Norderstedt. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie im März konnten 24 hilfesuchende Frauen und 33 Kinder nicht untergebracht werden.
Insbesondere zu Beginn der Corona-Pandemie haben Paare viel Zeit miteinander auf engstem Raum verbracht. Einige plagten Zukunftsängste, andere überforderte die durchgehende Betreuung ihrer Kinder. Konflikte ließen sich kaum vermeiden. Zufluchtsorte fehlten.
„Schon für gesunde, harmonische Familien stellte die Situation eine Herausforderung dar“, sagt Britta Lüdeke-Kaufholz, Fachberaterin der Frauenfachberatungsstelle in Norderstedt. Wie befürchtet, stieg in der Corona-Krise die häusliche Gewalt gegenüber Frauen an. Das Frauenhaus in Norderstedt, das das einzige im Kreis Segeberg ist, konnte den vielen Hilferufen der schutzsuchenden Frauen kaum gerecht werden.
Frauenhaus in Norderstedt musste Frauen abweisen
Zwischen dem 16. März, dem Beginn der Corona-Pandemie, und dem 31. Mai konnten 24 Frauen mit insgesamt 33 Kindern nicht in der Einrichtung aufgenommen werden. Alle Plätze waren bereits belegt. Die Frauen abzuweisen, tat weh. „Doch wenn unser Haus voll ist, ist es voll“, sagt Anita Brüning, Leiterin des Frauenhauses. „Wir befinden uns an der Grenze unserer Möglichkeiten.“
Der Bedarf an Schutzräumen für Frauen und Kinder ist auch ohne Corona groß – doch während der Pandemie ist er weiter gestiegen. Deshalb unterstützen sowohl das Land Schleswig-Holstein als auch der Kreis Segeberg das Frauenhaus mit Zuschüssen für weitere fünf Plätze. Das Diakonische Werk Hamburg-West/Südholstein hat eine große Vier-Zimmerwohnung in der Nähe der Norderstedter Einrichtung angemietet und kalkuliert mit 1000 Euro pro Platz und Monat.
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Der Kreis finanziert vier Plätze, das entspricht einem Zuschuss von 4000 Euro monatlich für die Betreuung der Frauen und Miete. Das Land ermöglicht mit weiteren 1000 Euro im Monat den fünften zusätzlichen Platz. Die Hilfe ist zunächst für drei Monate gewährleistet, es besteht aber die Option, sie bis Ende des Jahres zu verlängern. „Wir sind sehr dankbar, dass alles so schnell und unbürokratisch funktioniert hat. Wir sind auf sehr viel Wohlwollen und Verständnis der Politik gestoßen“, sagt Brüning.
Auch Schwangere und Säuglinge mussten untergebracht werden
Die externe Wohnung sei nicht nur wichtig wegen der erhöhten Nachfrage, erklärt Brüning. „Wir betreuen einige Frauen und Kinder, die zur Risikogruppe gehören. Dank der zusätzlichen Plätze können wir sie besser vor einer Erkrankung schützen.“ Zur aktuellen Belegung im Haus gehören zwei Frauen und ein Kind mit schwerer Diabetes sowie zwei schwangere Frauen und ein fünf Monate alter Säugling.
„Zwar wissen wir nicht, wie Infektionen bei Schwangeren verlaufen. Aber ihre Säuglinge sind besonders schützenswert“, meint Brüning. In der zusätzlichen Wohnung werden neue Bewohnerinnen untergebracht. Sie können nach einer angemessenen Quarantänezeit ins Haupthaus umziehen, sofern es dort einen Auszug gibt.
In der kommenden Woche soll der Betrieb der externen Plätze starten. Derzeit wird die Wohnung noch eingerichtet. Das schwedische Unternehmen Ikea spendet die Möbel. „Wir freuen uns, wenn jemand auch noch gebrauchte Kühlschränke oder Waschmaschinen zu Hause übrig hat“, sagt Brüning.
Frauen suchen sich zeitversetzt Hilfe
In den ersten Wochen der Pandemie haben sich kaum Frauen bei Beratungsstellen oder beim Frauenhaus direkt gemeldet. Doch die Ruhe war trügerisch. Erst mit den von der Regierung beschlossenen Lockerungen stieg die Zahl der Anfragen. „So eine wichtige Entscheidung fällt man nicht unmittelbar in der Krise. Viele Frauen, die häusliche Gewalt erfahren, trennen sich nicht sofort“, sagt Brüning.
Mit der Hoffnung auf Besserung würden sie die Situation noch eine Weile ertragen. Der Kinder wegen. „Außerdem war es schwer, während des Lockdowns unbemerkt das Haus zu verlassen oder in Ruhe zu telefonieren, wenn der Mann im Hintergrund war.“
Dasselbe Phänomen tritt auch um Weihnachten herum auf, wenn Familien viel Zeit miteinander verbringen. Die Reaktion folgt zeitversetzt. Erst Anfang des Jahres suchen sich Frauen Hilfe. „Ich möchte keine Prognose abgeben“, sagt Brüning, „aber ich glaube, der Ansturm kommt erst noch.“ Nach den Sommerferien, denkt sie.
40 Prozent mehr Beratungen in der Corona-Krise
Damit rechnet auch Britta Lüdeke-Kaufholz von der Frauenfachberatungsstelle, die mit dem Frauenhaus kooperiert. „Die Auswirkungen der Pandemie werden sich noch zeigen, wenn weitere Unternehmen insolvent gehen und Arbeitslosigkeit ein noch größeres Thema wird“, sagt sie. Das würde zu weiterem Druck in Familien führen.
Schon jetzt hat die Frauenfachberatungsstelle Schätzungen zufolge 40 Prozent mehr Beratungen durchgeführt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei sei es nicht nur um häusliche Gewalt gegangen, sondern auch um Depressionen und Trennungen, berichtet Lüdeke-Kaufholz. „Die Lage ist im Allgemeinen deutlich angespannter wegen der Corona-Krise.“