Norderstedt. Zum ersten Mal seit längerer Zeit gibt es kurz vor Ausbildungsbeginn im Kreis Segeberg mehr Job-Angebote als Bewerber.
Zwischen dem jungen Sebastian Karajewski und dem Restaurantinhaber Driton Grezda hat es sofort gepasst. Für beide ist Kochen mehr als bloßes Handwerk, für sie ist es Kunst. Die Anforderungen von Grezda für sein Norderstedter Restaurant „Ionios“ sind hoch. Einen weiteren Azubi hat er zum August, dem Ausbildungsstart für 2018, noch nicht gefunden. Viele Betriebe suchen auch weiterhin – im Kreis gibt es mehr unbesetzte Stellen als Bewerber. Das gilt auch für Norderstedt. Arbeitsagentur-Chef Thomas Kenntemich fordert mehr Flexibilität – sowohl von den Betrieben, als auch von den Suchenden.
„Der Markt kippt“, sagt Kenntemich. Er leitet die Arbeitsagentur Elmshorn, die auch für den Kreis Segeberg zuständig ist. Zum ersten Mal seit längerer Zeit erlebe er, dass es bei Ausbildungen mehr Stellen gibt als Bewerber. Mitte Juni suchten noch 550 Bewerber nach einem Ausbildungsplatz, demgegenüber stehen 689 unbesetzte Stellen. In Norderstedt gibt es diesen Trend schon seit Jahren, hier setzt er sich auch fort. Mitte Juni suchten noch 129 nach einer Stelle, 245 waren noch offen.
Das Produkt Ausbildung sei nicht mehr knapp, der Markt müsse sich also entsprechend darauf einstellen, sagt Kenntemich. „Für die Betriebe heißt das, dass sie sich nicht mehr zurücklehnen können nach dem Motto ,Wir werden schon noch jemanden finden.’ Sie müssen aktiver werden.“
Der Arbeitsagenturchef moniert, dass manche Betriebe so kurz vor Ausbildungsbeginn noch „auf Zeit spielen“. Unternehmer sollten sich schneller entscheiden, so Kenntemich. Wenn ein Bewerber in der engen Auswahl ist, soll er das auch wissen. „Wenn sich Firmen zu viel Zeit nehmen, warten die guten Leute nicht und sind schnell weg.“
Am meisten gesucht werden Kaufleute
Für den Restaurantinhaber aus Norderstedt steht allerdings fest: Wer nur halbherzig bei der Sache ist, kommt nicht in seine Küche. Als er mal einen Bewerber fragte, warum er denn ausgerechnet in seinem Laden anfangen möchte, sagte dieser einfach nur: „Ich muss halt eine Lehre machen.“
Anders war es bei dem 19 Jahre alten Sebastian, der schon seit einem Jahr und sieben Monaten eine Ausbildung bei „Ionios“ macht. „Schon mit zwölf habe ich gerne gekocht. Als Oma oder meine Mutter am Herd standen, habe ich sie immer beobachtet.“ Der Job ist hart, sagt er. Alles muss dem Besucher schmecken, gut aussehen und auch noch schnell zubereitet werden. „Wenn sich die Gäste bei einem bedanken, ist es ein schönes Gefühl“, sagt Sebastian. „Mit meinem Essen mache ich die Menschen glücklich.“
Markt verändert sich, Firmen brauchen neue Strategien
Es kann mit dem perfekten Bewerber klappen, so wie im Norderstedter Restaurant. Doch es könne sich für die Betriebe lohnen, über manche Details hinwegzuschauen. „Man sollte nicht nur auf die Noten und Zeugnisse achten, sondern auch auf die Motivation und die Person“, sagt Kenntemich. Er rät Betrieben dazu, offen für alle Bewerber zu sein. „Also auch mal Frauen in klassischen Männerberufen anzustellen, Bewerber, die schon Mitte zwanzig sind oder Menschen mit Migrationshintergrund in Betracht zu ziehen.“
Diese Botschaft hat Kenntemich immer wieder an die Betriebe gesendet. Aus seiner Sicht mit Erfolg. Heute seien viele Arbeitgeber offener als früher. „Damit bin ich auch sehr zufrieden. Aber es gibt auch solche, die den Schuss noch nicht gehört haben“, sagt er. Der Markt habe sich verändert, die Strategien durften nicht mehr die gleichen sein wie vor zehn oder 20 Jahren. „Wenn diese Firmen so weitermachen, bekommen sie über kurz oder lang überhaupt keine Azubis mehr.“
Trotz der leichten Überzahl an Stellen sollen sich auch die Azubis nicht zurücklehnen. Denn wenn die Erwartungen auseinanderklaffen, bleiben am Ende sowohl Betriebe ohne Azubis als auch Bewerber ohne Stellen. Wer etwa eine Ausbildung als Verkäufer anstrebt, sollte sich nicht auf eine einzige Branche festlegen. „In dem Bereich haben wir viele offene Stellen, aber auch noch 37 unversorgte Bewerber“, berichtet der Chef der Arbeitsagentur. Wer unbedingt im Fitnessstudio verkaufen will, aber noch keine Stelle hat, sollte für Alternativen offen sein.
Unbesetzt bleiben oft Stellen in eher unbekannten Berufen. Darüber sollen sich Bewerber besser informieren, denn die Stellen können interessant sein. Etwa im Bereich Süßwarentechnologie, in dem industriell Pralinen und andere Leckereien produziert und verpackt werden. Ein weiterer unbekannter Beruf sei Brunnenbauer, sagt Kenntemich. „Das hört sich alt an, ist aber mit viel Technik verbunden. Daran hängt die ganze Wasserversorgung.“ Für die überwiegend männlichen Bewerber, die ihre Traumstelle als Kfz-Mechatroniker nicht bekommen, kann sich der Blick über den Tellerrand auch lohnen. „Die wenigsten wissen, dass es die nahezu gleiche Tätigkeit in anderen Bereichen auch gibt – etwa in der Landwirtschaft oder bei Nutzfahrzeugen.“
Über die Zahl der Abbrüche ist der Chef der Arbeitsagentur in Elmshorn nicht sonderlich alarmiert. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte kürzlich berichtet, dass die Abbruchquoten bei Ausbildungen bundesweit auf dem höchsten Stand seit Beginn der 90er-Jahre seien. Die Statistik stimme zwar, sagt Kenntemich, aber nicht jeder Abbruch bedeute ein Problem. So sind auch Azubis, die innerhalb eines Betriebs wechseln oder sich für eine andere Ausbildung entscheiden, mit eingerechnet. Allerdings, so Kenntemich, können Abbrüche für Jugendliche schnell zu einem großen Problem werden. Die Agentur kann in solchen Fällen helfen, betont er. „Wir beraten da gerne. Junge Menschen sollen sich nicht scheuen, bei uns nach Rat zu suchen.“
Wer in Kreis Segeberg noch nach einem Azubi-Platz sucht, hat trotz des späten Zeitpunkts noch gute Karten – genug Stellen sind da. Und vielleicht trifft einer auf Sebastian Krajewski und Driton Grezda und macht mit ihnen Kunst für die Augen und Gaumen der Restaurantgäste.