Bad Segeberg. Arztwahl, neues Konto, Jobsuche – der Kreis Segeberg will den digitalen Alltagshelfer mit allen wichtigen Informationen ausstatten.
Wie finde ich einen Arzt in Deutschland? Was mache ich bei einer Schwangerschaft? Wo eröffne ich ein Konto? Für Einheimische sind diese Fragen einfach. Neubürger aus anderen Ländern kommen aber in dem Geflecht aus Behörden, unbekannter Kultur und einer Fremdsprache schnell an ihre Grenzen. Ein Teil der Beratung soll für den Kreis Segeberg bald eine App übernehmen, die vor drei Jahren von Studenten in Bayern entwickelt wurde und mittlerweile von vielen Kommunen eingesetzt wird.
39 Städte und Kreise in Deutschland haben sich für die Smartphone-Anwendung Integreat entschieden. 2015 startete die App als studentisches Projekt in Augsburg, die erste Idee war simpel: „Wir wollten Infos für Flüchtlinge über die Stadt ins digitale Zeitalter bringen“, erzählt Fritjof Knier. Der 27-Jährige begleitet das Projekt seit seinen Anfängen in Bayern. Daraus ist ein gemeinnütziges Unternehmen entstanden mit Fritjof als einer der zwei Geschäftsführer. Die App Integreat ist Flaggschiff der Firma „Tür an Tür – Digital Factory“. Sie hat das Ziel, den öffentlichen und sozialen Sektor zu digitalisieren. Der Alltagshelfer ist für Nutzer kostenlos und in mehreren Sprachen verfügbar.
In Schleswig-Holstein nimmt der Kreis Segeberg jetzt eine Vorreiterrolle ein. Besonders Flüchtlinge sollen von der App profitieren, da sie erfahrungsgemäß zum großen Teil über Smartphones und Tablets kommunizieren, sagt Sabrina Müller, Sprecherin der Kreisverwaltung. „Daran wollen wir nun anknüpfen.“ 13.000 Euro investiert der Kreis in eine zweijährige Laufzeit des Projekts. Die Augsburger stellen die App kostenlos zur Verfügung, bezahlt werden lediglich Übersetzung und Support. Im November stellte Fritjof Knier die Anwendung vor, Anfang März beschloss der Hauptausschuss einstimmig die Umsetzung. Einen genauen Starttermin kann Sabrina Müller zwar noch nicht nennen, aber Fritjof Knier hält Juni für ein realistisches Ziel.
Bis dahin muss die Segeberger Verwaltung die besonders wichtigen lokalen Information bereitstellen. Die Entwickler der Anwendung liefern eine Grundlage von bundesweit relevanten Informationen, etwa zu Fragen über Religions- und Meinungsfreiheit. Für alles rund um das Lokale wie Sportvereine, kulturelle Angebote oder Anlaufstellen für Beratung ist die Kommune selbst zuständig. Diese Inhalte werden anschließend übersetzt. Dabei können die Kommunen selber auswählen, in welchen Sprachen die Anwendung verfügbar sein soll. Für den Kreis Segeberg sind neben Deutsch weitere sechs Sprachen geplant: Arabisch, Englisch, Farsi, Türkisch, Polnisch und Spanisch. Dabei habe man sich sowohl an den Nationalitäten der im Kreis lebenden Menschen orientiert, als auch an den weltweit am häufigsten gesprochenen Sprachen.
Unternehmen arbeitet mit Kammern zusammen
Seit Neuestem arbeitet das gemeinnützige Unternehmen hinter der App mit der Industrie- und Handwerkskammer zusammen. Anhand der Postleitzahl werden so Ausbildungsangebote und Lehrstellen in der App angezeigt. Je nach Schwerpunkt und Größe der Kommunen ist der Informationsumfang der Anwendung unterschiedlich – das reicht von etwa 23 Seiten in A4-Format für die münsterländische Stadt Ahaus bis zu 120 Seiten für Nürnberg.
Integreat wurde schon mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Engagementpreis der Friedrich-Ebert-Stiftung und mit dem Integrationspreis der Regierung von Schwaben. Das Projekt wird auch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Integreat verspricht, alles Nötige für die ersten Monaten unter einen Hut zu packen – von einem Stadtplan über Ansprechpartner in der Verwaltung bis zu einem Tool zum Erlernen des lateinischen Alphabets. Ist die Anwendung einmal heruntergeladen, funktioniert sie auch ohne Internetverbindung. „Wir können die persönliche Beratung nicht ersetzen, da sind das Vertrauensverhältnis und die menschliche Nähe essenziell“, sagt Fritjof Knier.
„Digitale Fabrik“ arbeitet mit vielen Ehrenamtlern
Neun Angestellte hat die vor zwei Jahren gegründete „digitale Fabrik“. Vier von ihnen arbeiten in Teilzeit, die anderen fünf auf 450-Euro-Basis. Die Mehrheit von Kniers Kollegen setzen sich ohne Bezahlung für die Projekte des gemeinnützigen Unternehmens ein. „Ohne das Ehrenamt würden wir gar nicht funktionieren“, sagt Knier.
Als einer der zwei Geschäftsführer kümmert sich der 27-Jährige um Personal und Finanzen des Unternehmens. Wenn er damit nicht genug zu tun hat, reist er durch Deutschland, um die App interessierten Kommunen vorzustellen. Sein Gebiet ist das, was er scherzhaft „den fernen Norden“ nennt. Für ihn persönlich ist der Norden gar nicht so fern. Knier ist in Heide und Tellingstedt aufgewachsen, doch für sein Unternehmen ist der Norden bisher Neuland. Die meisten Städte, die Integreat nutzen, liegen in Bayern.
Weitere Kommunen im Norden sollen nachziehen
Weitere Städte und Kreise sollen bei dem Einsetzen der Anwendung nachziehen, auch im Norden. Bei der Vorstellung der App in Bad Segeberg im November 2017 waren Vertreter von acht anderen Regionen dabei, darunter aus dem Kreis Dithmarschen und aus Lübeck. „Jetzt haben sie das alles schon mal gehört“, sagt Knier.
Die Anwendung Integreat ist auch für den Browser verfügbar – einen ersten Eindruck über die App in anderen Städten gibt es unter der Adresse web.integreat-app.de