Kaltenkirchen/Kiel. Dennis F. heiratete Thailänderin. Staatsanwalt fordert fast vier Jahre Haft wegen der Schüsse auf einen Bandido-Anhänger.

Im „Rockerprozess ohne Rocker“ hat die Anklage am Dienstag drei Jahre und zehn Monate Haft wegen schwerer Körperverletzung für den ehemaligen Kieler Hells Angel Dennis F., 42, gefordert. Staatsanwalt Achim Hackethal sah es als erwiesen an, dass der seit Wochen nicht an der Verhandlung teilnehmende Angeklagte vor sieben Jahren die Schüsse aus dem Hinterhalt auf einen gegnerischen Bandido-Anhänger in Kaltenkirchen geplant und in Auftrag gegeben hatte.

Gleichzeitig beantragte der Staatsanwalt Haftbefehl gegen den unentschuldigt fehlenden Rocker. Begründung: Der vorbestrafte Tätowierer, der früher einen Laden in Neumünster betrieb und in Kiel jährliche Tattoo-Messen für die Szene organisierte, wolle sich durch seine kürzlich geschlossene Ehe mit einer Thailänderin dem Zugriff der deutschen Behörden entziehen.

Erste Ehefrau lockte Opfer in den Hinterhalt

In die vom Staatsanwalt geforderte Strafe floss eine ältere Verurteilung zu zwei Jahren und acht Monaten für eine Messerattacke im März 2010 auf zwei Bandido-Sympathisanten vor einem Kieler Fitness-Studio mit ein. Damals ließen sich der Angeklagte und zwei weitere Hells Angels von einem Bandido-Logo auf den Handys zweier junger Freizeitsportler zu einem bewaffneten Überfall provozieren.

Wie viele Ehefrauen hat Dennis F. heute? Der von Kopf bis Fuß tätowierte Hüne heiratete kürzlich in Thailand eine zweite Frau. Medienberichte über seine pompös gefeierte Hochzeit mit einer zierlichen, ebenfalls stark tätowierten Asiatin in Weiß veranlassten das Landgericht, seine deutsche Ehefrau, 25, aus Neumünster erneut als Zeugin zu laden.

Nach Überzeugung des Staatsanwalts ehelichte der mutmaßliche Bigamist auch diese junge Frau, die im Januar 2009 als „Lockvogel“ das heute schwerbehinderte Opfer mit der Aussicht auf Sex zur Fahrt ins „Spaßbad“ animierte, aus taktischen Gründen: um eine Belastungszeugin zum Schweigen zu bringen. Als Ehefrau braucht die zur Tatzeit 19-Jährige nicht gegen ihn auszusagen.

Gericht wertete E-Mails, SMS und Chat-Protokolle aus

Das Paar heiratete im Juli 2012 „spontan“, unmittelbar nachdem die angeblich Verlobte wegen Beihilfe rechtskräftig verurteilt und zur polizeilichen Vernehmung gegen Dennis F. geladen war. Wer am vergangenen Freitag hoffte, die bisher eisern Schweigende könnte aus Ärger über den abtrünnigen Gatten jetzt doch noch auspacken, sah sich getäuscht: Die 25-Jährige legte ihr Familienbuch auf den Richtertisch, sprach von einer glücklichen Ehe und pocht weiterhin auf ihr Aussageverweigerungsrecht.

So bleiben dem Gericht bei der Urteilsfindung nur die zahlreichen Indizien, die Dennis F. zumindest als Anstifter des Hinterhalts belasten. Dazu gehören Auswertungen von PC-Recherchen, E-Mails, SMS, Chat-Protokollen und Telefonaten sowie die Beauftragung von Detektiven, das Opfer auszuspähen. Schon früher soll Dennis F. versucht haben, weibliche Lockvögel auf seine Gegner anzusetzen.

Seine Fehde mit dem Opfer von Kaltenkirchen hat eine jahrelange Vorgeschichte mit Kneipenschlägereien, Messerstechereien und Schutzgelderpressung. Im „Rockerkrieg“ der rivalisierenden, inzwischen verbotenen Clubs ging es um die Vorherrschaft im Geschäft mit Drogen und Prostitution.

Im Zuge der Auseinandersetzungen hatte Dennis F. selbst zweimal lebensgefährliche Messerstiche einstecken müssen. Im ersten Fall soll der Bruder des Opfers von Kaltenkirchen beteiligt gewesen sein. Im zweiten Fall wurde er bei einer Massenschlägerei zwischen Hells Angels und Bandidos vor dem Kieler Amtsgericht schwer verletzt.

Die mutmaßlichen Täter wurden angeklagt, jedoch später vor Gericht freigesprochen. Seitdem soll Dennis F. Rachepläne geschmiedet haben. Das von seiner Freundin in eine dunkle Ecke des Parkplatzes bei der Holstentherme bugsierte Opfer wird der rechtsradikalen Szene zugerechnet. Nach eigenen Angaben hat der 40-Jährige jedoch mit Rockern nichts zu tun.

„Ich habe nie einer Gruppierung angehört“, erklärte der Nebenkläger vor Gericht. Er habe nicht mal den Motorradführerschein. Sein Bruder sei allerdings bei den Bandidos. Wurde der ehemalige HDW-Anlagentechniker zum „Ersatzopfer“, weil Dennis F. nicht an den eigentlichen Gegner herankam? Ihm hatten bei dem abendlichen Hinterhalt zwei maskierte Hünen aufgelauert. „Einer mit Eisenstange, der andere mit Pistole.“

Beim ersten Knall dachte der Nebenkläger noch an eine Gaswaffe, doch der dritte Schuss habe ihn „sofort von den Beinen gerissen“. Der Trümmerbruch seines linken Oberschenkels sei bis heute nicht ausgeheilt. „Ich sollte plattgemacht werden“, so der Zeuge. Immer noch drohe die Gefahr der Amputation. „Sie hat mich mit den Bildern heiß gemacht“, erklärt der heutige Hartz IV-Empfänger, warum er damals in die Falle ging.

Opferanwalt fordert 80.000 Euro Wiedergutmachung

Im Nachhinein fielen dem Verletzten zahlreiche Verdachtsmomente auf, die er damals – trotz aller Vorsicht - vielleicht nicht sehen wollte. So habe das Mädchen noch kurz vor dem Ziel eine Tankstelle angesteuert und ihr Handy mit zur Toilette genommen. Auch bemerkte er an der Raststätte einen Pkw, den er den Hells Angels zurechnete.

Nach elftägiger Beweisaufnahme beantragte die Verteidigung am Dienstag Freispruch aus Mangel an Beweisen. Der Anwalt des Opfers fordert 80.000 Euro Wiedergutmachung und 150 Euro Rente für den seit dem Anschlag invaliden Elektriker, der „nie einer Rockergruppe angehört“ habe. Das Urteil soll am Mittwoch, 23. Dezember, verkündet werden. Im Fall eines Schuldspruchs müsste das Gericht zu Gunsten des Angeklagten die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer berücksichtigen.