Norderstedt. Teil 2 der Serie um Sarah von Hardenberg aus Norderstedt und Sven Erhorn aus Harburg, die um die Welt segelten.
Nachdem sie die Piraten vor der Küste Nicaraguas abgeschüttelt haben, steht Sarah und Sven ihre nächste Aufgabe bevor: Um vom Atlantik in den Pazifik zu gelangen, müssen die Weltumsegler den Panama-Kanal durchfahren – eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Jedes Jahr nehmen rund 14.000 Schiffe die 82 Kilometer lange Passage, die Mittelamerika teilt.
Da kann es auf dem Wasser schon mal etwas eng werden. Die Mindestgeschwindigkeit beträgt fünf Knoten – zu viel für die ,,Schironn“, die seit ihrem Maschinenausfall nur noch über ein intaktes Triebwerk verfügt. Und Segeln? Angesichts des Schiffsverkehrs auf dem Kanal ist das keine so gute Idee.
Nichts geht mehr in Panama – neue Maschinen müssen her
An der Einfahrt zum Kanal machen Sarah und Sven auf karibischer Seite in der Shelter Bay bei Colon fest. Auch die zweite Maschine hat offenbar ihre besten Zeiten hinter sich. ,,Drei Monate lang haben wir mit dortigen Handwerkern versucht, die Maschinen zu reparieren“, sagt Sven. Ohne Erfolg. Beide Motoren sind nicht mehr zu retten.
In Deutschland wäre es kein Problem, neue Motoren aufzutreiben. Aber hier? Sarah und Sven fliegen nach Deutschland. ,,Es hat vier Wochen gedauert, bis wir etwas Passendes gefunden haben und die neuen Motoren in Hamburg frisch verpackt in einen Container verfrachten konnten“, erzählt Sven. ,,Als wir nach Panama zurückkamen, stellten wir fest, dass auf unserem Schiff eingebrochen worden war. Wir hatten 10.000 Euro Schaden. Es war der absolute Tiefpunkt unserer Reise“, ergänzt Sarah.
Doch dabei bleibt es nicht: Als der Container in Colon eintrifft, kommen statt der Motoren 236 Philipps-Herrenrasierer zum Vorschein. ,,Es war total verrückt. Niemand wusste, wo die Motoren sind“, erinnert sich Sven. Den Seglern läuft die Zeit davon. In der Karibik steht inzwischen die Hurricane-Saison kurz bevor. Eine Kanalquerung wäre unter diesen Umständen viel zu gefährlich. Erst im Frühjahr kann die Reise weitergehen.
Die "Schironn" wird vom Blitz getroffen
Nun heißt es also warten. Sven sucht sich in der Marina einen Job als Elektriker, Sarah entdeckt in einem Restaurant ihre Qualitäten als Pizzabäckerin. Und wieder läuft nicht alles glatt. Auf der Rückfahrt von einem Ausflug zum Nationalpark in Portobello wird die „Schironn“ vom Blitz getroffen.
,,Der Einschlag hat die Antennen auf dem Mast gegrillt“, sagt der Skipper. Sarah und Sven kommen mit heiler Haut davon – die „Schironn“ ist ein faradayscher Käfig, der Blitz wird um das Schiff herum abgeleitet. Aber der Radarreflektor und die Funkanlage geben keinen Mucks mehr von sich.
Nach einem Ausflug schlägt der Blitz ein
Sarah und Sven betrachten solche unvorhersehbaren Ereignisse mit einer Mischung aus Fatalismus und Humor. ,,Es stellt sich auf einem Segler nicht die Frage, ob etwas kaputtgeht, sondern wann etwas kaputtgeht“, sagt Sarah. ,,Man muss sich auf einer Seereise selbst zu helfen wissen“, ergänzt Sven. ,,Du kannst im Gewitter nicht auf die Standspur fahren und warten, bis es vorbei ist. Du kannst auch nicht den ADAC rufen. Da draußen auf dem Meer kommt niemand“, sagt die Kapitänin mit internationalem Funkzeugnis.
Für ihre zerstörten Antennen finden die Segler in der Shelter Bay eine Lösung: ,,Wir sind mit dem Schlauchboot zu einem der Schiffswracks gefahren, die in der Bucht gegenüber von Colon herumliegen und haben uns dort Antennen abgeschraubt“, verrät Sven.
Einen Kompass für ihr Schiff nehmen sie bei der Gelegenheit auch gleich mit. Schließlich treffen auch die neuen Motoren ein. Viele fleißige Hände sorgen in der Marina dafür, die Maschinen in den Katamaran einzubauen. Im Frühjahr ist das Schiff startklar. Ein Jahr hat der unfreiwillige Aufenthalt bei Colon die Beiden gekostet.
Unter Segeln geht es auf den Pazifik hinaus
Als sie den Panama-Kanal hinter sich gelassen haben, beginnt für Sarah und Sven mit der Pazifiküberquerung die längste Seepassage und der vielleicht schönste Teil ihrer Reise. Diesmal sind zwei Freunde aus Hamburg und eine Rucksackreisende aus Kanada als Gäste mit an Bord.
,Um auf dem Pazifik schneller voranzukommen, fahren die meisten Segler die erste Woche unter Motorkraft“, erklärt Sven. Doch das kommt für die beiden gar nicht infrage. ,,Wir haben gesagt, wir wollen die Welt umsegeln. Also haben wir die Segel gesetzt!“, sagt Sarah.
Der Stille Ozean trägt seinen Namen zu Recht. Das Boot kommt bei dem wenigen Wind nur sehr langsam voran. 52 Tage werden sie brauchen, um den Pazifik zu überqueren. ,,Es war eine traumhafte Zeit. Exotische Vögel, Delfine, Wale, sie alle haben uns begleitet“, sagt Sarah.
,Wir lebten im völligen Einklang mit der Natur. Ja, man könnte sagen, wir hatten die größte Freiheit in unserer kleinen Gefängniszelle.“ Sie angeln, was das Meer hergibt, und backen selber Brot. ,,Wir haben unterwegs viel gelernt“, sagt die Kapitänin.
Tieraufnahmen mit der Unterwasserkamera
Nach ihrer Ankunft in Hiva Oa in Französisch Polynesien lassen die Abenteurer die Marquesas-Inseln hinter sich und tauchen im Fakarava Atoll ein in die bunte Unterwasserwelt des Pazifischen Ozeans. ,,Es schwammen 100 Haie um uns herum“, schwärmt Sarah.
Mit ihrer Unterwasserkamera macht die leidenschaftliche Tierfotografin spektakuläre Bilder. Angst hat sie keine. ,,Es war fantastisch. Ich fühlte mich wie durch den Weltraum gepustet.“
Einheimische schließen Reisende ins Herz
Auf dem Atoll nehmen sie einen von seinen Besitzern verstoßenen Hundewelpen an Bord. Sie nennen ihn Papeete und päppeln ihn auf. Papeete wird sie bis Borneo begleiten. Auf Vanuatu, ein winziges Eiland in Französisch-Polynesien, gehen Sarah und Sven vor Anker.
,,Wir sind mit unseren Kajaks über die schroffen Felsen im Wasser an Land gepaddelt“, erzählt Sven. Am Ufer werden sie von den Einheimischen freudig begrüßt. ,,Es leben auf den Gesellschaftsinseln unglaublich freundliche Menschen“, sagt Sven. ,,Sie schenkten uns Bananen, Kokosnüsse, Papayas, Ananas, Sternfrüchte“, sagt Sarah. ,,Es hat alles so toll geschmeckt.“
Abends gehen sie zurück an Bord. Die Nächte verbringen sie auf der ,,Schironn“. Mit jedem Tag schließen die Einheimischen die Neuankömmlinge mehr und mehr in ihr Herz. Donovan, ein Missionarsschüler Anfang 20, macht sie mit seiner Insel vertraut.
Weltumsegler Sven: "Alles gehört allen"
Er zeigt ihnen, wie sie leben und führt sie zu Feldergärten mitten im Dschungel. ,,Die Menschen leben nur von dem, was die Natur hergibt und was sie selber angebaut haben. Alles gehört allen“, erzählt Sven. Donovan weiht sie nach und nach in weitere Geheimnisse der Insel ein. Rituale zum Regenmachen sind für das Naturvolk so selbstverständlich wie ausgelassene Tänze zu Trommelrhythmen in Baströcken.
Und mittenmang die Norderstedterin Sarah von Hardenberg und der Harburger Sven Erhorn. Eines Nachts führt Donovan mit seiner Machete bewaffnet das Paar zehn Kilometer durch den Busch auf einen aktiven Vulkan.
Seit sich eine Company die Vermarktungsrechte gesichert hat, dürfen nur noch geführte Touristengruppen für sehr viel Geld auf den Vulkan. Doch die Einheimischen scheren sich nicht um das Verbot. ,,Als wir oben am Rande des Kraters standen, bebte die Erde. Es war spektakulär. Da kannst Du jedes Feuerwerk vergessen“, erzählt Sven mit leuchtenden Augen.
Weltumsegler zeigen Einheimischem andere Insel
Die Segler entschließen sich, Donovan für einen Törn zu den Nachbarinseln mit an Bord zu nehmen. Ihr neuer Freund wirkt aufgeregt, als sie die Anker lichten. ,,Donovan war bis dahin noch nie auf einer anderen Insel“, erzählt Sarah. ,,Die Menschen auf Vanuatu glauben an Hexerei. Es gibt die Insel der Handfesten, die Insel der Hexer – sie alle haben Namen“, berichtet Sven. Für Donovan ist es die Reise seines Lebens.
Zurück auf Vanuatu: Am letzten Abend grillen die Einheimischen in einer kleinen Bucht ein Ferkel für Sarah und Sven. ,,Wir haben in Schrotwährung bezahlt“, schmunzelt der Skipper. Von ihren Erlebnissen und der tiefen Gastfreundschaft der Menschen auf dem Eiland werden sie noch lange zehren.
Eine Erkenntnis haben sie schon jetzt gewonnen. ,,Es ist unglaublich zu sehen, wie glücklich Menschen sein können, die außer Boxershorts, einem löchrigen T-Shirt und einer Machete kaum etwas besitzen“, sagt Sven. Für Sarah steht fest. ,,Wir wollen Donovan unbedingt wiedersehen. Vielleicht in Hamburg. Er bleibt unser Freund.“
Borneo voller Palmölplantagen und Malaysia voller Plastikmüll
Auf ihrem weiteren Weg sind ihre Erlebnisse dann etwas eingetrübt. Den weißen Traumstränden auf den Philippinen steht die dramatische Umweltverschmutzung auf Malaysia und Indonesien gegenüber. ,,Ich hatte mich als Tierfotografin natürlich sehr auf Borneo gefreut. Ich hatte einfach die Vorstellung, dass es das totale Paradies ist“, sagt Sarah.
Doch schon bei ihrer ersten Tour erkennen sie, dass direkt hinter dem schmalen Küstenstreifen die Palmölplantagen beginnen. ,,Es gab eine Auffangstation für Affen. Da können Touristen die Tiere begutachten. Es ist wie im Zoo. Mit freier Natur hat das nichts zu tun.“
Nachts mischen sich vor der Küste die Schreie der Affen mit dem Kreischen der Motorsägen. ,,Es war grausam“, sagt Sarah. ,,Palmöl ist das malaysische Gold“, sagt Sven. Ein weiteres Bild gewissenloser Umweltzerstörung hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt: Tausende Plastikflaschen überschwemmen die Strände von Malaysia.
,,Es gibt zu viele Menschen ohne Umweltbewusstsein. Die größte Herausforderung auf unserem Planten ist die Überbevölkerung“, sagt Sven. ,,Die Frage, was Du auf einer einsamen Insel tun würdest, stellt sich heute nicht mehr. Die Robinson-Crusoe-Insel gibt es nicht. Überall leben Menschen.“
Sie machen ein paar Aufnahmen von dem mit Plastikflaschen übersäten Strand, setzen die Segel und machen einen weiten Bogen um das zerstörte Paradies.