Norderstedt. Magen-OPs können Dicken helfen, wieder normal zu leben. In Norderstedt gibt es seit Kurzem eine Adipositas-Selbsthilfegruppe.
Wer die 26 Jahre alte Isabelle sieht, der wird kaum glauben, dass die fröhliche junge Frau noch vor zwei Jahren mehr als 120 Kilo wog. Mittlerweile bringt die Norderstedterin nur noch knapp 68 Kilo auf die Waage und trägt Kleider in Größe 38.
Geholfen hat Isabelle eine Magen-OP, zu der sie sich vor zwei Jahren entschloss. Zuvor hatte sie bereits zahlreiche Diäten ausprobiert: Von Weight Watchers zu Low Carb, über Eiweißdiät bis hin zu Hungerstreiks. Doch nichts half gegen ihr Übergewicht. Als schließlich auf einer Hochzeit eine Bekannte ihren Bauch streichelte und fragte, wann es denn so weit sei, reichte es ihr endgültig. Im Internet las Isabelle schließlich, dass es möglich ist, sich den Magen operativ verkleinern zu lassen. Ihre Erfahrungen gibt sie seit Kurzem in einer Selbsthilfegruppe an andere Betroffene weiter.
Fettleibigkeit hat meistens mehrere Ursachen
Eine Magen-OP ist nicht automatisch der bequeme Weg aus der Fettleibigkeit. Adipositas wird oft als psychische Erkrankung bezeichnet, ist aber mittlerweile als chronische Gesundheitsstörung anerkannt, die Betroffene körperlich und sozial massiv einschränkt. Dabei ist Fettleibigkeit nicht immer die Folge von falscher Ernährung und Bewegungsmangel, sondern hat meist komplexe Ursachen. Zu den Ursachen können Veranlagung, Folgen anderer Erkrankungen, Nebenwirkung mancher Medikamente sowie seelische Einflüsse und vermutlich auch bis heute nicht entschlüsselte Stoffwechseldefekte zählen. Eine einfache Diät hilft in der Regel nicht.
Doch bevor eine Magen-OP in Betracht gezogen wird, sollten fettleibige Menschen auch wirklich sicher sein, dass sie diesen Schritt gehen wollen, rät Isabelle. Betroffene müssen sich nämlich sechs Monate einem sogenannten multimodalen Konzept (MMK) unterziehen. Gespräche mit Psychiatern, Ernährungswissenschaftlern und Sporttherapeuten sollen den Übergewichtigen beim Abnehmen helfen – erst danach entscheidet die Krankenkasse, ob sie die Kosten für eine Operation übernimmt. Und natürlich muss auch das Gewicht stimmen. Meist ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 40 plus wird eine Operation in Betracht gezogen.
Ab einem sehr hohen BMI von über 60 oder bei Betroffenen, deren gesundheitlicher Zustand so labil ist, dass ein vollständiges MMK verantwortungslos wäre, kann auch ein verkürztes MMK angeordnet werden. Isabelle warnt allerdings: Der Ratschlag mancher Therapeuten, sich auf einen BMI von über 60 zu „fressen“, um eine Operation sofort bewilligt zu bekommen, sei ganz sicher nicht Sinn der Sache. Fresssucht bleibe auch nach der OP ein Problem. „Eine Magenoperation ist kein Wundermittel, sondern lediglich eine Krücke. Der Kopf wird nicht mit operiert“, betont die 26-Jährige.
Patienten verlieren bis zu 60 Prozent ihres Gewichtes
Magen-OPs gehören mittlerweile zu den am häufigsten durchgeführten Operationen in Deutschland. Dennoch könnten Risiken nicht ausgeschlossen werden. Isabelle: „Besonders die erste Zeit nach der OP ist hart. Man muss sich erst einmal langsam wieder rankämpfen: Von Flüssignahrung hin zu Breien dauert es knapp sechs Wochen. Erst danach kann man wieder feste Nahrung zu sich nehmen“, weiß die Norderstedterin aus eigener Erfahrung. Auch an die Menge an Essen müsse man sich erst gewöhnen. „Schließlich besteht der Sinn einer Magen-OP ja darin, wesentlich kleinere Mengen zu sich zu nehmen.“
Wichtig bleibt: Ob Schlauchmagen oder Magenbypass, ein solcher Eingriff ist nicht mehr rückgängig zu machen. Durch eine OP kann auch die Vitaminproduktion eingeschränkt werden, sodass Betroffene lebenslang auf hoch dosierte Multivitamine und Calcium angewiesen sind. „Wer sich für eine solche Operation entscheidet, der muss wissen, dass er ein Leben lang damit umgehen muss“, betont Isabelle.
Selbsthilfe
Die Erfolge von Magen-OPs sprechen aber für sich. Krankheiten wie Diabetes, Schlafapnoe und Bluthochdruck verschwinden meist schon in den ersten Wochen, und auch Gewicht und Umfang werden innerhalb von zwölf bis 18 Monaten nach der Operation signifikant reduziert. Isabelle: „Durchschnittlich verlieren Magenbypass-Patienten 50 bis 60 Prozent ihres Übergewichtes.“
In der Selbsthilfegruppe sind fast nur Frauen aktiv
Die Norderstedterin weiß, dass es sich bei einer Magen-OP um eine nervenaufreibende Angelegenheit handelt. Aber sie will Betroffenen Mut machen, da sie im wahrsten Wortsinn am eigenen Leib erfahren hat, was eine solche Behandlung bedeutet. Deshalb hat sie mit vier weiteren Betroffenen vor einigen Monaten in Norderstedt die Adipositas-Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Jeden ersten Donnerstag im Monat treffen sich Menschen, die gegen ihre Fettleibigkeit kämpfen. Einige von ihnen haben sich bereits operieren lassen, andere stehen kurz vor der Operation, wieder andere sind noch unschlüssig, ob sie sich „unters Messer“ legen sollen.
Die Selbsthilfegruppe hat mittlerweile 50 Mitglieder, von denen 20 regelmäßig zu den Sitzungen kommen; es sind fast nur Frauen. „Die Männer sind meistens zu stolz und denken, sie könnten es alleine schaffen“, mutmaßt Isabelle. In den Sitzungen geht es vor allem um den gemeinsamen Austausch und das gegenseitige Verständnis. Wichtig erscheint vor allem die Mischung aus Adipösen und Menschen, die bereits eine Operation hinter sich haben. Positive Erlebnisse werden stolz berichtet, aber auch Kummer und Leid dürfen geäußert werden.
„Mir wurde ein zweites Leben geschenkt“, sagt eine Teilnehmerin. Nach der OP könne sie ihr Leben viel mehr genießen. Ohne Angst, von allen Seiten angestarrt zu werden, traut sie sich wieder, ohne schlechtes Gewissen ein Eis zu bestellen. Das wäre vor zwei Jahren, als sie noch 70 Kilo schwerer war, unmöglich gewesen. Da habe sie sich jedesmal geschämt, etwas in der Öffentlichkeit zu essen. „Kuchen habe ich heimlich im Auto verschlungen“, erinnert sich die Teilnehmerin.
Auch Birgit erhofft sich von der OP ein besseres Leben. Seit Anfang August besucht die 67-Jährige regelmäßig die Selbsthilfegruppe. Ihre Magenbypass-OP ist für Ende Februar geplant. Sie hofft, ihre körperlichen Leiden wie Diabetes und den zu hohen Blutdruck loszuwerden. Und sie hofft, endlich wieder einmal ganz normal spazieren gehen zu können.