Tangstedt. Dieter Matz, langjähriger Abendblatt-Journalist und überzeugter Norderstedter, stellt am 4. Oktober sein Buch „Matz ab!“ vor.
Wahllos schlägt Dieter Matz eine alte Zeitung auf. 16. November 1984. Er tippt auf ein Foto. „Rolf Sellmann. Der wohnt heute in Berlin. Den kann ich sofort anrufen.“ So läuft das immer in der „Geschichtsstunde“ mit Matz. Die Anekdoten sprudeln aus dem 70-Jährigen nur so heraus. Der frühere Sportreporter des Hamburger Abendblatts hat nun ein Buch darüber geschrieben, „Matz ab!“, so hieß auch sein erfolgreicher Fußball-Blog, der Markenname lebt also weiter. Das Werk wird Matz am Donnerstag, 4. Oktober, bei einer Lesung in Tangstedt (siehe Infokasten rechts) vorstellen.
Junge Journalisten können es sich wohl kaum vorstellen. Es gab eine Zeit ohne Internet, ohne Pay-TV, WhatsApp und andere soziale Medien. Sich ein Netzwerk aufzubauen und es dann auch noch zu pflegen, war vor Jahrzehnten erst recht eine Kunst. Und Dieter Matz hat das bereits sehr früh in seiner Laufbahn perfektioniert. Seit mittlerweile fast 40 Jahren wohnt er in Norderstedt – „immer in Harksheide, immer dasselbe Haus“ –, hier tauchte er in die regionale Fußballszene ein und hatte sein Ohr überall.
In Tangstedt wurde ihm Prügel angedroht
„Das war wirklich eine sehr schöne Zeit. Dort, wo man hingekommen ist, haben sich die Leute meistens gefreut. Es war ja nicht alltäglich, dass die Amateure in der Zeitung erschienen. Noch heute kenne ich unheimlich viele Leute aus der Szene.“ Frechheit siegte. „Beim WSV Tangstedt gab es mal einen Trainer, der hat das, was ich geschrieben hatte, mit in die Sitzung vor dem Spiel genommen. In der Mannschaft waren zwei Brüder, die ich über Wochen kritisiert hatte – und die wollten mir dann aufs Maul hauen.“
Trotzdem: Matz war „einer von ihnen“ aus Sicht der Kicker. „Ich hatte als Inhaber einer B-Lizenz schon zwei Landesligisten trainiert. Ich kannte die Trainer, war ein Kollege, die haben mir alles erzählt.“ Und das anfangs ausgerechnet beim „Heimatspiegel“, also der lokalen Konkurrenz. Die Zeitung wurde früher ja noch nicht kostenlos verteilt wurde. „Die hatten die besten Infos“, erinnert sich Matz. Und das wiederum nervte Hermann Rüping, beim Abendblatt verantwortlich für den Norderstedter Sportteil. Also warb er den talentierten Schreiber einfach ab. „Ich habe dann eine Amateurkolumne eingeführt: ,Gehört und gesehen’.“
Ein voller Erfolg, wer hier erwähnt wurde, war Gesprächsthema. Dieter Matz wusste, wo er sich herumtreiben musste, um die besten Storys abzugreifen. „Ich war mit Hinni Töllner und Dickie Würdemann vom Sportshop im Herold-Center befreundet. Eigentlich war das mein Büro, dort kamen Gott und die Welt vorbei, da habe ich die Geschichten erfahren. Denn alle Fußballer kauften dort ein.“ Töllners Sohn Sven nahm sich den Abendblatt-Mann sogar als Vorbild. „Ich will später das machen, was Dieter macht“, sagte der Junior. Tatsächlich: Heute ist Töllner ein bekanntes TV-Gesicht bei „Sky Sport News HD“, berichtet unter anderem über den HSV, davor war er bei der „Hamburger Morgenpost“.
Der Hamburger SV. Darüber muss immer gesprochen werden mit Dieter Matz. „Ich bin nicht mit dem HSV abgestiegen“, betont er. Solange er den „Dino“ begleitete, gelang immer die Rettung, das stimmt. Dafür erlebte er die beste Zeit des Vereins in den 1980er-Jahren. Und als Norderstedter hatte er die Mannschaft, die ja zu dieser Zeit eine der weltweit besten war, direkt vor der Haustür auf der Paul-Hauenschild-Anlage, die immer nur „Ochsenzoll“ genannt wurde. „Ich konnte so oft hin, wie ich wollte, das war alles ohne Schwierigkeiten. Schon beim ,Heimatspiegel’, da hieß es ,Rund um den Lindenhof’. Ich habe viele Spieler kennengelernt, unter anderem auch Franz Beckenbauer. Ich bin mit dem Fotoapparat am Ochsenzoll erschienen, habe mit den Fußballern gesprochen. Damals war aber auch noch nicht so ein Medienrummel.“
Der HSV war allerdings im Gegensatz zu 2018 eine sportliche Macht. 1983, nach dem Gewinn des Landesmeisterpokals gegen Juventus Turin, war Dieter Matz der einzige Journalist, der nicht am Rathausmarkt war, als der Pokal präsentiert wurde. Er hatte eine Ahnung, warum es sich lohnen würde, in Norderstedt zu warten. Später kamen die Spieler nämlich dorthin, um sich umzuziehen – und weiter zu feiern. „Jürgen ,Joschi’ Groh kam dann aus der Kabine, angeheitert. ,Dieter, du trinkst jetzt einen Schluck aus dem Pokal.“
In diesem Moment kam Horst Hrubesch aus der Dusche, Handtuch um die Hüfte, und polterte: „Jürgen, was soll der Scheiß? Journalisten haben hier nichts verloren!“ Hrubesch war der Chef, sein Wort Gesetz. Matz trank das Gesöff, eine Mischung aus Bier und Sekt, trotzdem. „Ich bin dann raus und habe um Hrubesch jahrelang einen Bogen gemacht. Er war der einzige Sportler, den ich nie geduzt habe.“
Lesung in Rade
Erst vor einigen Jahren änderte sich das spontan bei einem Telefonat. „Ich habe ihm die alte Geschichte erzählt, Horst hat sich totgelacht.“ Heute seien solch freundschaftliche Verhältnisse undenkbar. „Die Spieler dürfen nicht mehr privat angerufen werden, alles muss abgesegnet sein, es ist ein Jammer.“
Oliver Kahn ignorierte Matz – der revanchierte sich später
Ein bodenständiger Kerl war Andreas Köpke, der spätere Europameister. Der ist gebürtiger Kieler, startete seine Karriere bei Holstein. Matz berichtete – noch für den „Heimatspiegel“ – von einem Freundschaftsspiel gegen Holstein Quickborn. „Ich stand neben seinem Tor, wir haben uns unterhalten, ich habe immer gehofft, dass ich eine Szene mit ihm als Foto bekomme.“ Daraus wurde nicht, Köpke war beschäftigungslos. „Nach der EM 1996 gab es dann einen Empfang. Köpke ging vorbei.“ Und muss sich vage erinnert haben. Plötzlich dröhnte der Torhüter: „Höre ich da eine norddeutsche Stimme?“ Mit Köpkes Nachfolger Oliver Kahn lief es nicht so gut. „Der hat immer nur mit ,Stern’, ,Kicker’ und der ,Süddeutschen Zeitung’ gesprochen, nicht mit dem Fußvolk.“ Matz revanchierte sich viele Jahre später. Kahn, längst im sportlichen Ruhestand, war TV-Experte für das ZDF, hatte also die Seiten gewechselt – und war zudem Werbebotschafter für einen Wettanbieter. Bei einem PR-Event fragte ihn Matz daher einfach, ob sich Kahn denn mittlerweile hineinversetzen könne in die Arbeit der Journalisten, die er so lange belächelt hatte. Der „Titan“ lachte: „Jeden Tag denke ich daran, jeden Tag leiste ich Abbitte.“