Kaltenkirchen/Kiel. Landgericht verhandelt weiter gegen „Höllenengel“ wegen der Schüsse in Kaltenkirchen. Der Angeklagte erschien erneut nicht zum Prozess.

Einer der letzten großen Rockerprozesse in Schleswig-Holstein steht vor dem Abschluss. Es geht um Schüsse aus dem Hinterhalt, die ein Kieler Hells Angel im Januar 2009 in Kaltenkirchen auf einen Bandido-Anhänger abgefeuert haben soll. Doch die Strafkammer des Kieler Landgerichts verhandelt seit Wochen ohne den Angeklagten. Der ehemalige Inhaber eines Tattoo-Studios fehlte auch am Donnerstag, dem neunten Prozesstag, unentschuldigt.

Der 42-jährige Hüne mit den markanten Tätowierungen hält sich in Thailand auf. Eine Webseite der „Hells Angels MC Thailand“ zeigt ihn auf der Fotogalerie „with friends“ in kurzen Hosen und Kutte, Arm in Arm mit Gleichgesinnten. Andere Bilder und das „Guestbook“ der Internetseite legen nahe, dass die Hells Angels in den Urlaubszentren Pattaya und Phuket spätestens seit 2012 Clubhäuser und Einrichtungen wie „Angels Place“ oder „Bar 81“ betreiben.

2009 tobte in Schleswig-Holstein ein Rockerkrieg

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Rocker vor, im Januar 2009 mehrere Männer angeheuert zu haben, die auf dem Parkplatz der Holstentherme in Kaltenkirchen einen damals 32 Jahre alten Mann mit fünf Schüssen in den Oberschenkel schwer verletzt haben. Das Opfer leidet noch heute unter den Folgen der Tat. Die Anklage lautet auf schwere Körperverletzung – vermutlich aus Rache.

2009 tobte in Schleswig-Holstein ein Bandenkrieg zwischen den verfeindeten Rockergruppen Hells Angels und den Bandidos. Der angeklagte Tätowierer wurde den „Höllenengeln“ zugeordnet. Das Opfer galt als Anhänger der Bandidos und war als Rechtsradikaler bekannt. Dass der Prozess im September erst mehr als sechs Jahre nach der Tat beginnt, ist auf personelle Engpässe im Landgericht zurückzuführen. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits im Jahr 2010 Anklage erhoben.

Schon Monate vor Prozessbeginn habe der Angeklagte seinen Wohnsitz in Thailand bezogen, bestätigt die Pressestelle des Landgerichts. Ende September erschien der 42-Jährige zum Auftakt, schwieg zum Vorwurf der schweren Körperverletzung und wurde nach dem fünften Sitzungstag nicht mehr gesehen. Sanktionen für den Angeklagten befürchte er nicht, teilte sein Strafverteidiger Michael Gubitz mit.

Gericht verhandelt ohne Angeklagten weiter

Der Kieler Rechtsanwalt und Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum vertritt in noch einem weiteren spektakulären Prozess einen Mandanten mit Wohnsitz in Thailand: Auch der ehemalige Geschäftsführer, 38, eines Chat-Anbieters, der sich im bundesweit längsten Strafprozess seit mehr als sechs Jahren und 370 Verhandlungstagen wegen mutmaßlicher Millionenabzocke mit Flirt-SMS verantworten muss, blieb gelegentlich dem Prozess fern.

Hier wie dort verhandelt das Gericht gemäß Strafprozessordnung wegen eigenmächtiger Abwesenheit des Angeklagten ohne diesen weiter – notfalls bis zur Urteilsverkündung. Und wenn sich der Betreffende mit Erfolg auf angebliche Mittellosigkeit beruft, darf der Steuerzahler auch noch die Kosten für das Flugticket vom Traumstrand an die Kieler Förde bezahlen.

Im Rockerprozess beantragte Strafverteidiger Gubitz den Reisekostenvorschuss, allerdings bisher vergeblich. Noch glaubt die Kammer nicht an die Mittellosigkeit des Angeklagten. Dieser teilte dem Gericht zunächst mit, er sei bei einem Motorradunfall gestürzt. Die Dolmetscher der Justizbehörde hatten einige Mühe bei der Übersetzung des Attests einer thailändischen Klinik. Die dort bestätigten Abschürfungen akzeptierte die Kammer nicht als Begründung für mangelnde Reisefähigkeit.

Thailand kein Rückzugsgebiet für Kriminelle

Spannend wird es, wenn der einschlägig vorbestrafte Rocker fast sieben Jahre nach dem Überfall auf dem Parkplatz der Holstentherme tatsächlich zu einer Haftstrafe verurteilt wird. Zwar gibt es zwischen Deutschland und Thailand kein Auslieferungsabkommen. Doch das „Land des Lächelns“ ist laut Deutscher Botschaft in Bangkok „kein Rückzugsgebiet für deutsche Kriminelle“ mehr.

Diesen Befund unterstreichen zahlreiche jüngere Medienberichte über eingezogene Reisepässe und kontrollierte Abschiebungen. Nach kurzer Auslieferungshaft werden die Kandidaten dann am Airport deutschen Beamten als „Flugbegleiter“ übergeben. Noch vor Kurzem hatten Tippgeber im Internet kriminelle Auswanderer mit der Aussicht ermutigt, in ganz Asien mache kein Beamter seine Finger für einen deutschen Kollegen krumm.