Wahlstedt. Star Club war für die Rattles und die Lords das Sprungbrett. Beide Bands ebneten vor 50 Jahren den Weg für die deutsche Rockmusik.

Diese Frage ist so alt wie die Geschichte der Pop-Musik: Beatles oder Stones? Aber diese Frage ist auch ziemlich überflüssig und wird eigentlich nur von Menschen gestellt, die ahnungslos sind, aber mitreden möchten. In Deutschland gab es vor 50 Jahren ein ähnliches Scheinduell zweier Bands – und auch diese Frage sollte lieber niemand stellen: Waren die Rattles und die Lords wichtig für die Entwicklung der deutschen Rockmusik? Und wenn ja, welche Band war wichtiger? Die Entscheidung ist heute ziemlich egal. Immerhin sind beide Bands seit über 50 Jahren aktiv. Unglaublich, aber wahr: Seit einem halben Jahrhundert stehen sie auf der Bühne – und am Sonntag, 13. September, sogar gemeinsam. Im Kleinen Theater Wahlstedt geben die deutschen Rocklegenden ein Doppelkonzert.

Viel gemeinsam haben die Lords und die Rattles, rein musikalisch betrachtet, nicht. Aber: Beider Karrieren begannen im Hamburger Star Club. Die Rattles war die erste deutsche Band, die dort regelmäßig spielte. Sie war mindestens schon eine norddeutsche Institution, als die Lords 1964 an der Großen Freiheit einen Bandwettbewerb gewannen und fortan als die „deutschen Beatles“ vermarktet wurden.

Gemeinsam auf Tournee: Die Rattles mit Achim Reichel (rechts vorn mit Paul McCartney) durften die Beatles 1966 begleiten. Für die Fab Four war der Star-Club inzwischen zu klein.
Gemeinsam auf Tournee: Die Rattles mit Achim Reichel (rechts vorn mit Paul McCartney) durften die Beatles 1966 begleiten. Für die Fab Four war der Star-Club inzwischen zu klein. © Alert | system

Die echten Beatles hätten sich wahrscheinlich dagegen verwahrt, wenn sie davon gewusst hätten: Die Berliner Band um den charismatischen Sänger Ulli Günther („Lord Ulli“), 1959 als Skiffle-Gruppe gegründet, hatte mit Songs im Simpel-Sound Erfolg. Auf jeder Party waren „Gloryland“, „Poor Boy“ oder „Have A Drink On Me“ die Knaller. Wer damals aufmerksam zuhörte, bekommt bis heute Kopfschmerzen, wenn das alte „Poor Boy“ erklingt: Ulli Günther pfiff auf korrektes Englisch und verpasste dem „TH“ ein regelmäßiges Knockout. „Sse Life is hard to go...“ – das klang schon sehr schräg und ziemlich deutsch. Trotzdem war „Poor Boy“ mit dem einprägsamen Gitarrenriff ein Riesenhit und Dauerbrenner, den die Lords natürlich bis heute in jedem Konzert spielen. Übrigens ohne Lord Ulli, denn der erlitt 1999 einen Herzanfall auf der Bühne, stürzte unglücklich auf den Kopf und verstarb wenige Tage später.

Die Karriere der Rattles, 1960 gegründet, verlief internationaler. Aber auch in dieser Band stand ein charismatischer Musiker im Vordergrund: Achim Reichel lief zur Höchstform auf, als er 1966 in München und Hamburg im unerhörten Netzhemd auf der Bühne stand, um mit den Rattles das Vorprogramm für den Beatles-Auftritt zu gestalten. Das machte die Band so erfolgreich, dass die Zuhörer im Münchener Krone-Bau sie gar nicht mehr von der Bühne lassen wollten. Beatles-Manager Brian Epstein verbat sich für die beiden anschließenden Konzerte in der Hamburger Ernst-Merck-Halle einen Rattles-Auftritt direkt vor den Beatles, um den Erfolg seiner Schützlinge nicht zu gefährden.

Bands füllen heute noch Säle

Die Musiker der beiden Bands kannten sich übrigens gut aus gemeinsamen Star-Club-Zeiten. Während seines letzten Konzertes in der damaligen O2 World in Hamburg begrüßte Paul McCartney vor einigen Jahren Achim Reichel von der Bühne aus.

Als Achim Reichel 1967 zur Bundeswehr einrücken musste, war es ein bundesweites Ereignis. Aber auch ohne ihn ging es bei den Rattles weiter: Bassist und Mitgründer Herbert Hildebrandt schrieb „The Witch“, der den Rattles in einer völlig anderen Besetzung einen weltweiten Hit bescherte, 1988 gab es eine kurzfristige Wiedervereinigung mit Achim Reichel, heute sind mit Hildebrandt und Schlagzeuger Reinhard „Dicky“ Tarrach noch zwei Musiker aus der Anfangszeit dabei.

Die Lords mit dem Gitarristen und Sänger Klaus-Peter „Leo“ Lietz sowie dem Bassisten und Sänger Bernd Zamulo aus den Anfangsjahren, gehören ebenso wie die Rattles zu den Wegbereitern der deutschen Rockszene. Der musikalische Einfluss beider Bands ist nicht nennenswert. Aber sie haben vor 50 Jahren etwas Unerhörtes vollbracht: Sie haben bewiesen, dass auch deutsche Rockmusiker (damals waren es „Beatmusiker“) erfolgreich sein konnten. Die Rattles brachten es sogar im englischsprachigen Ausland zu einiger Popularität.

Wenn die Lords und die Rattles irgendwo im deutschsprachigen Raum auftreten, sind die Säle voll, die Stimmung ist prächtig. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In Wahlstedt wird es wahrscheinlich auch so sein: Das Konzert ist ausverkauft. Aber es gibt die Möglichkeit, sich auf der Website des Kleinen Theaters auf eine Warteliste setzen zu lassen (www.theater-wahlstedt.de). Im ersten Teil des Konzerts spielen die Lords, im zweiten Teil die Rattles. Die deutschen Rocklegenden in einem Konzert – das wird es so schnell nicht wieder geben.