Norderstedt. Im Alter selbstbestimmt leben: Im Plenarsaal in Norderstedt trafen sich Bürger, die ihren Alterswohnsitz selbst gestalten möchten.
Jeder vierte Norderstedter ist älter als 65 Jahre. „Da stellt sich die Frage, wie all diese Menschen im Alter in der Stadt leben und vor allem wie sie wohnen möchten. Die können ja nicht alle ins Heim“, sagt Joachim Braun. Der Mann leitet die Wohnungsbaugenossenschaft Fluwog Nordmark mit 4629 Wohnungen in Hamburg. Und er ist aktiv beim Seniorenbeirat Norderstedt. Gemeinsam mit dem Gremium und möglichst vielen Gleichgesinnten will Braun jetzt Ideen für ein erstes Modellprojekt für das selbstbestimmte Wohnen im Alter für Norderstedt entwickeln.
Dass Braun und der Seniorenbeirat damit einen Nerv getroffen haben, zeigte sich im Plenarsaal des Rathauses am Mittwoch: Zur Auftaktveranstaltung war der Ratssaal voll besetzt. 150 Senioren hörten aufmerksam zu und stellten interessiert Fragen. Etwa 60 bekundeten sofort konkretes Interesse daran, ein solches Wohnprojekt in Norderstedt zu initiieren.
„Das Thema beschäftigt alle Menschen im Rentenalter“, sagt Jürgen Peters (72), Sprecher des Seniorenbeirates, zwar: „Meine Frau und ich fühlen uns noch fit und wir können uns noch gar nicht vorstellen, aus unserem Reihenhaus auszuziehen.“ Aber das könne sich ja auch schnell ändern, und man sollte Vorsorge treffen. Nur wie?
Auch Seniorenbeirat wünscht sich mehr Unterstützung von Verwaltung und Politik
Ähnlich unklar ist dies auch noch für Angela Mierow. Aber sie macht sich Gedanken. „Ich wohne allein in einem Einfamilienhaus in Norderstedt“, sagt die 66-Jährige. „Keine Ahnung, wie ich mal im Alter leben werde. Soweit bin ich noch nicht.“ Da ist Wilfried Stobbe (74) schon etwas weiter mit seiner persönlichen Lebensplanung. Er habe sich für das Neubauprojekt der Norderstedter Wohnungsbaugenossenschaft Adlershorst am Harksheider Markt angemeldet. „Ich möchte gerne eine günstige Wohnung zur Miete in Innenstadtnähe haben.“
Auch das Paar Uwe Nickel (75) und Johanna Sievers (67) aus Glashütte ist noch topfit. „Aber man muss sich schon Gedanken machen“, sagt Nickel, der seit einigen Jahren mit der gebürtigen Österreicherin zusammenlebt. Gerade noch hätten sie abwehren können, dass sie nach der Sanierung ihrer Wohnung plötzlich 200 Euro mehr Miete im Monat hätten zahlen sollen. „Deshalb kann ich mir sehr gut vorstellen, mit meiner Frau in einer Senioren-Wohngemeinschaft zu leben.“ Aber das müsse natürlich „bezahlbar sein“, sagt Johanna Sievers.
„In meiner Heimat im Salzburger Land geht man besser mit den alten Menschen um.“ Auch der Seniorenbeirat wünscht sich mehr Unterstützung von Verwaltung und Politik, sagt Joachim Braun. „In Norderstedt passiert relativ wenig. Es ist dringend erforderlich, dass in Norderstedt in den Wohnungsbau investiert wird. Wir brauchen mehr Mietwohnungen, die öffentlich gefördert sind. Sonst werden wir in zehn bis 15 Jahren unser blaues Wunder erleben.“
Wohnungsbauexperte kritisiert Planung in Norderstedt
Aktuell würden drei neue Wohnbaugebiete in Norderstedt geplant, in die bis zu 5000 Menschen einziehen könnten, erläutert Stadtplaner Mario Helterhoff. Am Harkshörner Weg sollen 540 neue Wohnungen entstehen, am Glashütter Damm (Sieben Eichen) etwa 500 und im Baugebiet Grünen Heyde an der Harckesheyde sollen es sogar 1150 Wohneinheiten sein. In den Wohnquartieren wird es auch Dienstleistungsangebote für Friseure oder Fußpfleger sowie Treffpunkte für die Bewohner und Innenhöfe geben, die einen nachbarschaftlichen Charakter vermittelten. „Wir planen da auch seniorengerechtes Wohnen“, sagt Helterhoff.
Doch Wohnungsbau-Experte Braun geht das noch nicht weit genug. Vor allem fehlte es in diesen Baugebieten an guter Nahversorgung und einer fußläufig zu erreichenden Busanbindung. „Die Bushaltestellen sind dort meist weiter als 500 Meter entfernt.“ Das sei für Menschen im hohen Alter, die gehbehindert sind, auf Rollstuhl oder Rollatoren angewiesen sind, oftmals eine zu große Anstrengung, sie zu erreichen.
Wie ein Modellprojekt für eine seniorengerechte Wohnform im Alter aussehen kann, stellte Hans-Hermann Hagge vor. So hat sich in der Nachbargemeinde Henstedt-Ulzburg vor etwa zehn Jahren eine Gruppe von Menschen der Generation 50plus zusammengetan und schließlich Am Wöddel 21 ein Mehrfamilienhaus mit 23 Wohnungen gemeinsam geplant und sei dort 2015 eingezogen. „Das hat zwar Blut, Schweiß und Tränen gekostet“, erinnert sich Hagge, der das Projekt fünf Jahre lang begleitet hat.
„Aber es sind dort öffentlich geförderte Wohnungen für 5,85 Euro je Quadratmeter Netto-Kaltmiete im Monat und frei finanzierte für 8,50 Euro verwirklicht worden.“ Mit Hilfe eines Investors und der Gemeinde sei es gelungen, das Vier-Millionen-Euro-Projekt zu finanzieren. „Das wäre auch für Norderstedt eine Lösung“, glaubt Hagge. „Es gibt Wohnformen auch für die ältere Generation, die machbar und tragbar sind.“