Henstedt-Ulzburg. Der neue Bürgervorsteher von Henstedt-Ulzburg, Mariano Córdova, über sein Amt, Probleme der Großgemeinde und die Rolle der Ortspolitik.

„Gott gebe mir Gelassenheit“, nach diesem Motto lebt Mariano Córdova, seit dem 12. Juni Bürgervorsteher in Henstedt-Ulzburg. Der 67 Jahre alte WHU-Politiker, dessen Familie Anfang des 20. Jahrhunderts aus Peru nach Deutschland emigrierte, gilt als unbequem, wechselte während der letzten Wahlperiode von der CDU zur Wählergemeinschaft, was ihm viele Christdemokraten auch heute noch übel nehmen. Als junger Mann war Córdova zwölf Jahre bei der Marine, machte später eine kaufmännische Ausbildung, studierte BWL, arbeitete unter anderem als Account Manager bei der Telekom-Tochter T-Systems, wo er auch im Gesamtbetriebsrat war. In Henstedt-Ulzburg lebt der zweifache Vater und vierfache Großvater mit seiner Familie seit 1982.

Herr Córdova, niemand hatte vor der Kommunalwahl auf Sie als Bürgervorsteher getippt. Hatten Sie selbst dieses Amt im Blick?

Mariano Córdova: Bürgervorsteher zu werden, war nicht mein Ziel. Es war ja von der Wahrscheinlichkeit her auch nicht so, dass wir als WHU die stärkste Fraktion werden würden.

Sie gelten als unbequemer Politiker. Wie politisch darf denn ein Bürgervorsteher sein?

Bei Abstimmungen stimme ich so, wie es mein Gewissen mir sagt. Bei Diskussionen halte ich mich zurück, sorge aber dafür, dass die Luft nicht vergiftet wird. Ich hatte diese schizophrene Situation auch im Beruf. Als Sprecher des Konzernwirtschaftsausschusses stand der wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund. Und wenn ich zum gleichen Thema als Gesamtbetriebsrat befragt wurde, habe ich die Mitgliederinteressen vertreten. Ein Bürgervorsteher vertritt alle – ich bin nicht der Wächter über das Wohlergehen der WHU, wie vielleicht einige denken. Wichtig ist für mich, was in der Flasche ist, nicht, was außen draufsteht. Wir Politiker sind die Vertreter aller Bürger, wir sollten wissen und berücksichtigen, was für den Ort und seine Bürger am besten ist.

Wer hat Sie politisch geprägt?

Ich habe den früheren Bundestagsabgeordneten Peter Kurt Würzbach auf einem Flug von Hamburg nach Bonn getroffen, auch Günter Verheugen saß dabei. Das war ein sehr interessantes Gespräch. Dann hat sich Würzbach noch einmal gemeldet und gesagt: Solche Leute wie Sie können wir brauchen, so kam ich letztendlich zur Politik und in die CDU. Ich bin von Haus aus ein eher konservativer Mensch.

Aber nach 18 Jahren bei den Christdemokraten sind Sie 2016 zur WHU gegangen. Ihre Ex-Partei sagte Ihnen später nach, Sie hätten die Kasse schlecht geführt.

Diese Aussage ist falsch, mit der Kassenführung gab es nie Probleme. Es ging aber um eine grundsätzliche Diskussion. Ich habe immer gesagt: Unsere wirtschaftliche Situation könnte besser sein, wenn wir nur die Kosten an die Kreis-, die Landes- und Bundes-CDU abführten, die wir auch tatsächlich abführen müssen. Wir hatten Mitglieder, die zwar ein Parteibuch hatten, aber keine Beiträge gezahlt haben.

Henstedt-Ulzburg ist mittlerweile berüchtigt für intensive Debatten über die Ortsentwicklung. Ist die Gemeinde gespalten?

Ja, aber es sind nicht immer die gleichen Lager. Es gibt eine gewisse Grundhaltung, man merkt einen Unterschied zwischen den Wählergemeinschaften und den etablierten Parteien. Wichtig ist, dass der Bürger das Gefühl hat: Er wird gehört.

Sie beispielsweise sind Rhener, wohnen direkt an der Wilstedter Straße. Was bewegt die Menschen dort?

Ganz oben auf der Liste steht der Verkehr. Die Wilstedter Straße, die Parkplatzsituation auf dem Rhen, der östliche Teil der Wilstedter Straße, in dem sich auch die Klinik befindet. Ein Knackpunkt sind dort die Anliegerbeiträge für die anstehende Fahrbahnerneuerung – und was wird das für eine Straße? Wir sind alle dafür, die Bürger zu entlasten. Aber die genauen Randbedingungen müssen noch geklärt werden. Und: Wie geht man in diesem Zusammenhang mit der Klinik und dem Tennisclub um? Wir müssen mit dem WZV und dem LBV ins Gespräch kommen, um zu klären, ob eine Anbindung der Klinik an die Schleswig-Holstein-Straße machbar ist. Wir müssen den Schwerlastverkehr vom Rhen herunterbekommen. Der Sportplatz soll zum Teil bebaut werden. Ich persönlich finde es schade, wenn Grünflächen vernichtet werden. Einige Mitbürgerinnen und Mitbürger haben durch die Innenverdichtung das Gefühl, es sei das Maß verloren gegangen.

Bürgervorsteher

Joachim Vanselow (gest. 1981): 1970 bis 1974

Kurt Gerber (gest. 2000): 1974 bis 1977

Johannes Engelbrecht: 1977 bis 1988

Walter Schmold (gest. 2015): 1989 bis 1991

Horst Schmidt: 1991 bis 2004

Joachim Süme: 2004 bis 2008

Carsten Schäfer: 2008 bis 2013

Uwe Schmidt (gest. 2017): 2013 bis 2017

Dietmar Kahle: 2017 bis 2018

Mariano Córdova: seit 12. Juni 2018

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Vor fünf Jahren entschied sich die Bevölkerung dagegen, das aus der Gemeinde Hen­stedt-Ulzburg eine Stadt wird. Wie stehen Sie heute zu diesem Thema?

Wir sind Teil des sogenannten Hamburger Speckgürtels. Da gibt es verständlicherweise Begehrlichkeiten, den Wohnraum zu nutzen – aber auch eine Gefahr, dass der dörfliche Charakter verloren geht. Bei vielen Menschen ist das Gefühl verloren gegangen, dass im Sinne einer Gemeinde gehandelt wird. Wir gehen auf 30.000 Einwohner zu. Und da stellt sich schon die Frage, wie es mit der Infrastruktur weitergehen soll. Der Verkehrskollaps ist schon fast normal. Es wird zu wenig miteinander über dieses Thema geredet. Das führt auch zu Politikmüdigkeit. Wir sollten als Gemeinde unseren Spielraum optimal ausnutzen.

Dann sind die vielen Bürgerinitiativen ein Indikator dafür, dass es nicht stimmt?

Es gibt immer Themen, bei denen sich die Leute angesprochen fühlen. Es wird eher versucht, Bürgerinitiativen zu bilden, als in der Politik jemanden zu finden, der die Interessen vertritt. Der Beckersbergring ist das beste Beispiel. Dort fühlen sich die Bewohner alleingelassen, und das größtenteils zu recht.

Wo ist für Sie eine Grenze erreicht im politischen Streit?

Wenn aufgehört wird, andere Meinungen zu respektieren. Und wenn nebulöse Aussagen und Anschuldigungen kommen, wie beispielsweise, dass man persönliche Vorteile bei bestimmten Dingen hätte. Ich werde entschieden dagegen einschreiten – egal, wer wem etwas an den Kopf wirft. Es ist Aufgabe des Bürgervorstehers, die Sitzung ordnungsgemäß zu leiten. Wenn es ins Persönliche, ins Ehrabschneidende geht, müssen Grenzen gezogen werden.

Sie sind ein sehr gläubiger Mensch, sind im Kirchengemeinderat von St. Petrus auf dem Rhen und im Vorstand der Kirchenkreissynode Altholstein, verteilen für den Gideonbund, eine international tätige christliche Organisation, sogar öffentlich Bibeln – fließt die Religion bei Ihnen in die Politik ein?

Wir verteilen Bibeln vor Schulen, Krankenhäusern, Arztpraxen und Seniorenheimen, bei der Bundeswehr, waren in Boostedt vor dem Erstaufnahmelager. Ich finde es einfach gut, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und ihnen zu sagen: Schaut in die Bibel. Aktiv fließt mein Glaube nicht in die Politik ein. Aber er hilft mir, gelassener zu sein. Ich sehe einige Dinge eben auch unter einem christlichen Aspekt.