Elmshorn. Frauen, die vor Gewalt flüchten, bleiben zu lange in der Schutzeinrichtung, weil sie keine Wohnung finden. Betten fehlen für Notaufnahmen

Ein Jahr und zehn Monate. Solange musste die Frau, die vor der Gewalt ihres Mannes geflüchtet ist, im Elmshorner Frauenhaus ausharren. In dieser Zeit hat sie ihr Baby zur Welt gebracht. Nun hat sie endlich eine eigene Wohnung gefunden und kann einen Neustart wagen.

„Die Verweildauer ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen“, sagt Maj-Birte Gernand. Sie arbeitet seit der Eröffnung des Frauenhauses 1992 dort, betreut Frauen und deren Kinder in Not. Doch sie und andere Mitarbeiterinnen stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. Schuld ist vor allem der leergefegte Wohnungsmarkt. „Die Frauen finden kaum bezahlbare Wohnungen“, sagt die Sozialpädagogin. „Die Lage ist dramatisch.“ Sie wisse von einer Hilfesuchenden mit fünf Kindern, die seit drei Jahren im Frauenhaus leben muss.

Frauen in akuten Notlagen müssen abgelehnt werden

„Vermieter können sich ihre Mieter aussuchen. Frauen, die von Hartz IV leben oder eventuell verschuldet sind, gehören nicht zur bevorzugten Klientel“, sagt Maj-Birte Gernand. Es käme vor, dass Vermieter ganz offen aussprächen, dass Kinder nicht erwünscht seien, ein Hund dagegen kein Problem darstelle.

Dramatische Folge der langen Verweildauer: Die Plätze sind blockiert. Frauen in akuten Notlagen müssen abgelehnt und in andere Bundesländer vermittelt werden. Denn so wie in Elmshorn sieht es derzeit in allen Frauenhäusern in Schleswig-Holstein und Hamburg aus. Nicht jede Frau geht diesen Schritt mit. „Über deren Verbleib führen wir keine Statistik, aber es ist wahrscheinlich, dass einige auch wieder in die Situation zurückkehren, aus der sie versucht haben, auszubrechen“, sagt Maj-Birte Gernand.

Zudem werden immer häufiger Flüchtlingsfrauen von der Polizei ins Frauenhaus gebracht, weil ihre Männer gewalttätig geworden sind oder diese eine Trennung hinter sich haben. Diese Frauen und ihre Kinder haben eine dramatische Flucht hinter sich, haben Tote, Bombenangriffe, Morde gesehen. Das stellt die Pädagogen in den Frauenhäusern noch einmal vor ganz andere Herausforderungen. Ruhe, um das Trauma zu verarbeiten, finden sie in den Frauenhäusern nicht.

„Die Räume sind mit 13 Quadratmetern sehr beengt“, sagt Sozialpädagogin Francine Toulcanon, die seit einem halben Jahr das Team im Frauenhaus Elmshorn unterstützt. Mit 28 Plätzen, derzeit alle belegt, ist es im Kreis Pinneberg das größte von drei Frauenhäusern. Die Räumlichkeiten entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Ein Zimmer ist mit jeweils zwei Doppelstockbetten ausgestattet, sodass sich fremde Frauen den Raum teilen müssen. Die Frauen und Kinder würden sich bereits in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden und eigentlich einen Rückzugsraum benötigen, um das Erlebte auch verarbeiten zu können.

Die Stadt als Vermieterin ist bereit, das Gebäude, das ein Vierteljahrhundert alt ist, umfassend zu sanieren. Streitpunkt ist allerdings ein möglicher Erweiterungsbau. Die Stadt sieht die Landesregierung in der Verantwortung, die Kosten dafür zu tragen. „Wir sind weiterhin mit Land und Stadt im Gespräch“, sagt Maj-Birte Gernand. Das Thema wird zurzeit im Ausschuss für Gleichstellung, Soziales und Sicherheit beraten. „Wir merken aber, dass Elmshorn keine eigene Gleichstellungsbeauftragte mehr hat, die sich auch mal für die Belange der Frauen einsetzt.“

Eine neue zentrale, länderübergreifende Anlaufstelle für Frauenhäuser gibt es in Hamburg. Diese ist zugleich Koordinierungsstelle und trägt länderübergreifend dazu bei, dass Frauen in Not einen passenden Platz im geeigneten Frauenhaus erhalten. Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard und Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit hatten am Montag eine weiterführende Vereinbarung unterzeichnet. Die bereits im August gestartete Stelle „24/7“ soll eine schnellere und effektivere Hilfe sowie eine gleichmäßige Belegung der Frauenhäuser und eine Entlastung der Mitarbeiterinnen gewährleisten.

Laut Kathrin Nordmann, Mitarbeiterin des Autonomen Frauenhauses Wedel, ist die Zeit zu kurz, um positive Auswirkungen durch die neue Hamburger Koordinationsstelle zu beziffern. „Aber wir haben manchmal das Gefühl, dass wir weniger Anfragen von Frauen aus Hamburg bekommen.“ Allerdings werde die Platzsituation im Frauenhaus trotzdem immer akuter, auch sei die Barrierefreiheit beispielsweise durch die Stockbetten nicht gewährleistet. „Es kommt immer wieder vor, dass Frauen auf Notmatratzen übernachten müssen“, sagt sie. Aktuell seien einige Bewohnerinnen bald ein Jahr im Haus.

Auch in Pinneberg sind die Kapazitäten seit Monaten ausgereizt. „Die Frauen bleiben länger, und es gibt nicht genug Plätze“, sagt Mitarbeiterin Andrea Schintzke. Die Flüchtlingswelle ist auch bei uns angekommen und es wird in den kommenden Jahren so bleiben.“

Die Landesregierung berät derzeit den Haushalt 2017 und ob sie den gedeckelten Etat der Frauenhäuser mit zusätzlichen Mitteln auch aus dem Topf der Flüchtlingshilfe erhöhen soll.