Norderstedt. Der Mann war in seinem Fahrzeug mit einem Linienbus kollidiert. Seinen Führerschein will der Senior unbedingt behalten.

Über den Tatvorwurf gab es im Amtsgericht Norderstedt nur wenig zu verhandeln. Es ging um Fahrerflucht, und die gestand Berthold S. (Name geändert) auch ohne Umschweife. Deutlich länger dauerte die Diskussion um die Fahrtüchtigkeit des Angeklagten, denn der Norderstedter ist 82 Jahre alt. Amtsrichter Dr. Matthias Lohmann wollte unbedingt erreichen, dass der betagte Autofahrer seinen Führerschein abgibt – für immer.

Behutsam legte der zierliche Mann seine Krücke neben dem Anklagestuhl ab. In Anzug und Krawatte, bemerkenswert höflich und in druckreifen Sätzen bestätigte er den Anklagevorwurf. Mitten im Feierabendverkehr wollte er mit seinem Wagen in Norderstedt von der Rathausallee links in die Heidbergstraße abbiegen. Dabei „übersah“ er bedauerlicherweise einen Linienbus. Auto und Bus kollidierten leicht. Beim Bus wurde ein Blinker abgerissen, und es gab ein paar Kratzer. Schaden: 2400 Euro.

Ohne Auto sei er aufgeschmissen

Anstatt sofort zu halten und den Unfall zu klären, war Berthold S. laut Anklageschrift einfach weitergefahren und hatte seinen Wagen nach etwa 80 Metern Fahrt in der Tiefgarage eines Supermarktes abgestellt. Dort habe er den Busfahrer erwartet. „Es tut mir alles schrecklich leid“, beteuerte er. Noch nie, ergänzte der pensionierte Landesbeamte, habe er in seinem langen Leben als Autofahrer eine Vorfahrt missachtet. Und dies werde ihm ein zweites Mal auch nicht passieren, versprach er.

Seine tadellose Vergangenheit nahm Amtsrichter Lohmann dem korrekt auftretenden Mann mit den schlohweißen Haaren gerne ab. Er schlug dem Angeklagten vor, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen, dafür allerdings müsste er unwiderruflich seinen Führerschein abgeben. „Zu ihrem Schutz und zum Schutz der Allgemeinheit“, sagte der Amtsrichter. Davon wollte der 82-Jährige aber überhaupt nichts wissen. Sein schwerhöriger und gehbehinderter Mandant fühle sich in der Lage, weiterhin zu fahren, erklärte der Verteidiger. Wegen seiner Schwerbehinderung sei er sowieso auf den Wagen angewiesen. „Ohne mein Auto“, betonte Berthold S. in ungewohnt flapsigen Worten, „bin ich richtig aufgeschmissen.“ Seit zwei Jahren Witwer, müsse er seitdem alle Besorgungsfahrten allein erledigen.

Überraschende Lösung

Was macht man mit so einem Angeklagten? Nach kurzer Rücksprache einigte sich Amtsrichter Lohmann mit dem Verteidiger auf eine überraschende Lösung: Danach wurde das Strafverfahren vorläufig ausgesetzt. Dafür muss der 82-Jährige einen Fahreignungstest machen. Besteht er die Prüfung, wird das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe von 600 Euro eingestellt. Fällt der betagte Autofahrer jedoch durch, verliert er den Führerschein für immer. Dann wird der Fahrerflucht-Prozess neu verhandelt. Bis zum Prüfungstermin darf der Beschuldigte seinen Führerschein aber behalten.