Norderstedt. Beratungsstelle in Norderstedt steht vor einer ungewissen Zukunft. Pirat Patrick Breyer schreibt Brandbrief an Oberbürgermeister Grote.

Gerade hat sie ihren 40. Geburtstag gefeiert, da steht die Verbraucherberatungsstelle in Norderstedt vor einer ungewissen Zukunft. Mal wieder, denn seit Jahren erleben die Mitarbeiter in der Anlaufstelle neben dem Rathaus das gleiche nervenaufreibende Procedere: Der Zuschuss des Landes reicht nicht, um die Existenz der Einrichtung zu sichern. Wie die anderen vier Filialen im Norden und die Zentrale in der Landeshauptstadt hängt die Einrichtung am Tropf des Landes – und wie alle Jahre wieder ringen die Verbraucherzentrale und die Landesregierung um die Fördermittel

„Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Zukunft der Beratungsstelle in Norderstedt erneut bedroht ist“, schreibt Patrick Breyer, Landtagsabgeordneter der Piratenpartei an Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote und Segebergs Landrat Jan Peter Schröder. Das Land wolle sich seiner Verantwortung für die Finanzierung der Verbraucherberatungsstellen nunmehr gänzlich entledigen.

Die Verbraucherzentrale finanziert sich aus Landes- und Bundesmitteln sowie eigenen Einnahmen. Zwar will das Land den Zuschuss für die nächsten fünf Jahre von aktuell 699.000 auf 870.000 Euro pro Jahr anheben. Damit könne aber bestenfalls die Zentrale in Kiel finanziert werden, der Fixbetrag lasse beispielsweise Tarifsteigerungen unberücksichtigt, kritisiert Breyer.

80.000 Euro fehlten schon in diesem Jahr

„Keine der fünf Beratungsstellen arbeitet kostendeckend. Wir erwarten daher, dass die Filialen sich ab 2017 nach und nach vollständig aus der Fläche zurückziehen müssen“, sagt Stefan Bock, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein. Schon in diesem Jahr habe sich gezeigt, dass die Summe nicht reicht. Weitere 80.000 Euro seien nötig gewesen, um die Personalkosten zu decken.

Die schleswig-holsteinischen Verbraucherschützer hätten eine vergleichsweise schwache Position. Laut einem Expertengutachten bezuschussen nur drei der 16 Bundesländer ihre Verbraucherzentrale zu einem noch geringeren Anteil als Schleswig-Holstein, und in keinem vergleichbar großen Bundesland hat die Verbraucherzentrale so wenige Beratungsstellen wie im Norden. „Ein permanentes Löcher-Stopfen und Umschichten ist gegenwärtiger Steuerungsalltag“, heiße es in der Studie.

„Wie es auch geht und welche Bedeutung Verbraucherberatung haben kann, zeigt Nordrhein-Westfalen“, sagt Bock. Dort finanziere das Land die Beratungsstellen mit knapp 14 Millionen Euro pro Jahr. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl in Schleswig-Holstein ergebe sich ein jährlicher Landeszuschuss von 2,25 Millionen Euro.

Rund 10.000 Anfragen pro Jahr

„Die Nachfrage nach kompetenten Auskünften ist da, das merken wir jeden Tag“, sagt Heike Vogel, die die Beratungsstelle in Norderstedt leitet. Die Menschen seien froh, dass es noch leibhaftige Experten gibt, denen sie ihre Unterlagen zeigen und ihre Fragen stellen können. „Wo gibt es das denn heute noch in der Zeit von Hotlines, Call-Centern und Internet?“, sagt die Diplom-Ökotrophologin, die die Nachfrage mit Fakten belegt: Rund 10.000 Anfragen pro Jahr erreichen das Team. Die Stadt hat den Bedarf erkannt und schließt seit Jahren freiwillig die finanzielle Lücke: Auch im Entwurf für den Doppelhaushalt 2016/17 sind wieder 24.548 Euro pro Jahr für die örtliche Beratungsstelle eingestellt.

Auch Pirat Breyer hält die Institution für nötiger denn je: „Datenschutz in sozialen Netzwerken, Ärger mit dem Handyvertrag oder Altersvorsorgedschungel: Die Informationsgesellschaft beschert uns neue Möglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen.“ Nicht alle Menschen könnten Schritt halten, und „arme Menschen, für die Abzocke besonders schwere Nachteile haben kann, sollten von Beratungsgebühren befreit werden“. Breyer fordert eine Verbraucherschutzoffensive und einen finanziellen Befreiungsschlag, der Landeszuschuss müsse in einem ersten Schritt auf eine Million Euro erhöht werden: „Das wäre preisbereinigt wenigstens der Stand von 2003.“

Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) sieht das anders. Mit der Aufstockung der Mittel bekomme die Verbraucherzentrale eine sichere Perspektive. Das Land stocke seinen Zuschuss in einem überraschend starken Maße auf, zunächst seien nur 800.000 Euro vorgesehen gewesen. Wie andere Länder auch, trage Schleswig-Holstein ein Drittel zur Finanzierung bei. „Für uns ist Verbraucherarbeit wichtig“, sagte Staatssekretär Frank Nägele. Die Verbraucherzentrale müsse entscheiden, wie sie die Mittel einsetzt und kreativ sein, um die Einnahmen zu erhöhen. Sie könne damit auch Beratungsstellen finanzieren und müsse klären, wie sie ihr Klientel in Zukunft erreichen will, denn: Verbraucherpolitik werde sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren deutlich verändern.