Hamburg. BDK-Landesvorsitzender spricht wegen Auswertung privater Videos von Armutszeugnis für die Polizei. Zahl der Anzeigen auf 108 gestiegen.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) hält es für höchst unwahrscheinlich, dass nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht Täter bestraft werden. „Es gleicht schon einem negativen Lottogewinn, in Hamburg zu einer Straftat verurteilt zu werden“, sagte der Landesvorsitzende des Berufsverbandes, Jan Reinecke, am Freitag. Für eine Verurteilung brauche man gerichtsfeste Beweise wie DNA-Spuren oder Fingerabdrücke.

Wie die Polizei Hamburg am Freitag mitteilte, sei die Zahl der Anzeigen inzwischen auf 108 gestiegen. Dazu gezählt werden jetzt aber auch Raubtaten ohne sexuellen Bezug in der Silvesternacht. Zuletzt war von rund 70 Anzeigen die Rede.

Die Auswertung privater Videoaufnahmen sei dagegen ein „Armutszeugnis“ für die Polizei. Es wäre nach Ansicht von Reinecke ein Riesenzufall, wenn die Ermittler über diesen Weg an einen Tatverdächtigen herankämen. Bei einer Gegenüberstellung vor Gericht würde ein geübter Strafverteidiger dann bloß das Opfer auseinandernehmen und beispielsweise zuerst nach dessen Alkoholkonsum fragen. Dennis Gladiator, der innenpolitische Sprecher der CDU in der Hamburger Bürgerschaft, übte scharfe Kritik: Das Problem "sexueller Belästigungen durch männliche Migrantengruppen auf St. Pauli und am Jungfernstieg" sei schon seit Monaten bekannt.

Auch viele Flüchtlinge sind schockiert von den Übergriffen

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat die Angriffe auf Frauen in Köln und Hamburg in der Silvesternacht als Verletzung der Menschenwürde bezeichnet. „Diese Übergriffe sind das glatte Gegenteil von dem, was wir Würde nennen“, sagte Heße. Die Täter „haben nicht anerkannt, dass alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, welchen Glaubens, welcher Herkunft, Würde besitzen. Und sie kamen ihrer Verantwortung nicht nach, diese Würde zu bewahren“, sagte Heße.

Auch viele Flüchtlinge zeigen sich schockiert von den Übergriffen. Der Europareferent von Pro Asyl, Karl Kopp, sagte, viele Menschen in den Flüchtlingsunterkünften hätten noch gar nichts von den Vorfällen erfahren, weil sie kein deutsch sprechen und arabisch-sprachige Medien erst beginnen, darüber zu berichten. Diejenigen, die Bescheid wüssten, seien sehr schockiert. Er habe gerade erst mit einem älteren syrischen Flüchtling darüber gesprochen, der absolut entsetzt darüber gewesen sei, “mit wie wenig Würde und Respekt„ die betroffenen Frauen behandelt worden seien.

Der schleswig-holsteinische Flüchtlingsbeauftragte ist gegen schärfere Gesetze

Besorgt zeigt sich Kopp über die Reaktionen im Internet: “Es muss einem Angst und Bange werden, wenn man sich ansieht, was im Internet dazu alles kursiert." Es gebe viele rassistische und rechtsradikale Kommentare. So sei in einem Forum etwa zu lesen, dass die Bundesregierung und Pro Asyl die in Köln sexuell belästigten Frauen im übertragenen Sinne mitvergewaltigt hätten. Umso wichtiger sei jetzt eine lückenlose Aufklärung der Silvester-Ereignisse.

Der schleswig-holsteinische Flüchtlingsbeauftragte Stefan Schmidt beschreibt seinen Eindruck der Reaktionen im Internet ähnlich: Noch bevor auch nur ein Täter identifiziert war, seien die Vorfälle zum Anlass genommen worden, Vorurteilen gegenüber „südländisch“ wirkenden und vermeintlich muslimischen Männern freien Lauf zu lassen und schärfere Gesetze sowie schnellere Abschiebungen zu fordern, kritisierte er. Aus seiner Sicht ist die Rechtslage schon heute geeignet, um Sexualtäter zu bestrafen. „Sexualisierte Gewalt und Übergriffe gegen Frauen werden nicht von Ausländern, Flüchtlingen oder Deutschen begangen, sondern von Männern, die Straftäter sind“, sagte der Beauftragte.