Ellerau/Hamburg. Zwei junge Frauen aus Ellerau und Bönningstedt berichten über die schlimmste Nacht ihres Lebens – Silvester 2015 auf der Reeperbahn.

Sandra B., 20, aus Ellerau und ihre Freundin Lena S., 19, aus Bönningstedt (Namen von der Redaktion geändert) sind begeisterte Partygängerinnen. „Am Wochenende ziehen wir gerne mit Freunden und Bekannten über den Kiez. Dort haben wir Spaß, dort ist immer was los“, sagen sie. Beliebte Treffpunkte sind die Albers-Bar, Lucky Star 2, die Thai Oase und die Kiez Meile in der Nähe der Großen Freiheit.

Der Spaß ist ihnen in der Silvesternacht gründlich vergangen. Sandra und Lena gehören zu den jungen Frauen, die in den Stunden nach dem Jahreswechsel von Männern mit Migrationshintergrund bestohlen, begrapscht und sexuell belästigt wurden. „Es war die schlimmste Nacht in unserem Leben“, sagen sie. Lena wurde in einer Nachtbar ein 700 Euro teures Smartphone entwendet, Sandra musste sich körperlicher Attacken erwehren.

Mehr als 70 Anzeigen liefen bis zum Freitag auf der David- und bei umliegenden Polizeiwachen ein. Es könnten noch mehr werden, heißt es in Polizeikreisen. Viele Mädchen und Frauen hätten sich aus „Scham“ bisher nicht gemeldet.

Silvester auf der Reeperbahn
Silvester auf der Reeperbahn © Hans-Eckart Jaeger | Hans-Eckart Jaeger

Sandra und Lena erzählen ihre Geschichte: „Wir möchten, dass die Täter dieser Nacht, egal aus welchen Ländern sie kommen, gefasst, überführt und bestraft werden“. Sandra, die gelernte Handelskauffrau, und Lena, die angehende Studentin, hatten bis zum Jahreswechsel bei Freunden in Ellerau gefeiert. Um 2 Uhr morgens machten sie sich auf den Weg nach Hamburg.

Lena, die die ganze Nacht keinen Tropfen Alkohol trank, stellte ihr Auto am Hamburger Berg ab. „Die Große Freiheit war unser Ziel“, erinnern sie sich. „Auf dem Weg dorthin ging es schon los. Ständig wurden wir von Unbekannten mit voller Absicht angequatscht und angerempelt.“

Vor der Kiez Meile, einer beliebten Nachtbar auf der Reeperbahn, stauten sich die Massen. „Der Türsteher kannte uns, er hat uns hereingelassen“, erzählt Lena. „Drinnen ging es sofort richtig los. Die Bar war proppevoll, alles Ausländer. Keiner sprach ein Wort Deutsch. Ich setzte mich an den Tresen, gleich kam ein Mann auf mich zu.“

Er „tanzte“ sie an, rückte immer näher. „Auf eine Ärmellänge, wie es Kölns Bürgermeisterin Henriette Reker verlangt, konnte ich ihn nicht halten.“ Das Gedränge wurde dichter. Nach fünf Minuten stellte Lena fest: Ihr Handy war aus ihrer Handtasche verschwunden. Der Mann, der ihr auf die Pelle gerückt war, war auch weg.

Sandra traf es noch schlimmer: „Immer wenn ich am Tresen stand, mich vornüber lehnte und eine Bestellung abgeben wollte, wurde ich von hinten angegrapscht. Es waren mehrere Leute, alle betrunken. Einer fasste mich am Hintern an, ein anderer berührte mich am Ausschnitt. Ich geriet stark in Bedrängnis und konnte mich kaum wehren.“ Der Barkeeper („Kann ich Euch helfen?“) rettete schließlich die prekäre Situation und sorgte dafür, dass sie die Bar nach 20 Minuten ohne weitere Zwischenfälle verlassen konnten.

Sandra und Lena liefen zur Davidwache: „Viele Menschen standen vor der Tür, alle wollten Anzeige erstatten. Ein Polizeibeamter riet uns, am Neujahrstag wiederzukommen. Sonst müssten wir zweieinhalb Stunden warten. Während dieser Zeit sollte Sandra draußen in der Kälte stehen.“

Sie fuhren nach Hause, versuchten es abends noch einmal. „Der diensttuende Beamte war freundlich“, sagt Sandra, „doch als Tatzeit taucht in seinem Bericht 2.30 Uhr auf. Wir hatten gesagt, es sei zwischen 3.30 und 4 Uhr gewesen. Auf meinen Hinweis, ich sei mehrfach körperlich bedrängt und angefasst worden, ging der Polizist nicht weiter ein.“ Sie überlegt nun, in den kommenden Tagen eine Anzeige wegen sexueller Belästigung nachzuschieben.

Ob Sandra und Lena jemals wieder im Rotlichtviertel St. Pauli mit Freunden, Freundinnen und Bekannten feiern werden, steht für sie in den Sternen. „Nie wieder werden wir alleine über die Reeperbahn gehen, höchstens in männlicher Begleitung und mit einem Elektroschocker in der Tasche, der uns vor solchen Angriffen schützen kann“, haben sie sich geschworen. „Wir haben große Angst, dass sich die Ereignisse der Silvesternacht wiederholen.“