwärmt Sarah. Sie verarbeiten den Fang an Bord zu Trockenfisch. Links und rechts werden die Segler von Tankern und Containerschiffen flankiert. Japanische Kampfjets fliegen über sie hinweg und erkundigen sich per Funk, ob alles in Ordnung ist. „Am Ende des Golfs wurden wir noch einmal kräftig durchgepustet. Es war tolles Segeln mit hoher Sicherheit. Wir haben keine Piraten gesehen“, sagt Sven.
Im Sudan werden Sarah und Sven freundlich empfangen
In Dschibouti gehen die beiden in den Supermarkt, um ihre Vorräte aufzufüllen. Sie segeln über das Rote Meer, vorbei an Eritrea, eines der ärmsten Länder der Welt. Sie ,,verstecken’’ sich mit ihrem Boot auf kleinen Inseln, in kleinen Buchten, gehen an der afrikanischen Küste in der Hafenstadt Suwakin im Sudan an Land. ,,Die Menschen dort leben in einfachen Lehmhütten mit Blechdach. Sie tragen lange weiße Gewänder und sind sehr freundlich und korrekt. Für uns sind die Sudanesen der Inbegriff vom ehrbaren Moslem“, erzählt Sven. Das Dolce Vita endet für die Weltenbummler schlagartig, als sie im Sudan zum ersten Mal von Corona hören. Von einem auf den anderen Tag wird alles anders. ,,Wir haben uns entschlossen, fix ins Mittelmeer zu gehen“, sagt Sven.
Vor Ägypten geraten sie mit ihrem Schiff in einen heftigen Sandsturm. Es ist der stärkste seit 32 Jahren. ,,Ich sah, wie sich der Himmel gelb zuzog und spürte den Staub zwischen den Zähnen“, sagt Sven. Der Sturm wird stärker. Sarah und Sven drehen eine Ehrenrunde und verlieren einen halben Tag. Die ,,Schironn“ wird von den winzigen Körnern regelrecht gesandstrahlt. Sven beißt die Zähne zusammen, hält das Schiff auf Kurs. ,,Ich war jedesmal froh, wenn ein Brecher über Deck ging und mir für einen Moment den Sand aus dem Gesicht wusch“, erzählt er.
Wieder einmal haben die beiden Glück. Wieder einmal sind sie davongekommen und können ihre Reise unversehrt fortsetzen. Das können nicht alle: ,,Als sich der Sturm gelegt hatte, sahen wir auf den Riffen zahllose zerstörte Schiffe liegen, die es nicht überstanden hatten“, sagt Sven. Der Sandsturm in Ägypten forderte an Land 20 Tote.
Glücklicherweise ist der Suez-Kanal offen. Stolze 500 Dollar Vorkasse verlangt ein Agent von ihnen für die Passage. ,,Wir waren eines der ersten Segelschiffe, die in dieser Saison hindurchgefahren sind“, sagt Sarah. Kurze Zeit später sind alle Ländergrenzen dicht. ,,Wir hörten, dass andere Schiffe in Dschibouti festsaßen“, sagt Sven.
Sarah und Sven nehmen Kurs auf Zypern. ,,Wir dachten ,Juchuu!‘ Wenn wir da sind, gehen wir erst mal schön einkaufen“, sagt Sven. Doch wieder kommt es anders. Diesmal ist es keine wilde Naturgewalt, sondern ein winziges Virus, das das Leben für alle verändert. Über Funk erfahren die Segler, dass die Einreise nach Zypern verboten ist. ,,Die griechische Küstenwache wurde sehr deutlich. Niemand durfte sich näher als acht Kilometer der Küste nähern“, sagt Sven. ,,Wir waren drei Tage auf See und wussten nicht wohin“, sagt Sarah.
„Seerecht? Ich glaube nicht, dass das noch gilt“
Was tun? Der Treibstoff geht zur Neige – und zu allem Überfluss überhitzen auch noch die Motoren. ,,Für die Reparatur wurde uns ein Ankerplatz vor Zypern zugewiesen. Es wurde uns mit scharfen Konsequenzen gedroht, falls wir uns nicht strikt an alle Anweisungen halten“, sagt Sven. An Land gehen dürfen sie nicht. ,,Wir haben die Deutsche Botschaft um Unterstützung gebeten. Aber dort hat uns niemand geholfen“, sagt Sarah. ,,Als ich auf das internationale Seerecht verwies, wonach Schiffen in Seenot die Einreise zu gestatten ist, hieß die Antwort aus der Botschaft nur: ,Internationales Seerecht? Ich glaube nicht, dass das noch gilt’“, ergänzt Sven.
Erst nach 14 Tagen bekommt die „Schironn“ Dieselkraftstoff und Lebensmittel ans Schiff geliefert. Die beiden 27-PS-Motoren laufen inzwischen wieder wie geschmiert. ,,Wir haben daraufhin den Funk und die Ortung ausgemacht und uns von Bucht zu Bucht durch die griechische Inselwelt geschlichen“, sagt Sarah. Manchmal müssen sie aufgrund starker Gegenwinde eine Woche lang warten, bis sie weiterfahren können. ,,Wir hatten immer die Angst im Nacken, dass die Coast Guard kommt und uns verjagt. Oder 5000 Euro Geldstrafe verlangt und wir im Gefängnis landen.“
In Sizilien gehen die Segler in Licata, Start und Ziel ihrer Weltumseglung, nur für eine Nacht und ein Selfie vor Anker. Entspannter wird es erst wieder in Spanien, als dort das Segeln vor der Küste für regionale Boote nach dem Ende des Lockdowns wieder erlaubt wird. ,,Wir haben uns unter die anderen Boote geschummelt“, sagt Sarah. ,,Erst als wir im Juli Portugal erreicht haben, waren wir wieder legal“, sagt Sven. ,,Unsere letzte Klarierung war im Sudan. In der Zwischenzeit waren wir drei Monate staatenlos.“
Erst in Portugal ist für sie die Welt wieder in Ordnung. ,,Wir sind bei Cap Finesterre an Land gegangen und dort nachmittags das letzte Stück des Jakobsweges zwei, drei Kilometer gemütlich nach Finesterre gegangen“, sagt Sarah.
Kurz vor Hamburg gehen die Weltumsegler ein letztes Mal vor Anker. Mit ihren Kajaks erkunden sie Schweinsand, Teil des Naturschutzgebietes Neßsand, bevor sie mit der „Schironn“ bei hochsommerlichen Temperaturen über 30 Grad auf ihre letzte Etappe elbaufwärts gehen. Begleitet von ihren Familien und Freunden auf mehreren Booten. Die Wiedersehensfreude ist riesig. Tränen fließen. In der lauen Sommernacht wird ausgiebig gefeiert.
Nach ihrer Ankunft lassen die beiden die Reise noch einige Tage im City-Sporthafen ausklingen. Was bleibt für sie nach fünf Jahren Weltumseglung? Wie hat die Reise die Weltenbummler verändert? ,,Wir waren an den schönsten Orten der Welt. Wir haben unfassbar freundliche Menschen getroffen“, sagt Sarah. ,,Viele reden von einer Weltumseglung, aber die allerwenigsten schaffen es.“ Von vier deutschen Schiffen, die sie auf Gran Canaria getroffen haben, sind sie die Einzigen, die den Erdball tatsächlich umrundet haben.
Muscheln, Steine und Tücher haben die beiden mitgebracht
Sarah erinnert sich daran, wie sie vor fünf Jahren in ihrem Büro in der City Nord saß, auf ein Poster mit einem Palmenstrand schaute und sich dachte, das hier kann doch nicht alles gewesen sein. ,,Wir haben es gemacht und wir haben es geschafft. So muss es sein“, sagt Sarah.
583 Muscheln, ein paar hübsche Steine und sehr schöne Tücher, die sie unterwegs geschenkt bekamen, sind alles, was sie und ihr Lebensgefährte von der Weltreise mitgebracht haben. Und natürlich das neue Familienmitglied Odin, die Bordhündin.
,,Das Wichtigste, was wir auf der Reise erkannt haben, ist, wie wenig materielle Dinge nötig sind. Dass uns ein sparsames, einfaches Leben glücklicher gemacht hat, als die Fülle an all den materiellen Dingen, die in Deutschland zu haben sind“, sagt Sven. ,,Uns bringt nichts mehr aus der Ruhe“, ergänzt Sarah. ,,Die Probleme, die die Leute hier haben, bringen uns nicht aus der Ruhe.“
Unterwegs sind sie Vegetarier geworden. Sie wollen mehr regionale Produkte einkaufen, Obst und Gemüse am liebsten selber anbauen. Und wieder mehr Sport treiben. Eine Zeit lang werden sie noch auf ihrem Katamaran bleiben. Im Harburger Binnenhafen wollen sie das Schiff herrichten und es anschließend verkaufen. ,,Du willst nicht Besitzer eines Rennpferdes sein und es in den Stall stellen“, sagt Sarah. ,,Wir wollen jemanden finden, der etwas Ähnliches mit dem Schiff vorhat wie wir.“
Beide sind froh, wieder hier zu sein. Beide wollen wieder arbeiten. Sarah hat schon einen Job bei ,,Ärzte ohne Grenzen“ gefunden, Sven will wieder als Elektroniker arbeiten und führt bereits Gespräche. ,,Die schönste Stadt der Welt ist für mich immer noch Hamburg. Manchmal ist es sogar so warm wie in der Karibik“, sagt der Harburger. Und Kapitänin Sarah ist überzeugt: ,,Irgendwann wird wieder das Meer rufen. Einmal segeln, immer segeln.“
ENDE