Kiel/Bad Bramstedt. Das Berufungsgericht in Kiel konnte die Mitschuld des getöteten Opfers nicht ausschließen und bestätigte das Urteil des Amtsgerichts Neumünster.
Im Strafverfahren um den tödlichen „Smartphone-Unfall“ auf der A 7 bei Bad Bramstedt, bei dem die Mutter (33) eines damals neun Monate alten Kleinkinds ums Leben kam, ist der Angeklagte auch in zweiter Instanz freigesprochen worden. Am Dienstag bestätigte eine Berufungskammer des Kieler Landgerichts das Urteil des Schöffengerichts, das den 72-Jährigen vor einem Jahr freigesprochen hatte. „Wir können nicht ausschließen, dass der Unfall für den Angeklagten unvermeidbar war“, begründete der Vorsitzende Gunther Döhring den Freispruch.
Selbst wenn man dem Angeklagten die Nutzung seines Handys vorwerfen könne, sei die Kammer nicht von seiner Schuld überzeugt. Das Fahrverhalten des Opfers sei ungeklärt geblieben. „Wie sich der Unfall ereignet hat, wissen wir nicht.“ Ein Kfz-Sachverständiger hatte aus dem Spurenbild am Unfallort geschlossen, dass der Polo der Frau mit nur 52 bis 62 km/h vom Standstreifen auf die Fahrbahn wechselte, als der Angeklagte ihn mit doppelter Geschwindigkeit von der Überholspur herkommend erfasste. Augenzeugen gab es keine.
Die Mitschuld des Opfers ist nicht auszuschließen
Laut Urteil ist nicht auszuschließen, dass die Frau mit dem langsamen Tempo abrupt vom Standstreifen auf die rechte Fahrspur wechselte. Dem Angeklagten, der kurz zuvor mit 120 km/h einen Kleintransporter überholt hatte, wären dabei laut Gutachten im ungünstigsten Fall nur 1,2 Sekunden Reaktionszeit geblieben, wenn er den Polo von rechts einscheren sah. Der Vorsitzende verwies auf die erhöhte Sorgfaltspflicht des nicht vorfahrtsberechtigten, zum Warten verpflichteten Opfers. Ein solches Szenario ist laut Urteilsbegründung nicht bewiesen, aber auch nicht auszuschließen.
Die Staatsanwältin verwies auf die durch ein Gutachten belegte Handy-Nutzung des Angeklagten, der kurz vor dem Unfall auf eine WhatsApp reagiert habe. Sie forderte ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie 5000 Euro Schmerzensgeld für die Hinterbliebenen. Der als Nebenkläger am Prozess beteiligte Witwer reagierte betroffen auf den Freispruch. Gegenüber Medienvertretern wollte er das Urteil jedoch nicht kommentieren.
Der Angeklagte hatte im Berufungsprozess geschwiegen. In seinem letzten Wort bedauerte der 72-Jährige blass und sichtlich bewegt, aber mit fester Stimme „aufrichtig und zutiefst“ jenes Geschehen, das das Leben des Nebenklägers und auch sein eigenes auf den Kopf gestellt habe. Gleichzeitig will er jedoch „absolut keine Möglichkeit“ gehabt haben, den Unfall zu vermeiden: „Ich habe keine Schuld auf mich geladen. Ich habe nicht fahrlässig getötet.“