Norderstedt . Die Verkehrswacht will den “Revolution Train“ nach Norderstedt holen – auch gegen massive Kritik an Konzept, Umsetzung und Kosten.
Der Zweck heiligt die Mittel, sagte der Philosoph Niccoló Machiavelli. Übersetzt auf die Idee des „Revolution Trains“ müsste die Frage demnach lauten: Ist es sinnvoll, für Kosten in Höhe von etwa 140.000 Euro einen in Tschechien stationierten Zug in den Kreis Segeberg rollen zu lassen, dessen Innenleben mit beeindruckend inszenierten Kulissen die grausame Kehrseite des Alkohol- und Drogenmissbrauchs abschreckend simuliert und damit Norderstedter Kinder überzeugen soll, die Hände von Schnaps, Cannabis und Amphetaminen zu lassen?
Ja, sagt Jürgen Schlichting. Der Mann ist Verkehrs-Präventionslehrer der Polizei im Kreis Segeberg und aktiv in der Verkehrswacht. Er will den Zug bereits im Herbst im Kreis rollen sehen. Die Finanzierungsplan ist sportlich: 140.000 Euro will Schlichting von privaten Sponsoren in den kommenden vier bis fünf Monaten einsammeln. Dann könnte der Zug je eine Woche in Norderstedt, in Bad Segeberg und in Bad Bramstedt Station machen. 6000 Schüler, so der Plan, sollen den Anti-Drogen-Parcours in Waggons auf 165 Metern Länge absolvieren und ebenso aufgeklärt wie aufgerüttelt wieder aussteigen.
Verkehrswacht vertraut auf einen tschechischen Erfinder
Ohne Frage ist der Zug faszinierend. Erdacht und umgesetzt wurde er von Pavel Tuma, der sich als Designer, Erfinder und Visionär bezeichnet. Seine Grundidee ist der 5D-Unterricht, also das Lernen und Erfahren mit allen fünf Sinnen. Wer sieht, hört, riecht, schmeckt und berührt erinnert Lehrinhalte zu 80 Prozent, sagt Tuma. Auf dieser Basis entwickelte er den „Revolution Train“, ein Multimedia-Erlebnis für Jugendliche, samt nachgestellter Szenen einer Alkohol- und Drogenkarriere. Der Zug rollte seit 2015 in 80 osteuropäische und deutsche Städte in Bayern, Thüringen und Sachsen. Betrieben wird er von dem laut Selbstauskunft gemeinnützigen Stiftungsfonds Neues Tschechien.
„Mit Flyern und Würfelspielen in den Schulen kommen wir bei der Drogenprävention nicht mehr weit“, sagt Jürgen Schlichting. Die neue Generation von Jugendlichen brauche eine völlig neue Ansprache. „Da darf es keinen erhobenen Zeigefinger geben.“ Im Zug könnten die Jugendlichen lernen, Nein zu sagen, eigene und starke Entscheidungen zu treffen. „Ja, es gibt harte Szenen im Zug: Ein Jugendlicher, der sich den Goldenen Schuss setzt, ein Verkehrsunfall unter Alkoholeinfluss. Aber heutige Jugendlichen schauen auf ihren Handys noch ganz andere Sachen“, sagt Schlichting.
Das Sozialministerium lehnt den Zug und sein Konzept ab
Doch genau dieser Abschreckungseffekt macht das Projekt zu einem Politikum. „Das Projekt war nicht förderfähig, da es den fachlichen Anforderungen nicht entsprach“, sagt Christian Kohl, Sprecher des Kieler Sozialministeriums. „Der dabei stark im Vordergrund stehende Ansatz der Abschreckung erwies sich in der Suchtprävention als nur begrenzt wirksam.“ Ebenso urteilt das Innenministerium, weswegen Schlichting die Aktion auch nicht als Polizist, sondern in seiner Funktion als Mitglied der Verkehrswacht organisiert.
„Das Projekt arbeitet nachhaltig! Es soll zur Zusammenarbeit mit den bestehenden und guten Angeboten der Drogenprävention im Kreis kommen, in Form eine Info-Messe am Zug“, sagt Schlichting. „Wir wollen die Drogen-Prävention ergänzen und nicht ersetzen.“
Dr. Hans-Jürgen Tecklenburg, Leiter der Ambulanten und Teilstationären Suchthilfe (ATS) im Kreis Segeberg begrüßt den Ansatz. „Ich finde es grundsätzlich gut, wenn sich Organisationen Gedanken über Prävention machen.“ Im Auftrag der öffentlichen Hand hat seine ATS in Norderstedt, Henstedt-Ulzburg und Kaltenkirchen in den vergangenen Jahren in 470 Präventionsprojekten etwa 10.000 Jugendliche erreicht. Im Gegensatz zum einmaligen Aufschlag des „Revolution Train“, setzt die ATS auf Langfristigkeit. „Kontinuität ist wichtig bei der Ansprache der Jugendlichen“, sagt Tecklenburg. Im übrigen habe die ATS schon seit Jahrzehnten den klassischen Präventionsansatz („Flyer und Würfelspiele“) verlassen. „Wir holen die Jugendlichen auf Augenhöhe ab, bieten ihnen sichere Räume mit Vertraulichkeit, in denen sie ihre Erfahrungen offen einbringen können.“
Der Drogenkonsum im Kreis ist nicht stärker als anderswo
Der Erfolg der Arbeit zeige sich darin, dass das Einstiegsalter beim Drogenkonsum im Kreis steige und Alkohol bedingte Ausfälle von Jugendlichen sinken. Alkohol sei zu 80 Prozent das Hauptproblem und auch der Cannabis-Konsum. Aber insgesamt sei die Gefährdungslage bei Jugendlichen im Kreis im Landesvergleich unauffällig. Offene Fragen zum Projekt bleiben. In Norderstedt soll der Zug etwa auf dem Stammgleis im Gewerbegebiet an der Oststraße zum Stehen kommen. Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder ist sich nicht sicher, ob sie das Projekt unterstützt. Ebenso wie Landrat Jan Peter Schröder hatte Roeder einen Mitarbeiter nach Prag geschickt, um sich ein Bild vom Zug zu machen. „Da habe ich noch keine Rückmeldung“, sagt Roeder. „Der Zug wird kontrovers diskutiert. Ich möchte mir gerne ein eigenes Bild machen.“ Fraglich erscheint es, ob die Kommunen Steuergeld für das Projekt locker machen. Schlichting will bereits im Juni die Verträge mit dem Stiftungsfonds unterschreiben. „Bis dahin muss das Geld da sein.“