Kiel/Pronstorf. Der 19-Jährige verletzte seine Eltern lebensgefährlich, nun wurde er von der Jugendkammer des Landgerichts verurteilt.
Der seit Jahren aufgestaute Hass und die Eifersucht entluden sich im Affekt binnen weniger Sekunden. Mit einer Axt und einem Messer ging im März ein als Eigenbrötler geltender 19-jähriger Auszubildender im Pronstorfer Ortsteil Reinsbek auf Mutter und Vater los, verletzte sie mit Hieben und Stichen lebensgefährlich. Am Mittwoch ordnete die Jugendkammer des Kieler Landgerichts seine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie an.
Das Landgericht Kiel geht davon aus, dass der Heranwachsende an einer krankhaften Persönlichkeitsstörung leidet, die seine Steuerungsfähigkeit bei der Gewalttat im gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus erheblich einschränkte. Die Kammer sprach ihn des versuchten Totschlags in zwei Fällen sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig, sah jedoch im Hinblick auf die dauerhafte Unterbringung von einer zusätzlichen Jugendstrafe ab. Damit folgte das Landgericht den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.
Ohne ärztliche Versorgung wären die Eltern verblutet
Der Angeklagte leide an einer schizoiden Störung mit narzisstischen und paranoiden Anteilen, sagte der Vorsitzende Richter Stefan Becker zur Begründung. „Weitere schwerwiegende Taten sind zu erwarten“, betonte er zudem. Im Gegensatz zu seinem eher extrovertierten 16-jährigen Bruder neige der in sich gekehrte Einzelgänger zum Rückzug und lasse keine Gefühle erkennen. Der von seinen Eltern fälschlicherweise schon für einen Autisten gehaltene Angeklagte habe, so der Richter, in einem psychischen Ausnahme-zustand gehandelt.
Anlass des Affekts war ein Streit zwischen den Brüdern, die in Abwesenheit der Eltern beide am Computer saßen und sich gegenseitig die Schwächung des Internetempfangs vorwarfen. Der 19-Jährige warf dem Jüngeren schließlich einen Silvesterböller ins Zimmer und verletzte ihn am Kopf, bis er blutete. Dann demolierte er einen Schreibtisch. Als die 50 Jahre alte Mutter nach Hause kam, ging der Streit weiter. Sie schimpfte wegen der Verletzung des 16-Jährigen und forderte Geld für das beschädigte Mobiliar. Als Antwort knallte der 19-jährige Sohn wütend ein paar Geldscheine auf den Tisch.
Dann schaltete sich der 52-jährige Vater in die Auseinandersetzung ein. Damit der 19-Jährige keine weiteren Böller einsetzen konnte, musste er auf Anweisung seines Vaters weitere Pyrotechnik in einem Wassereimer unbrauchbar machen. Das Wasser holte er mit einer Gießkanne.
Der 19-Jährige flüchtete zu Fuß bis nach Lübeck
Kurz darauf kam es zur Bluttat: Als der 19-Jährige die Kanne in den Schuppen zurückbrachte, entdeckte er die Axt. Damit ging er zurück ins Haus, sah seine Mutter in der Küche und schlug zu. Als der Vater seinen Sohn zu bändigen versuchte, griff dieser zu einem Messer und verletzte den 52-Jährigen lebensgefährlich an Brust, Bauch und Oberarm.
„Wir lieben dich doch!“, hatte er in dem verzweifelten Ringen mit dem Sohn gerufen. „Liebe und Hass liegen nah beieinander“, hatte der 19-Jährige geantwortet. Die Mutter ist mit einer Narbe an der Stirn gezeichnet und laut Urteil bis heute arbeitsunfähig. Einen Monat lang lag der Vater stationär im Krankenhaus. Ohne ärztliche Versorgung wären beide Elternteile verblutet, hieß es.
Nach der Tat hatte sich der 19-Jährige mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Durch ein Fenster flüchtete er ins Freie. Eine Großfahndung der Polizei begann. Die Beamten mussten befürchten, dass der flüchtige junge Mann weitere Gewalttaten beging. Dutzende Polizisten und Suchhunde waren im Einsatz. Die 1900 Einwohner der Gemeinden wurden aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen.
Dass der 19-Jährige frühzeitig auf seiner Flucht in der Dunkelheit Pfeil und Bogen weggeworfen hatte und dann zu Fuß bis nach Lübeck gelaufen war, um sich in einen Zug nach Hamburg zu setzen, wussten die Polizeibeamten nicht.
„Ich liebe euch. Es tut mir leid. Es tut mir nicht leid“
Am frühen Morgen stellte er sich auf der Davidwache der Polizei. Zuvor hatte er seinen Eltern per Handy eine SMS geschickt: „Ich liebe euch. Es tut mir leid…es tut mir nicht leid…“
Trotz der Arg- und Wehrlosigkeit des am Kopf getroffenen Opfers sah das Gericht nicht das Mordmerkmal der Heimtücke: In seinem Zustand habe der Angeklagte die Lage wohl nicht bewusst ausgenutzt.