Tangstedt. In der Gemeinde wirbt die Politik mit Vorschlägen zu Gewerbe und Verkehr um Stimmen. Auch Verhältnis zu Norderstedt wird diskutiert.

Jürgen Lamp bekommt es in diesen Tagen permanent zu hören: Die Menschen in Tangstedt verstehen einfach nicht, warum es ihrem Heimatort so schlecht geht. „Wie kann es sein, dass wir als reiche Gemeinde nicht mit unserem Geld auskommen?“ Diese Frage, so berichtet der CDU-Spitzenkandidat, bekomme er bei vielen Haustürgesprächen gestellt. Das Dilemma ist im Alltag spürbar – Schlaglöcher auf den Straßen, verglichen mit anderen Kommunen hohe Kitabeiträge, wenig Steuereinnahmen, viel Verkehr. Die Lebensqualität leidet ausgerechnet dort, wo durchschnittlich die Bürger mit am besten verdienen kreisweit.

Der 62-Jährige sitzt seit 1994 in der Gemeindevertretung, seit 2008 auch im Kreistag. Zuletzt leitete er den Zentralausschuss sowie die Arbeitsgruppen zur Costa Kiesa und zum ÖPNV. Neben Amtsinhaber Norman Hübener (SPD) ist er der einzige weitere Bewerber auf den Posten als Bürgermeister. Er müsste also wissen, wo die Probleme liegen. „Die Ausgaben sind zu hoch. Die Kinderbetreuung kostet Geld, die Straßen fressen uns auf. Ich erwarte von der Verwaltung einen vernünftigen Plan.“

Die Kitas sind ein Dauerthema, regelmäßig bekommt die Politik in Sitzungen den Unmut der Eltern über Personalmangel ab. „Wenn jede Erzieherin in Tangstedt 100 Euro mehr bekommt, kommen sie zu uns. Als Gemeinde ist man im Wettbewerb, da müssen wir herausstechen. Und wenn es unser Haushalt hergeben würde, würden die Elternbeiträge auf Null sinken.“

Offenes Rennen in Nahe und Itzstedt

Als gemeinsamer ländlicher Zentralort genießen die Nachbarorte Nahe und Itzstedt bekanntlich einige Vorzüge – etwa gibt es Geld vom Land für Maßnahmen, die den Schul- oder Sportbereich betreffen. Doch dass nicht immer alles zusammen funktioniert, wurde kürzlich deutlich: Die Itzstedter Gemeindevertretung fand keine Mehrheit für einen Kita-Zweckverband mit Nahe – eine Stimme fehlte. Grundsätzlich muss in beiden Orten die Betreuung ausgebaut werden. Doch ob ein Zweckverband besser ist als ein externer Träger, das bezweifeln in Itzstedt CDU und FDP an.

2017 ließen sich die Politiker auch erstmals informieren über die Möglichkeiten, Chancen und Risiken einer Fusion. Die Meinungen hierüber gingen auseinander, Nahe schien aufgeschlossener zu sein. Es wird eine der zentralen Fragen der nächsten fünf Jahre sein, ob dieser Prozess tatsächlich angeschoben wird.

Auf Itzstedt bezogen, diskutiert das Dorf derzeit intensiv über Straßenausbaubeiträge. Je nach Partei sollen die Abgaben komplett verschwinden, als wiederkehrende Beiträge erhoben oder die jetzige Form beibehalten werden. Noch gibt es keinen Mehrheitsbeschluss.

Bürgermeister Peter Reese ist erneut Spitzenkandidat der CDU. Für die SPD bewirbt sich Helmut Thran um den Posten, für die FDP ist Reinhard Schümnann auf dem ersten Listenplatz, bei der Wählergemeinschaft UBI (Unabhängige Bürger für Itzstedt) Heiko Ehwald. Der Ausgang ist offen: Aktuell haben SPD und CDU je vier Sitze, die UBI drei und die FDP zwei Mandate.

In Nahe wurden Bürgermeister Holger Fischer (Wählergemeinschaft Dörfliches Nahe) im Wahlkampf 150 Unterschriften überreicht – gefordert wird eine Fläche für eine Skateranlage und einen BMX-Parcours. Bei den Straßenausbaubeiträgen hatte die Politik vorsorglich vereinbart, das heikle Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten – wohl, damit niemand in Versuchung gerät, zu viel zu versprechen.

Fischer hat sein Interesse bekundet an fünf weiteren Jahren. Die CDU (fünf Sitze in der Gemeindevertretung) hat Manfred Hoffmann als Spitzenkandidaten aufgestellt, die Sozialdemokraten, die wie die WDN vier Mandate halten, setzen auf Marc-André Ehlers.

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Lamp spricht im Konjunktiv, der Haushalt ist chronisch defizitär. „Wir würden gern mehr Gewerbe haben. Keine Industrie, sondern Gewerbe, das Steuern einbringt.“ Wie eigentlich alle Politiker verweist er auf Tangstedts missliche Lage im Achsenzwischenraum. „Wir werden vom Land gebremst.“ Er hofft auf CDU-Innenminister Hans-Joachim Grote, als ehemaliger Norderstedter Oberbürgermeister mit Tangstedt gut vertraut – und eben heute verantwortlich für die Landesplanung.

Die Christdemokraten werben für ein Gewerbegebiet, gern zusammen mit Norderstedt, gegenüber der Abzweigung von der Schleswig-Holstein-Straße auf die Oststraße. Das Verhältnis zur Nachbarstadt soll sogar grundsätzlich neu gedacht werden. Lamp propagiert die Radikalkur. „Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine Verwaltungsgemeinschaft, oder wir werden Ortsteil von Norderstedt. Wir sollten eine Einwohnerversammlung machen und das Thema diskutieren. Ein Bürgerentscheid wäre ein politischer Auftrag.“ Wird nichts getan, sagt er, dann laufe Tangstedt Gefahr, aus Finanznot seine Eigenständigkeit zu verlieren.

Die Bürgergemeinschaft Tangstedt (BGT) setzt andere Schwerpunkte. „Wir befürworten ein Gewerbegebiet südlich des Nahversorgungszentrums. Das ist im letzten Flächennutzungsplan am Land gescheitert – wir hoffen, dass das Land jetzt positiver gestimmt ist“, sagt Fraktionschef Lothar Metz, der insbesondere den Dienstleistungsbereich anlocken möchte. Deutlich geringer werden soll der Durchgangsverkehr. Der Ansatz: mehr Tempo 30. „Wir wollen die Straßen mit Tempolimits beruhigen, um den Verkehr fernzuhalten. Wir sind auch nicht gegen eine Umgehung – aber gegen eine Trasse, die den Forst durchschneidet.“

Die Umgehungsstraße ist das Lieblingsthema von Peter Larsson. Der FDP-Spitzenkandidat wirbt selbstbewusst für eine Route von der Harksheider Straße südlich des Tangstedter Forstes entlang. „Wir wurden immer ausgelacht. Aber es liegt ganz klar an der Gemeindevertretung.“ Nur dann sei auch das Land gesprächsbereit. „Wir brauchen eine Mehrheit, dann gibt es einen Grundsatzbeschluss. Wenn wir keine Trasse machen und kein Gewerbe ansiedeln – Norderstedt macht trotzdem Gewerbe, und wir schlucken den Verkehr.“

Wofür die Gemeinde auch ohne Landesregierung sorgen kann, ist Wohnraum. „Wir brauchen dringend für Singles, junge Familien und Senioren bedarfsgerechten Mietwohnraum, damit diese Bürger nicht gezwungen sind, unsere Gemeinde zu verlassen“, sagt Johannes Kahlke, Ortsvorsitzender der SPD. „Die Planungen zur Kuhteichfläche dürfen nur der Anfang sein. Als nächster Schritt muss die Gemeinde Sozialwohnungen schaffen, die in gemeindlicher Hand verbleiben.“

Das passiert in den anderen Gemeinden

Die Lokalpolitik in der Gemeinde Oering wurde in den letzten Jahren komplett auf den Kopf gestellt. Wie aus dem Nichts war 2013 die Wählergemeinschaft Oering (WGO) entstanden, hatte binnen Monaten die anderen Parteien überflügelt und aus dem Stand die absolute Mehrheit von sieben Sitzen errungen. Bis Herbst 2017 war Thomas Steenbock Bürgermeister, dann trat er zurück, Bodo Nagel übernahm – und will nun weitermachen. Die CDU, über Jahre eine feste Größe im Ort, stellt sich hingegen nicht mehr zur Wahl. Dafür gibt es eine zweite Wählergemeinschaft – die Aktiven Oeringer, die allerdings der Union nahe stehen. Spitzenkandidat Martin Hafke ist parallel Ortsvorsitzender der Christdemokraten. Dritte Kraft ist die FDP; Andreas Hüttmann ist dort der Frontmann.

In Kayhude ist Bernhard Dwenger von der CDU als Bürgermeister schon eine Institution. Im Amt seit 2003, kandidiert er erneut. Derzeit hält die CDU sechs der zwölf Sitze im Gemeinderat. Erstmals treten im Ort die Grünen an – Spitzenkandidat ist Eberhard Krauß. Die SPD wird angeführt von Gerhard Pelzer, die Kommunale Wählergemeinschaft von Eckhard Beger.

Maren Storjohann (CDU), deren Mann Gero den Kreis als Bundestagsabgeordneter vertritt, ist seit Februar 2013 Bürgermeisterin von Seth und erneut Spitzenkandidatin. Für die SPD tritt Simon Herda an, für die Freie Wählergemeinschaft Gerrit Grupe.

In Sülfeld ist Bürgermeister Karl-Heinz Wegner bereit für eine zweite Amtszeit. Dessen CDU verfügt bisher über eine absolute Mehrheit mit neun von 17 Sitzen. Seine Kontrahenten: Udo Petri von der SPD und Thomas Orlowski von der „Aktion Bürger für Gemeinde Sülfeld“. Die Wählergemeinschaft musste sich zuletzt neu aufstellen, da ihr Vorsitzender Eckard Boss überraschend verstorben war.

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Kostenfreie Kitas – auch ein Standortfaktor – könne es nur mit finanzieller Hilfe des Landes und Bundes geben. Alles andere sei „Augenwischerei“, so Kahlke. Auch bei Straßensanierungen müsse wie zugesagt Geld aus Kiel fließen. Dass Tangstedt ein Ortsteil von Norderstedt werde, lehnt er strikt ab. „Sonst verschwinden wir als dörfliche Gemeinschaft und werden Ausgleichsfläche städtebaulicher Planungen.“ Eine Umgehungsstraße möchte auch die SPD. „Die Parteien müssen sich gemeinschaftlich für eine Umgehung einsetzen, die nicht durch den Forst geht.“

Erstmals treten in Tangstedt auch Bündnis 90/Die Grünen an. Spitzenkandidat ist Stefan Mauel. Gewerbe möchte auch er ansiedeln – aber an einem anderem Standort, nämlich rund um das Kompostwerk Bützberg, wo Biogas hergestellt wird. „Wir wollen nachhaltiges, zukunftsorientiertes Gewerbe, das passt zu unserer Gemeinde. Es macht keinen Sinn, Logistikzentren in die Landschaft zu setzen. In Bützberg wird erneuerbare Energie hergestellt, das kann für das Gewerbegebiet genutzt werden.“ Mauel, der seit 2009 im Ort lebt, vermisst eine Dorfgemeinschaft. „Es gibt keinen Ortskern.“ Der Bereich rund um das Rathaus könnte belebt werden mit Wohnungsbau, einem Mehrgenerationenkonzept und einem Regionalmarkt. Dazu wollen die Grünen das Radwegenetz etwa im Tangstedter Forst verbessern, damit auf diese Weise auch ohne Auto die Ortsteile ganzjährig untereinander erreichbar sind.