Norderstedt. Thomas Gotthardt wollte den Schulstreik für Klimaschutz unterstützen. Doch die Schulleitung drohte mit harten Konsequenzen.
Schüler lassen die Schule sein und demonstrieren für den Klimaschutz – und in den Schulen sitzen die Lehrer vor leeren Klassen, im Spannungsfeld zwischen Dienstrecht und Sympathie für den demokratischen Widerstand ihrer Schutzbefohlenen. Die weltweiten „Fridays for Future“-Demonstrationen führen zu breiten gesellschaftlichen Diskussionen über das Für und Wider der Bewegung. Am Freitag erreicht das Thema Norderstedt.
Laut Polizei werden bei der ersten Norderstedter Schülerdemo an die 600 Teilnehmer erwartet. Doch für Aufsehen sorgt im Vorfeld der Demo nicht die Schülerschaft, sondern ein Lehrer. Thomas Gotthardt (36), seit 2013 unterrichtet er Geschichte, Wirtschaft und Politik am Gymnasium Harksheide. „Ich hatte vor, die Demo am Freitag in Norderstedt zu besuchen und habe meine Schulleitung darüber informiert“, sagt Gotthardt. „Ich weiß, dass ich als verbeamteter Lehrer nicht demonstrieren darf. Ich wollte nun wissen, welche Konsequenzen mir drohen, wenn ich es tue.“
Laut Ministerium sehr scharfe: Eine tarifliche Rückstufung und ein Beförderungsstopp für vier Jahre. Zu heftig für Gotthardt, der sich gerade um eine Versetzung bemüht. „Ich verzichtete – auch mit Rücksicht auf meine Familie – auf die Demo und die Rede, die ich dort halten wollte.“ Stattdessen wird Gotthardt am Freitag nun also vor einer leeren Klasse sitzen und seiner dienstlichen Verpflichtung nachkommen.
Gotthardt empfindet es als Skandal, dass er als freier Bürger nicht seine Meinung kundtun darf. „Ganz gleich, ob ich angestellter oder verbeamteter Lehrer bin.“ Doch das deutsche Beamtenrecht sieht das Streikverbot für Staatsbedienstete als wesentlich an. Und das, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Deutschland schon aufgefordert hat, das zu ändern. Der EGMR begrenzt das Streikrecht nur auf die Polizei, das Militär und die hoheitliche Staatsverwaltung.
Demokratie predigen – sie dann aber nicht vorleben
Gotthardt wird nicht streiken – aber er macht den Mund auf. „Ich schäme mich als Lehrer!“, sagt er. Weil er den Schülern nicht vorleben darf, was er im Unterricht versucht, ihnen mühsam einzutrichtern. „Einerseits bringen wir den Schülerinnen und Schülern jahrelang bei, wie wichtig ökologische Nachhaltigkeit und Demokratie ist. Zumindest in unserer Schule können spätestens in der Oberstufe alle Schüler alle wichtigen Phrasen zu diesen Themen im Schlafe auswendig aufsagen.“ Aber andererseits würden jetzt Strafen angedroht, wenn Schüler in der Schulzeit protestieren wollen. „Die Botschaft ist so klar wie verheerend: Demokratie ja, aber nicht im Rahmen der Schule!“, sagt Gotthardt.
Er fragt sich, wo Kinder und Jugendliche positive Demokratieerfahrungen sammeln sollen, wenn nicht in der Familie oder in der Schule. „Wo lernen sie, dass Demokratie und Nachhaltigkeit mehr als Unterrichtsstoff sind? Ich schäme mich, dass ich nur wohlwollend hinter der Gardine stehen darf, während Schüler jetzt das einzig Richtige tun: Die Ärmel hochkrempeln und unter Strafandrohung politische Ziele einfordern, die wir ihnen in den Kopf gesetzt haben. Ich schäme mich für alle Kolleginnen und Kollegen, die wegschauen und Vorschriften zitieren. Ich schäme mich für Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, die ihre eigenen Klimaziele in den Wind schlagen und mit ihrer scheinheiligen Solidarisierung mit den Schülerinnen und Schülern den untergeordneten Behörden, Schulämtern, Schulleitungen und auch den Lehrern in den Rücken fallen.“
Gotthardt wünscht sich, dass mehr Kollegen so denken wie er. Die Realität sei eine andere. „Wie viele melden sich denn zu Wort in diesen Tagen? Kaum einer.“ Die Schulbehörden fordert Gotthardt auf, das Drohen mit Disziplinarstrafen sein zu lassen. „Und die Politik sollte endlich ihre eigenen Klimaziele ernst nehmen. Von beidem sind wir derzeit meilenweit entfernt.“
In den übrigen Schulen der Stadt scheinen die Kollegien die Demo eher als einen Projekttag in positivem Ungehorsam zu begreifen. „Wir unterstützen unsere Schüler in der Meinungsbildung und wollen ja, dass sie bewusst durch die Welt gehen“, sagt Heike Schlesselmann, Leiterin des Coppernicus-Gymnasiums. „Wir halten uns an die Weisung des Ministeriums und verzichten auf Härte in der Ahndung.“ Wer streikt, statt zu büffeln, der bekommt eine unentschuldigte Fehlstunde im Zeugnis.
Nabu ruft Schüler zu zivilem Ungehorsam auf
So handhabt das auch Schulleiter Stephan Damp am Lise-Meitner-Gymnasium. Er sieht die Rollen klar verteilt. Als Schule müsse man auf die Schulpflicht pochen. „Auch wenn eine Klimaschutz-Demo etwa Gutes ist: Die Gesetzgebung unterscheidet da nicht vom Zweck her.“ Wer streiken und demonstrieren will, der müsse bei diesem Akt des Widerstandes bewusst Regeln brechen – und dann auch für die Konsequenzen geradestehen. Schulleiter Rainer Bülck von der Gemeinschaftsschule Harksheide akzeptiert die Demonstration und sieht die Rolle des Lehrers eng an der Seite der Schüler – aber nach der Demo und nicht während der Demo. „Wir greifen das Thema Demonstration und Widerstand im Unterricht auf und versuchen, im Dialog mit den Schülern Alternativen zu erarbeiten zum Schulstreik.“
Horst Bollmann vom Naturschutzbund Norderstedt (Nabu) hingegen freut sich über den zivilen Ungehorsam der Schüler in Norderstedt. „Kein theoretisches Lernkonzept kann solch ein beispielhaftes Lernprojekt in Sachen Zivilcourage und zivilgesellschaftlichem Engagement ersetzen. All die Verweise auf Unterrichtspflicht und andere Drohungen von Politikern und Verwaltungsbürokraten sind nicht angebracht.“ Bollmann ermuntert die Jugendlichen, sich nicht beirren zu lassen. „Klima- und Naturschutz jetzt – bevor es zu spät ist! Es geht um unsere und vor allen Dingen ihre Zukunft!“