Norderstedt. Stadt erforscht die Wohnformen der Zukunft. Norderstedt bekommt 600.000 Euro vom Bund für das Forschungsprojekt.

Können Sie sich vorstellen, das Badezimmer oder die Küche mit anderen zu teilen? Wie viel Wohnfläche brauchen Sie? Ist ein Hobbyraum nötig? Ist für Sie eine Bibliothek denkbar, die von mehreren Nachbarn gemeinsam genutzt wird? Und worauf oder auf welche Räume und Einrichtungen können Sie verzichten? Das will die Stadt von den Norderstedtern wissen. „Wir werden die repräsentative Umfrage im Sommer starten“, sagt Herbert Brüning, der die Stabsstelle Nachhaltigkeit im Norderstedter Rathaus leitet. 10.000 Haushalte sollen den Fragenkatalog beantworten, die Umfrage ist ein wichtiger Baustein im bundesweiten Wettbewerb „Zukunftsstadt“ – da hat es Norderstedt unter die letzten acht Städte geschafft.

Und widmet sich jetzt in einem Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Frage, wie wir künftig wohnen werden und wollen und dabei nachhaltig bleiben, also nur so viele Ressourcen verbrauchen wie vorhanden sind oder wieder neu entstehen.

„Im Moment verbrauchen wir global gesehen dreimal so viel wie uns unsere Erde bietet“, sagt Brüning, der für das Forschungsprojekt zum nachhaltigen Wohnen eine neue Mitarbeiterin gewonnen hat: Annabell Lehne verstärkt die Stabsstelle Nachhaltigkeit im Rathaus.

Tiny Houses sind keine Lösung

Sie hat Umweltwissenschaften in Lüneburg studiert, im Kreis Nordfriesland das Klimabündnis aufgebaut und freut sich, dass sie jetzt wieder in ihre Heimatregion arbeiten kann: „Für mich persönlich ist nachhaltiges Verhalten auch im Alltag ganz wichtig“, sagt Lehne. Ihr gefällt am neuen Job der ganzheitliche Ansatz und, dass die Bürger mit ins Boot geholt werden.

„Wohnen ist gerade in Norderstedt ein wichtiges Thema“, sagt Brüning. Die Mieten steigen, die Zahl derer, die Wohnraum bezahlen können, sinke: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den Ruhestand, und viele könnten sich Mieten von 1000 Euro nicht mehr leisten. Auch der Zwang, den Flächenverbrauch einzuschränken und nicht immer neue Naturflächen zu versiegeln, erfordere neue Wohnformen.

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Die Tiny Houses, die Minihäuser, die immer mehr in Mode kommen, seien allerdings keine Lösung. Sie verbrauchten zu viel Fläche. „Das funktioniert vielleicht auf dem Land, aber nicht in städtischen Bereichen wie in Norderstedt“, sagt Brüning. Da müsse eher in die Höhe gebaut werden.

Aber auch das japanische Modell funktioniere hier nicht. Dort schlafen die Menschen wie in Bienenstöcken in Waben über- und nebeneinander. Einen guten Meter ist die Koje hoch, etwa ebenso breit, zwei Meter lang. Eine Jalousie verschließt die Koje zum Gang hin. „Wir wollen die Menschen weder in einen Hühnerstall noch in eine Hundehütte zwingen“, sagen Brüning und Lehne. Abgespecktes Wohnen solle von denen, die sich für reduzierten Wohnraum entscheiden oder wegen zu geringem Haushaltsbudget entscheiden müssen, nicht als Strafe angesehen werden.

600.000 Euro bekommt Norderstedt für das Projekt

Im Fokus stünden nicht nur Menschen mit wenig Geld. „Wir wollen auch erfahren, wie finanzstarke Singles und Familien künftig in ihren eigenen vier Wänden leben wollen“, sagt Brüning. Das Ziel sei nicht nur, Wohnen bezahlbar und auf wenig Raum zu gestalten, sondern dabei auch Qualität anzubieten.

600.000 Euro bekommt Norderstedt vom Bund für das Forschungsprojekt. Dabei geht es nicht um das Forschen im Elfenbeinturm, um bloß wissenschaftliche Erkenntnisse. Am Ende des Projektes sollen konkrete Modelle stehen, die die Wohnungswirtschaft realisieren kann und will – und zwar bundesweit. „Wir können und wollen damit zum Vorreiter werden und erneut demonstrieren, wie innovativ Norderstedt ist“, sagt Brüning.

Die Wohnungsunternehmen sind daher in das dreistufige Vorhaben eingebunden, nicht nur Norderstedter Unternehmen, sondern auch große Anbieter aus Hamburg. In einem ersten Schritt sind sie gefragt: Was ist für sie denk- und finanzierbar? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? „Eine ist, dass sich Eineinhalb-Zimmer-Wohnungen leichter vermieten lassen als Ein-Zimmer-Appartements“, sagt Brüning.

Auch die Baustoffe sind entscheidend

Zweiter Baustein ist die Umfrage unter den Norderstedter Haushalten, die gerade erarbeitet wird, voraussichtlich im Herbst werden die Ergebnisse vorliegen. Mit diesen Erkenntnissen werden Architekten gefüttert, die in einem Ideenwettbewerb praktikable Wohnmodelle entwickeln sollen.

„Wichtig dabei ist, dass das Wohnformen sind, die von den Norderstedtern akzeptiert werden. Was nützen die tollsten Mikro-Appartements, wenn niemand darin wohnen will“, sagt Brüning. Zum Abschluss des Projektes werden die Vorstellungen der Architekten auf ihre Praxistauglichkeit überprüft, Vertreter der Wohnungsunternehmen werden die Modelle begutachten.

Teil des Projektes seien auch die Baustoffe. Da ist, so Brüning, ein Umdenken nötig: weg von den Energiefressern Beton, Stahl und Aluminium hin zu ökologisch unbedenklichem Holz. Beim Bau des Bildungshauses in Garstedt will die Stadt Zeichen setzen – mit viel Holz, dem Verzicht auf Glas und Beton, viel natürlichem Licht und einer kompakten Bauweise.